Neuer Inzidenzwert, alte Durchhalteparolen: Viele Widersprüchlichkeiten in der Lockdown-Politik lassen gerade die Stimmung kippen.
In seiner Bewerbungsrede für den CDU-Vorsitz sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vor vier Wochen den treffenden Satz: „Wenn Worte und Taten zusammenpassen, entsteht Vertrauen.“ Das zurzeit rapide schwindende Vertrauen vieler Bürger ins Corona-Krisenmanagement von Bund und Ländern könnte vor allem damit zu tun haben, dass Worte und Taten längst nicht mehr zusammenpassen. Das fängt schon bei der Zuständigkeitsfrage an: Bundesweite Einheitlichkeit bei den Maßnahmen wurde wochenlang beschworen - jetzt musste die strenge Kanzlerin die 16 Länder doch wieder in ihre föderale Verantwortung entlassen, weil unterschiedlichste regionale Interessen und eine Vielzahl von „Stufenplänen“ auseinanderdrifteten.
Nach Irrungen zwischen „Lockdown light“ und „Corona-Notbremse“, in denen die Politik angeblich nur „auf Sicht fahren“ konnte, taucht plötzlich die Inzidenz 35 als konkreter Zielwert für Lockerungen auf. Was denn nun? Gibt es eine Strategie? In NRW soll es sogar bei einer landesweiten Inzidenz von 50 wieder Präsenzunterricht in den Schulen geben. Zur Erinnerung: Als an Rhein und Ruhr Mitte Oktober genau dieser Wert erreicht wurde, setzte eine hektische Debatte über Beherbergungsverbote und Ausgangssperren ein. Und damals war noch nicht einmal von Virus-Mutationen die Rede. Das verstehe, wer will.
Warum sind Schulen und Kitas noch immer nicht vorbereitet?
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Überhaupt Schule und Kita: So wichtig eine rasche Rückkehr in einen strukturierten Unterrichtsalltag gerade für kleinere Kinder ist, bleiben doch die Rahmenbedingungen fragwürdig. Warum wurden in NRW monatelang kommunale „Wechselmodelle“ behindert und verboten, die nun die Lösung vieler Probleme sein sollen?
Warum fächeln die ersehnten „Luftfilter“ längst im Landtag den Abgeordneten die gefährlichen Aerosole weg, während in Schulen und Kitas von der technischen Ausstattung bis zu Schnelltests und FFP2-Masken noch immer vieles Argen liegt? Und alle Eltern von Kita-Kindern treibt die Landesregierung mit ihrem „eingeschränkten Pandemiebetrieb“ jeden Morgen in einen Gewissenskonflikt: Schicke ich mein Kind und seine Erzieher in ein Gesundheitsrisiko oder mich selbst zwischen Herd und Homeoffice in den Wahnsinn?
Die vorzeitige Wiedereröffnung der Friseure als „körpernahe Dienstleistung“ freut gewiss Unternehmer und Kunden. Doch mit welcher Begründung verwehrt man dann Fitnessstudios, Sportvereinen, Kosmetikern oder Künstlern, die ebenfalls unter Hygieneauflagen für Gesundheit und Wohlbefinden arbeiten wollen, weiter den Geschäftsbetrieb? Das ist kein nachvollziehbares Krisenmanagement, sondern Kontaktreduzierung a la Carte.
Impfdesaster und Wirtschaftshilfen-Flop werden hingenommen
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Für Händler, Hoteliers und Gastronomen in ihrer Perspektivlosigkeit wird es derweil schier unerträglich, wie ungleich die Haftung in dieser Corona-Krise verteilt ist. Sie selbst müssen Insolvenz anmelden, verdiente Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen oder Tausende Liter Bier in den Ausguss schütten, während das schlimme Impfversagen oder die empörende „Bazooka“-Ladehemmung bei den Wirtschaftshilfen rasch zur Fußnote der politischen Agenda erklärt werden.
Gewiss: Für eine Naturkatastrophe wie eine Pandemie gibt es kein Handbuch, die Krisenbekämpfung bleibt immer ein Wechsel aus Versuch und Irrtum. Doch mit all den Widersprüchlichkeiten der Lockdown-Verlängerung laufen Bund und Länder Gefahr, das wichtigste Kapital der Exekutive zu verlieren: Vertrauen in Führung.