Gelsenkirchen. Immer mehr Revierfirmen geraten wegen Corona in Schieflage. IHKs warnen, dass ein Drittel der Händler und Gastronomen frustriert aufgeben.
Die Telefone bei der IHK Dortmund stehen nicht still. Die Mitgliedsfirmen wollen aber längst nicht nur Tipps, wie sie an die Corona-Hilfen kommen. „Unsere Hotline wird zum Sorgentelefon, weil keiner weiß, wie es weitergeht“, sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber.
https://www.waz.de/wirtschaft/wirtschaft-in-nrw/ihks-wohnen-arbeiten-und-freizeit-in-innenstaedten-staerken-id230633344.htmlDie nicht enden wollende Corona-Pandemie beschert aber nicht nur Dortmunder Betrieben Zukunftsängste. „Die Ruhrwirtschaft tritt auf der Stelle und droht in eine gefährliche Schieflage zu kippen“, warnte Lars Baumgürtel, Vizepräsident der IHK Nord Westfalen, bei der Vorlage des Ruhrlageberichts am Donnerstag in Gelsenkirchen. Die Stimmung und wirtschaftliche Lage der rund 1000 befragten Revier-Unternehmen mit mehr als 140.000 Beschäftigten haben sich in diesem Frühjahr im Vergleich zum Herbst zwar leicht aufgehellt. Baumgürtel zeigt sich dennoch alarmiert, weil längst das Vorkrisen-Niveau nicht in Sicht sei. Und: „Die Spaltung der Wirtschaft durch Corona verfestigt sich mit jedem weiteren Tag im Lockdown.“
Industrie legt wieder leicht zu
Der IHK-Vizepräsident betreibt in Gelsenkirchen eine große Verzinkerei. Sie wie die übrige Industrie, das ergab die aktuelle Umfrage, ist vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. „Die Nachfrage nach Industriegütern zieht wieder an und die Auftragslage verbessert sich“, meint Baumgürtel.
https://www.waz.de/wirtschaft/wirtschaft-in-nrw/wirtschaft-sorgt-sich-um-den-industrie-standort-ruhrgebiet-id230345798.htmlIm Gegensatz zu Einzelhandel, Gastronomie und personenbezogenen Dienstleistungen wie Reisen, Sport und Kosmetik. „Diese Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand“, so Baumgürtel. Weil die staatlichen Corona-Hilfen gar nicht oder nur schleppend bei den Firmen ankommen, litten sie zunehmend unter Liquiditätsengpässen. „Bei 60 Prozent der Gaststätten ist das Eigenkapital aufgezehrt. Und jeder fünfte Dienstleister ist von Insolvenz bedroht“, zitiert Baumgürtel aus den Umfrage-Ergebnissen.
„Geschäftsaufgaben sind gefährlicher als Insolvenzen“
Ob Reise, Gastronomie oder Einzelhandel – Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, rechnet damit, dass rund ein Drittel dieser Firmen im Ruhrgebiet die Corona-Krise nicht überstehen werden. „Die Frustration ist hoch. Deshalb sind Geschäftsaufgaben gefährlicher als Insolvenzen“, erklärt er. Aus diesem Grund sind die Kammern enttäuscht, dass es der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten am Mittwochabend wieder nicht gelungen sei, der betroffenen Wirtschaft einen Ausweg aus dem Lockdown zumindest aufzuzeigen.
https://www.waz.de/wirtschaft/wirtschaft-in-nrw/einzelhandel-zwischen-wut-und-verzweiflung-id231391435.htmlNach Jaeckels Einschätzung ist es ein „psychologischer Fehler“, auf ein Ende der Pandemie zu spekulieren. „Wir werden immer wieder mit einzelnen Infektionsherden leben müssen. Deshalb wird es auf Dauer nicht funktionieren, dass wir uns einschließen“, sagt der IHK-Manager und fordert eine Öffnungsstrategie mit strengen Regeln.
Stärkere Kontrollen der Ordnungsämter
Wie überfüllte Innenstädte und volle Restaurants zu verhindern seien, skizziert Gerald Püchel. „Im Ruhrgebiet versteht man klare Ansagen“, meint der Hauptgeschäftsführer der Essener IHK. „Städte, Wirtschaft und Verbände müssen verbindliche Vereinbarungen treffen, deren Einhaltung von den Ordnungsämtern überprüft werden“, fordert Püchel. Und zwar auf lokaler Ebene. „Wir können nicht immer auf die nächste Ansage der Landesregierung warten.“