Witten. In vielen Familien steigt gerade in der Zeit rund um Weihnachten der Stresspegel. Beim Kinderschutzbund gibt‘s Hilfe. Zwei Mütter erzählen.
Die Zeit rund um Weihnachten ist nicht nur schön und heimelig, sie birgt auch viel Konfliktpotenzial. Gegen Ende des Jahres wächst der Bedarf an Streitschlichtung in Familien, weiß Serap Bachmann. Deshalb hat der Kinderschutzbund Witten ihre Stelle als Familienberaterin im vierten Quartal 2024 von neun auf elf Stunden pro Woche aufgestockt - trotz knapper Kassen.
„Es ist eine sensible, emotional aufgeladene Zeit“, sagt Bachmann, die als Honorarkraft Familien kostenlos berät. „Es geht oft um Besuchsrechte. Da wird sich um jede Minute gestritten, die ein Partner das Kind sehen will.“ Aber auch andere Probleme kommen bei der 59-Jährigen auf den Tisch. Es geht um allgemeine Erziehungsfragen ebenso wie um häusliche Gewalt, Trennung oder Sorgen um die Entwicklung des Kindes. Wie im Fall von Anna (49), deren Tochter selbst verletzendes Verhalten zeigte.
Als die alleinerziehende Wittenerin, die ihren richtigen Namen hier nicht lesen möchte, zum ersten Mal mitbekam, dass sich die 13-Jährige ritzt und mit ihr nicht über die Gründe sprechen wollte, war die Sorge groß und ihr sofort klar: „Das kann ich nicht alleine managen.“ Also machte sie sich auf die Suche nach einer passenden Beratung. Und musste erfahren: „Es ist sehr schwer, in Witten zeitnah etwas für Jugendliche zu finden.“
Bei Kinder- und Jugendpsychiatern etwa habe sie gar keine Chance gehabt. „Unser Fall war zu akut, ein Platz auf der Warteliste hätte nichts gebracht, ein Notfalltermin war nicht möglich“, musste Anna erfahren. Einen Termin bekam sie schließlich bei der Uni-Ambulanz. Doch da habe sich ihre Tochter sehr unwohl gefühlt. „Das ist nicht gut gelaufen.“ Bei ihrer weiteren Recherche im Netz stieß Anna auf das Angebot des Kinderschutzbundes - und mit Serap Bachmann auf die richtige Gesprächspartnerin.
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„Krisensituationen haben grundsätzlich Vorrang, weshalb die Klienten schnellstmöglich einen Termin bekommen“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin. Das gelte auch für Jugendliche, die sich selbst an sie wenden. „Die Zeit zwischen Anmeldung und Erstgespräch beträgt weniger als vier Wochen.“
Anna und ihre Tochter nutzen die Beratung seit einigen Monaten. „Wir fühlen uns sehr gestärkt und gut aufgehoben“, sagt die Mutter. Und ist glücklich: Ihre Tochter verletzt sich nicht mehr selbst. Anna weiß inzwischen: „Es lag nicht an mir.“ Eher am wenig wertschätzenden Kontakt zum Vater. „Das Mädchen brauchte ein Ventil, um sich zu spüren“, erklärt Bachmann. Dafür gebe es im Übrigen auch weniger schmerzhafte Wege: „Die Hände unter kaltes Wasser halten, ein Gummiband ums Handgelenk, an dem man ziehen kann.“
Jüngste Tochter will keinen Kontakt zur Mutter
Auch die 55-jährige Laura hat sich an den Kinderschutzbund gewandt. Sie ist ebenfalls alleinerziehend, hat drei inzwischen erwachsene Töchter. „Die zu begleiten, war nicht immer einfach“, sagt die OP-Schwester. Ständig gab es Streit zwischen den Geschwistern, hat die Mutter ihre Bedürfnisse hinten angestellt. Irgendwann haben die Mädchen gar nicht mehr miteinander gesprochen, hat die Jüngste mit 17 den Kontakt zur Mutter abgebrochen, lebte im Kinderheim. „Ich weiß bis heute nicht, warum“, sagt Laura mit Tränen in den Augen. „Mir fehlen manchmal vor Schmerz die Worte.“
Sie habe sich gewünscht - auch von den Ämtern - mehr einbezogen zu werden. „Ich war für alles offen.“ Doch sie habe sich eher als „Fall“ gefühlt. Beim Kinderschutzbund, sagt Laura, „war das anders“. Serap Bachmann sprach mit ihr und den Töchtern, ging die Sache methodisch an, mit Rollenspielen, Zeichnungen, Figuren. Es seien viele Tränen geflossen. Doch mittlerweile habe sich die Situation zuhause entspannt, sagt Laura. Sie selbst fühle sich von ihren Schuldgefühlen befreit.
Serap Bachmann arbeitet seit 26 Jahren für den Kinderschutzbund - manchmal auch über die bezahlte Zeit hinaus. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit.“ Bei der sie nicht immer auf die Uhr schauen will.
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