Witten. Weil die Mutter die Kinder schlug, wandte sich ein Vater ans Jugendamt in Witten. Nun hat er selbst Angst, die Kinder zu verlieren.

Andrej Mamyrow (*Name von der Redaktion geändert) lebt in ständiger Angst. Angst, dass es an der Tür klingeln könnte und das Jugendamt vor der Tür steht, um seine vier Kinder abzuholen. Denn seit August steht die Familie unter Beobachtung der Wittener Behörde. Wie mit ihm dabei umgegangen werde, bringe den 39-Jährigen zum Verzweifeln.

Eines vorweg: Das Jugendamt kann sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu dem konkreten Fall äußern. Der Redaktion liegen aber Briefe des Amtes an den Kindsvater vor, ebenso die Abschriften dreier Beschlüsse des Familiengerichts. Das Bild, das sie zeichnen, weicht deutlich von der Darstellung des Vaters ab. Auch das Amt scheint zu verzweifeln.

Vater und Schule wenden sich ans Wittener Jugendamt

Doch von Anfang an. Im August wandte sich der Vater selbst an die Behörde und meldete, dass die Mutter seiner Kinder ihnen gegenüber gewalttätig geworden sei. Kurz darauf meldete auch die Schule der älteren Kinder eine Gefährdung. Der Vater lebte zu diesem Zeitpunkt zwar im gleichen Mehrfamilienhaus wie seine Partnerin, aber in einer eigenen Wohnung. Man sei damals „entfremdet“ gewesen, so der Vater. Das Jugendamt spricht hingegen von einer „bereits vor längerer Zeit erfolgten Trennung“.

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Der 37-jährigen Mutter sei es damals psychisch nicht gut gegangen, erzählt ein Freund der Familie, der den Vater gegenüber dem Jugendamt unterstützt und vertritt. In dieser Situation habe sie den anderen Kindern gegenüber, die mit in ihrer Wohnung lebten, „überreagiert“. Niemals aber habe der Vater die Hand gegen seine Kinder erhoben. Sehr wohl aber soll es laut Jugendamt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern gekommen sein.

Aufenthaltsbestimmungsrecht geht ans Jugendamt

Bei einem Vor-Ort-Besuch Mitte September ordnete das Amt an, dass die vier gemeinsamen Kinder vorübergehend im Haushalt von Andrej Mamyrow leben sollten. Da bis zu diesem Zeitpunkt nur die Mutter das Sorgerecht hatte, beantragte und erhielt er das gemeinsame Sorgerecht vor dem Familiengericht. Gleichzeitig wurde vereinbart, eine sozialpädagogische Familienhilfe einzurichten und das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt zu übertragen. Davon will Mamyrow aber nichts gewusst haben.

Inobhutnahmen durch das Jugendamt

Ende 2023 schlug das Jugendamt Alarm. Es hatte zunehmend Probleme, Kinder und Jugendliche in Wohngruppen und Heimen unterzubringen. Denn in den Einrichtungen gab es nicht genug Plätze. Im Jahr 2022 etwa nahm das Jugendamt Witten 60 Heranwachsende in Obhut. Dabei handelte es sich entweder um Kinder und Jugendliche, bei denen ein Familiengericht entschieden hatte, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Oder um minderjährige Flüchtlinge. Im Jahr 2023 gab es bis Dezember weitere 47 solcher Inobhutnahmen. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor.

Die Stadt gibt in diesem Jahr rund 35 Millionen Euro für Erziehungshilfen aus. Die Kosten steigen seit Jahren, was auch an immer komplizierteren Einzelfällen liegt.

Er habe die Vereinbarung so verstanden, dass das Jugendamt nur eingreife, wenn sich die Eltern nicht auf einen Aufenthaltsort einigen könnten. Er fühlt sich außerdem verunglimpft und falsch dargestellt. Schließlich habe er seine Kinder nie geschlagen, nun allerdings werde generalisiert von „gewaltfreier Erziehung“ geredet. Er hat Schreiben von Kinderarzt, Kita und Schule gesammelt, die alle bestätigen, dass es den Kindern in seiner Obhut gut geht.

Kein Gespräch über Familienhilfe möglich

Doch das Jugendamt wolle davon nichts wissen und mache aus seiner Sicht „nur weiter Druck“. In einem Telefonat zwischen der zuständigen Sachbearbeiterin und der Kindsmutter soll der Satz gefallen sein „Sonst können wir die Kinder auch abholen.“ Daher rührt nun die große Angst der Familie, dass die Kinder an einem anderen Ort untergebracht werden könnten. Mittlerweile haben sich Vater und Mutter nach eigenen Aussagen auch wieder versöhnt und sollen verlobt sein.

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Fest steht: Bislang hat kein Gespräch über die geplante Familienhilfe stattgefunden. Er habe dem Amt mehrere Termine schriftlich vorgeschlagen, aber nie eine Antwort erhalten, sagt Andrej Mamyrow. Das Jugendamt sieht das ganz anders, wie in einem weiteren Gerichtsbeschluss zu lesen ist. Der Vater habe „sämtliche Bemühungen des Jugendamtes [...] konterkariert oder ignoriert“. Es gebe keine „konstruktive Zusammenarbeit“. Die Kommunikation sei „nicht zielführend“. Auch Telefonanrufe zur Terminabstimmung seien ergebnislos verlaufen.

Gericht will „Erziehungsfähigkeit“ des Vaters prüfen

Auch den Antrag auf Erziehungshilfe hat Mamyrow nicht unterschrieben, per einstweiliger Anordnung entschied das Gericht Ende Oktober, dass die Hilfen auch ohne seine Unterschrift eingeleitet werden können. Das Jugendamt hat zudem vorgeschlagen, ein Verfahren einzuleiten, um die familiäre Situation zu klären - und um die „Erziehungsfähigkeit des Vaters“ zu prüfen. Dieser sei aus Sicht des Amtes „überfordert“. „Ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagt Mamyrow. Denn er habe alles in seiner Macht Stehende für das Wohl seiner Kinder getan. Etwa die Schichten geändert, damit er sie von Schule und Kita abholen kann. „Es geht ihnen bei mir gut.“

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Auch hätten sich Kinder und Mutter bereits wieder angenähert. Ein erster Verhandlungstermin in der Sache ist für Freitag, 13. Dezember, angesetzt. Dann werden womöglich weitere Weichen für die Zukunft der vier kleinen Kinder gestellt. „Ein Kind aus seiner Familie zu holen, ist wirklich immer das letzte Mittel“, betont Stadtsprecherin Lena Kücük. Die Entscheidung darüber liegt nicht bei der Behörde, sondern beim Gericht.

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