Witten. In den USA schlug ein Filter an, der Kinder-Nacktfotos erkennt. In Witten hatten Eltern ihren Sohn nichtsahnend fotografiert. Mit fatalen Folgen.
Das Ehepaar aus Witten war sich keines Unrechts bewusst: Der Vater (33) hatte seinen neugeborenen Sohn fotografiert, wie er unbekleidet auf einem Handtuch liegt. Die Mutter (29) filmte, wie ihr Dreijähriger nackt auf einem Küchenstuhl tanzt. Doch solche intimen Aufnahmen von Kindern gelten inzwischen als strafbare Herstellung von Kinderpornografie. Es sollte für die ahnungslosen Eltern noch schwerwiegende Folgen haben.
Am 2. November letzten Jahres wurde die Wohnung der Familie aus Sri Lanka von der Polizei durchsucht: Zuvor hatte die US-Organisation NCMEC, das „Nationale Centrum für vermisste und ausgebeutete Kinder“, dem Bundeskriminalamt die IP-Nummer eines deutschen Handys übermittelt. Auf dem Mobiltelefon würde sich eine kinderpornografische Datei befinden. Dies sei aufgefallen, als das Video in die Cloud hochgeladen werden sollte. Ein spezieller Filter, der Nacktaufnahmen von Kindern erkennt, habe angeschlagen und den Account gesperrt. Bei der Cloud handelt es sich um einen privaten Speicherort, das Video und das Bild wurden nie veröffentlicht.
Dreijähriger Sohn weggenommen und in Pflegefamilie gegeben
Das Amtsgericht Köln ordnete daraufhin eine Durchsuchung der Wohnung in Witten an. Dort stellten die Ermittler zwei Mobiltelefone sicher. Weil sich in den Räumen auch eine unbekannte Person aufhielt, entstand die Vermutung von sexuellem Kindesmissbrauch. Deshalb wurde den Eltern, die nur wenig Deutsch sprechen, der dreijährige Sohn sofort weggenommen. Das Wittener Jugendamt nahm das Kleinkind in Obhut und übergab es an Pflegeeltern, bei denen es die nächsten neun Tage lang blieb. Doch die „unbekannte Person“ entpuppte sich bald als der Onkel des Kindes. Zellmolekulare Untersuchungen von Vater und Sohn in der Universitätsklinik Essen kamen zudem zu dem Ergebnis, dass es gar keinen sexuellen Missbrauch gegeben hatte.
Die Staatsanwaltschaft Bochum ließ daraufhin zwar den Missbrauchsverdacht fallen, verfolgte aber den Vorwurf der Herstellung und des Besitzes kinderpornografischen Materials weiter und klagte die Eltern an. Das Amtsgericht verurteilte den Vater nun zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem muss er 100 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Die Mutter erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr sowie als Auflage 50 Stunden soziale Arbeit. Das Samsung-Handy wurde „als Tatwerkzeug eingezogen“.
Eltern fanden Szene putzig
Das Schöffengericht stellte fest: Am 7. Oktober letzten Jahres hatte die Mutter ihren dreijährigen Sohn gebadet und ihn zum Abtrocknen auf einen Küchenstuhl gestellt. Im Hintergrund spielte rhythmische tamilische Musik. Plötzlich drehte sich der kleine Junge im Kreis und wippte fröhlich auf dem Stuhl. Das fanden die Eltern so putzig, dass sie die Szene festhalten wollten. Die Mutter zückte ihr Handy und filmte das Kind. Während des Tanzens „greift sich der Junge mehrfach an sein Glied“, heißt es in der Anklage. Auf dem nur 14 Sekunden langen Video ist auch zu sehen, wie der Vater „mit dem ausgestreckten Zeigefinger im Takt der Musik viermal leicht den Hodensack des Kindes berührt“.
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Was die Eltern als völlig harmlos empfanden, gilt in Deutschland seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2021, die unter vielen Juristen umstritten ist, als „kinderpornografische Straftat“ - und muss als Verbrechen geahndet werden. Mindeststrafe: ein Jahr. Dass die Eltern auf der Anklagebank beteuerten, davon nichts gewusst zu haben, entlastete sie nicht. Die geschockte Mutter unter Tränen: „Wir wollten unserem Kind doch nichts Böses.“ In der tamilischen Kultur sei es völlig normal, ein Kind nackt zu fotografieren und auch zu zeigen, dass es ein Junge ist. „Gerade, weil es in diesem Fall keinen sexuellen Hintergrund gibt, sind die Eltern völlig fassungslos“, erklärt Verteidiger Daniel Schülken aus Ennepetal.
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Auf einem der beiden sichergestellten Handys ist ein Foto des neugeborenen Säuglings zu sehen. Der Junge liegt auf einem Handtuch, der stolze tamilische Vater „hebt den Penis des Kindes an und hält ihn in die Kamera“, heißt es in der Anklageschrift. Auch dieses Foto stufte das Wittener Schöffengericht als „kinderpornografische Abbildung“ ein: „Das Gesetz ist, was es ist“, so Richter Felix Brelinger. Und die Staatsanwältin kommentierte: „Ich hoffe, bei den Eltern ist jetzt angekommen, dass man seinen Kindern nicht ans Geschlechtsteil fasst.“
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