Gelsenkirchen-Schalke-Nord. Unrentabel, nicht zukunftsfähig. ZF Gelsenkirchen sollte daher schließen. Aber: Jetzt wächst beim Automobilzulieferer eine neue Hoffnung.
Überraschende Wende und neue Hoffnung für den Gelsenkirchener Standort des Automobilzulieferers ZF: Nach Gewerkschafts- und Betriebsratsangaben zeichnen sich neue Lösungen ab, das von der Schließung bedrohte Werk in Schalke-Nord zu erhalten. In der Produktion und im angeschlossenen Entwicklungszentrum dort arbeiten insgesamt 350 Menschen.
Nach „intensiven Verhandlungen zwischen Konzernvorstand, Betriebsrat und Gewerkschaftern“ in den vergangenen Wochen, bei denen auch die Leiter verschiedener ZF-Divisionen (zuständig für mehr als 10.000 Beschäftigte) teilgenommen haben, soll nun „eine Art Wirtschaftlichkeitsrechnung“ Antwort auf die Frage geben, ob die Herstellung anderer Produkte den Standort Gelsenkirchen in eine sichere Zukunft tragen können.
Der Rettungsvorschlag sieht nach Angaben von Gewerkschaftssekretär Ralf Goller und ZF-Betriebsrat Uğur Coşkun so aus, „dass Teile der Produktion der Standorte Passau und Hannover künftig hier an der Freiligrathstraße hergestellt werden.“ Der Konzern ZF hat eine Anfrage dieser Redaktion zur Thematik bislang nicht beantwortet.
In Passau ist man unter anderem spezialisiert auf Wehrtechnik und Präzisionsteile. „Dort entsteht unter anderem die Antriebstechnik für Panzerfahrzeuge und Militär-Schiffe, Munition wird dort nicht produziert.“ Ein Schwerpunkt in Hannover ist die Entwicklung und Produktion von elektronischen Bremssystemen und Fahrzeugregelungssystemen für Lkw und Busse.
Goller und Coşkun zufolge sollen die Ergebnisse der Kalkulation „mit Ablauf des 11. März vorliegen und dann auch die Entscheidung fallen, ob der Rettungsplan in die Tat umgesetzt wird“. Fällt die Antwort des Konzerns negativ aus, „so werden wir die Aushandlung eines Sozialtarifvertrags ohne Arbeitskampf vorantreiben.“ Unternehmen sind allerdings nicht verpflichtet, mit den Gewerkschaften über einen Sozialtarifvertrag zu verhandeln.
Produktionsverlagerungen und Abbau von Überkapazitäten von und an anderen ZF-Standorten hatten die Gewerkschaft IG Metall und Betriebsrat immer wieder als mögliche Alternativen angeführt, um den Standort Gelsenkirchen zu retten, nachdem erhoffte Aufträge ausgeblieben waren. Konzern seitig wurde das als unwirtschaftlich betrachtet und stets abgelehnt. Nun macht ZF möglicherweise eine 180-Kehrtwende.
Goller und Coşkun glauben, die Angst vor einem „langen und teuren Arbeitskampf und die Gefahr, dass Kundenaufträge wegbrechen könnten“, haben den Automobilzulieferer dazu bewogen, einzulenken. Der Konkurrenzdruck sei hoch, weil eine Krankheitswelle zuletzt bereits zu Lieferengpässen geführt habe.
Die ZF Passau ist ein Standort der ZF Friedrichshafen und der Führungsstandort der Division Industrietechnik. Bei ZF Passau sind rund 4.000 Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen ist nach BMW der zweitgrößte Industriebetrieb Niederbayerns. Am Standort Hannover sind ca. 2800 Menschen beschäftigt.
In der Division Industrietechnik, verantwortlich für rund 10.000 Beschäftigte an 28 Standorten weltweit, bündelt ZF seine Aktivitäten für Anwendungen „abseits der Straße“. Dazu zählen die Entwicklung und Produktion von Getrieben sowie Achsen für Land- und Baumaschinen ebenso wie die Antriebstechnik für Stapler, Schienen- und Sonderfahrzeuge. Die Division verantwortet auch das weltweite Geschäft in der Marine-Antriebstechnik sowie die Entwicklung und Produktion von Getrieben für Windkraftanlagen und Industrieantrieben. Ebenfalls zum Portfolio zählen Prüfsysteme für die verschiedensten Anwendungen in der Antriebs- und Fahrwerktechnik.
2022 erzielte ZF Passau einen Gesamtumsatz von rund 3,4 Milliarden Euro. Der Großteil entfiel auf die Marine- und Sonderantriebstechnik (1,74 Milliarden Euro) sowie Windkraft-Antriebstechnik und Industriegetriebe (1,02 Milliarden Euro).
Obwohl ZF wegen des hohen Schuldendrucks massiv Stellen abbauen will, von über 10.000 Jobs ist die Rede, investiert der Konzern auf der anderen Seite kräftig in den USA. Die jährliche Zinslast für die mehr als zehn Milliarden Euro Schulden liegt bei einer halben Milliarde Euro. Folge von teuren Übernahmen, beispielsweise der US-Konzerne „TRW“ und „Wabco“, Letzterer war ein führender Anbieter von elektronischen Brems- und Fahrzeugregelsystemen sowie von Federungs- und Antriebssystemen.
Trotzdem oder gerade deswegen: ZF baut sein Getriebewerk in Gray Court, South Carolina (USA), für 500 Millionen US-Dollar (rund 460 Millionen Euro) aus. Es soll für die nächste Generation der Antriebstechnologien für Pkw und Nutzfahrzeuge umgerüstet werden, teilte das Unternehmen zuletzt mit.
Künftig soll dort die neueste Version des Acht-Gang-Automatikgetriebes gebaut werden können. Dieses Getriebe wird in Deutschland von BMW verwendet und ist auch für Plug-in-Hybridfahrzeuge geeignet, die auf dem US-Markt immer stärker nachgefragt werden. Zu den Auftraggebern zählen Dodge und Jeep. Bis 2025 soll die Produktionskapazität auf 200.000 Getriebe hochgefahren werden.