Witten. Mit einem Schild will ein Aktivist drohenden Strafen für Zug-Schwarzfahrten nach Witten den Stecker ziehen. Vor dem Urteil kommt es zum Eklat.

Ein Klima- und Politaktivist ist wegen fünf bewussten Schwarzfahrten in Zügen nach Witten zu drei Wochen Dauerarrest verurteilt worden. Der 22-Jährige hatte bei seinen „Umsonstreisen“ ein Umhängeschild getragen und sich so im Recht gesehen, kostenfrei im Nahverkehr fahren zu können. Nach dem Amtsgericht Witten entschied nun aber auch das Bochumer Landgericht eindeutig: Ein solches Schild schützt vor Strafe nicht.

„Ich fahre umsonst, das heißt, ohne gültige Fahrkarte. Kostenloser Verkehr für alle!“ Angeblich mit diesem Hinweis um den Hals war der Angeklagte, ein Mitglied der Anarcho-Szene, zwischen Mai und Oktober 2022 mehrfach bei Zugfahrten nach Witten kontrolliert worden. Mal kam er aus Dortmund. Mal aus Bochum. Jedes Mal hatte er keinen gültigen Fahrausweis dabei.

Angeklagter sieht Schwarzfahrten als Aktion für die Verkehrswende

Nach eigenen Angaben wollte der heute 22-Jährige mit seinen „Aktionsfreifahrten“ für eine klima- und umweltgerechte Verkehrswende und einen Systemwandel protestieren, darauf aufmerksam machen, dass Fahrkarten im Nahverkehr generell abgeschafft gehören. Die dahinterstehende Forderung: „Kostenloser ÖPNV für alle und immer.“

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Obendrein sah er sich auch strafrechtlich im Recht. Seine Argumentation: Mit dem „Ich fahre umsonst“-Schild und angeblich auch zudem vorhandenen Flyern habe er seine Absicht, den Zug gratis zu nutzen, von Anfang an kundgetan. Er habe sich die Zugfahrt also gar nicht „erschlichen“. Genau das sei aber in dem Paragrafen für das umgangssprachliche Schwarzfahren (Erschleichen von Leistungen, § 265a Strafgesetzbuch) ausdrücklich als Voraussetzung für eine Strafbarkeit festgeschrieben. Außerdem berief er sich darauf, dass nach seiner Auffassung der Bahn durch seine Schwarzfahrten „kein Realschaden“ entstanden sei.  

Angeklagter war in Berufung gegangen

Nachdem das Amtsgericht Witten den Politaktivisten aus Dortmund am 5. Januar 2024 zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.050 Euro (70 Tagessätze) verurteilt hatte, waren sowohl die Bochumer Staatsanwaltschaft – die damals drei Monate Haft ohne Bewährung beantragt hatte - als auch der Angeklagte in die Berufung gegangen. Der 22-Jährige mit dem Ziel eines Freispruchs, die Staatsanwaltschaft jedenfalls mit dem Ziel einer spürbareren Bestrafung.

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Die zuständige 15. Berufungskammer am Bochumer Landgericht entschied am Donnerstag, 17. Oktober, nach mehr als acht Stunden (!) Verhandlung: Es bleibt bei einer Verurteilung wegen Leistungserschleichung. Nur die Sanktion für den heute 22-Jährigen passte das Berufungsgericht an. Anders als das Amtsgericht Witten, das den zur Tatzeit Heranwachsenden (bis 21 Jahre) noch nach Erwachsenenstrafrecht bestraft hatte, stützte die Berufungskammer in zweiter Instanz ihre Entscheidung auf das Jugendstrafrecht.

Drei Wochen Dauerarrest als Strafe

Das Urteil: Drei Wochen Dauerarrest. „Der Angeklagte ist seinem Reifegrad nach noch einem Jugendlichen gleichzustellen. Es bedarf der Arreststrafe. Um erzieherisch auf ihn einzuwirken“, hieß es zur Begründung. Fest steht: Das Urteil ist nun rechtskräftig und durch kein weiteres Rechtsmittel angefochten werden.

Kurz vor dem Urteil sorgte der Angeklagte für einen kleinen Eklat. Denn die Verkündung und Begründung erfolgten ab 18.15 Uhr in Abwesenheit des 22-Jährigen, der sich trotz Hinweisen durch Justizwachtmeister demonstrativ vor dem Gerichtsgebäude aufhielt – und somit indirekt sein Desinteresse an der Entscheidung erkennen ließ. In seinem letzten Wort als Angeklagter hatte der Aktivist zuvor bereits erklärt, dass er sich von dem Urteil nichts erwarte.

Acht Stunden Verhandlung, zwölf Befangenheitsanträge

Der Berufungsprozess in Bochum war ähnlich überfrachtet von einer Antragsflut des Angeklagten wie bereits der erstinstanzliche Prozess am Amtsgericht in Witten. In Bochum war eine sitzungspolizeiliche Anordnung erlassen worden, Zuhörer wurden somit vor dem Gerichtsaal nochmals gesondert kontrolliert. Vor und im Saal waren den gesamten Tag über durchgehend sechs bis zehn Justizwachtmeister eingesetzt. 

Insgesamt zwölf Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende Richterin der Berufungskammer wurden gestellt - und im Anschluss nach und nach abgelehnt. Außerdem stellten der Angeklagte und sein studentischer Beistand in Serie Aussetzungs- und Beweisanträge. Zudem verlangten sie, dass im Saal verpflichtend eine FFP2-Maske angelegt werden müsse, wollten Zeitungsartikel, Unfall- und Feinstaub-Statistiken verlesen. Sämtliche dieser Anträge wurden vom Gericht abgelehnt. Mehrfach war im Prozess von dem offensichtlichen Ziel des Aktivisten die Rede, die Verhandlung zeitlich zu verschleppen.

Protest bei Verhandlung vor Amtsgericht

Beim erstinstanzlichen Prozess in Witten hatten seinerzeit elf Personen und ein Baby am Rande des Prozesses eine Spur der Bergerstraße in Witten lahmgelegt. Die Polizei war damals mehr als einem Dutzend Beamten und vier Streifenwagen vor Ort, um den Autoverkehr in Fahrtrichtung Bahnhof anzuhalten und umzuleiten.

Nach aktuell erneut diskutierten Plänen des Bundesjustizministeriums soll das Fahren ohne Fahrausweis demnächst nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern als Ordnungswidrigkeit behandelt werden. 

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