Witten. 20 Menschen haben nach dem Dachstuhlbrand an der Lessingstraße in Witten erst einmal ihr Zuhause verloren. Was soll jetzt aus ihnen werden?
Es war früh am Samstagmorgen, als 20 Hausbewohnerinnen und Bewohner an der Lessingstraße von einer Minute auf die andere obdachlos wurden. Ihnen ist außer ihrem Leben nicht viel geblieben. Das vierstöckige Haus ist nach dem verheerenden Dachstuhlbrand bis auf Weiteres unbewohnbar und darf nicht betreten werden.
Das Siegel der Polizei („Brandstelle beschlagnahmt“) klebt immer noch an der Haustür, dort, wo die Lessingstraße nur noch durch ein paar Poller von der kleinen Grünanlage gegenüber dem Hauptbahnhof getrennt wird. Es ist nicht die schönste Ecke der Innenstadt. In dem Haus haben ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund gelebt, darunter drei Familien mit jeweils vier Kindern, eine aus Pakistan, die anderen beiden aus Syrien. Das Sozialamt hat die 18 Personen erst einmal in der Brauckstraße untergebracht. Dort teilt sich eine sechsköpfige Familie nach eigenen Angaben nun ein Zimmer.
Zahid Tara (47) hat mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und zwei Söhnen seit zehn Jahren auf 120 m² im dritten Stock gelebt, direkt unter der Wohnung, in der das Feuer gegen 5.30 Uhr aus bisher noch ungeklärter Ursache vermutlich ausgebrochen ist. Plötzlich standen er und seine Familie draußen in der Kälte, die Mädchen noch im dünnen Kleidchen.
Weniger Ukrainer in der Brauckstraße
Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine hat sich in der Sammelunterkunft Brauckstraße etwas verringert. Aktuell leben dort 97 Menschen aus dem Kriegsgebiet. Offenbar konnten einige Familien wieder in Wohnungen vermittelt werden. 629 Ukrainer halten sich derzeit in Witten auf, wenn man die offiziellen Zahlen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zugrunde legt.Insgesamt wohnen in derBrauckstraße derzeit 225 Flüchtlinge. Wenn Familien – wie jetzt nach dem Brand – dort unterkommen, handelt es sich um akute Nothilfe. „Die Leute müssen erst mal ein Dach über dem Kopf haben“, sagt Stadtsprecher Jörg Schäfer. Für die Unterbringung in eine Wohnung sei das Jobcenter zuständig, städtisches Personal aber auch noch eingebunden.
Später, als die Flammen gelöscht waren, durfte der Vater kurz in die Wohnung, um das Nötigste zu holen. Es war ein schockierender Anblick. Gerade das Löschwasser, das von oben durch die Decke kam, hat vieles zerstört. „Die ganze Wohnung ist kaputt, die Möbel, die Elektrogeräte, alles nass“, sagt Zahid. „Dabei war es doch nicht unsere Schuld.“ Nun steht die Familie mit nichts da. Sie hat keine Hausratversicherung.
Zahid ist ein freundlicher Mann, keiner, der sich schnell beschwert. Aus der Brauckstraße, wo ihnen das Sozialamt Matratzen, Kissen und einen Kühlschrank zur Verfügung gestellt habe, sollen sie so schnell wie möglich wieder ausziehen, sagt der Pakistaner. „Wir verstehen das. Aber es ist richtig schwer“, beschreibt er die derzeitige Situation.
Zu sechst leben seine Frau und er mit den Kindern – die Jüngste ist zehn, die Älteste 16 – auf engstem Raum. Antworten, wann sie in ihre alte Wohnung zurückkönnen, haben sie bisher nicht bekommen. Und wird sie überhaupt je wieder bewohnbar sein, nach diesen massiven Schäden? Man könnte es auch so sagen: Familie Tara sucht so schnell wie möglich eine neue Bleibe. Ihr Schicksal teilen sie mit den beiden anderen Familien aus Syrien. Und einem jungen Mann aus Sri Lanka, der bei seinem Bekannten Muhamed in der Wideystraße untergekommen ist.
Vater aus Witten: „Wir haben unsere Sachen doch alle verloren oder können sie nicht holen“
Zahid Tara ist wegen einer neuen Wohnung zum Jobcenter geschickt worden, weil das die Kosten übernimmt. Er arbeitet zwar in der Sicherheitsbranche, ist aber Aufstocker, weil das Geld nicht reicht. Im Sozialamt habe er auch nach einem Gutschein gefragt, um das Nötigste für die sechsköpfige Familie zu besorgen und nicht sofort den Monatslohn für Neuanschaffungen auszugeben.
„Wir haben unsere Sachen doch alle verloren oder können sie nicht holen“, sagt er. Es fehlte ja an allem, „es gab keine Klamotten, kein Geschirr, keinen Topf fürs Kochen“. Einen Gutschein bekam er nicht, dafür hat nun der Help-Kiosk geholfen. „Acht Teller, einen Topf, das ist alles okay.“ Es gibt ja auch eine große Kleiderkammer. „Was wir brauchen, ist eine Wohnung.“
Muhamed, der Helfer aus der Wideystraße, kann all die Angaben von Zahid Tara bestätigen. Er habe nach dem Brand mit dem Vermieter des Hauses an der Lessingstraße gesprochen. Der konnte auch nur sagen: „Wir dürfen nicht rein.“ Die Polizei weiß selbst noch nicht, wann sie das Gebäude wieder freigibt. Bevor die Brandermittler hineingehen, müsse erst mit dem Statiker gesprochen werden. „Damit uns nicht buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt“, so ein Polizeisprecher.
Die Kinder von Zahid Tara besuchen die Rudolf-Steiner-Schule in der Billerbeckstraße. Für sie hat sich der Schulweg nun deutlich verlängert. Doch das ist nur nebensächlich. Sie wünschen sich nichts sehnlicher als wieder ein Zuhause.