Oberhausen. Wahlen haben feste Regeln. Manchmal passieren aber wunderliche Dinge, wie einer der dienstältesten Wahlhelferinnen in Oberhausen erzählt.

  • Seit gut 35 Jahren hat die Oberhausenerin Nicole Kenzer keine Wahl mehr verpasst, auch nicht als Wahlhelferin. Sie war seither jedes Mal dabei und möchte das Amt nicht mehr missen.
  • Im Gespräch erzählt die Stadtbedienstete wie es dazu kam, dass sie sich seit so vielen Jahrzehnten als Wahlhelferin in Oberhausen engagiert.
  • Der Ablauf von Wahlen unterliegt festen Gesetzmäßigkeiten, betont die Oberhausenerin. An die Regel halten sich die Wähler auch im Prinzip. Manchmal hat sie aber auch schon Überraschungen erlebt.

Ihre Ausbildung hat sie vor über 35 Jahren bei der Stadt Oberhausen absolviert, blieb dort und hat seither keine Wahl verpasst. Nein, sie hat nicht nur ihr Kreuzchen gesetzt, sie war auch stets als Wahlhelferin im Einsatz, bei jeder Abstimmung - ohne Ausnahme, ob kommunal, Land, Bund, EU.

Ältere Menschen aus Oberhausen sehen in Wahlen ein Privileg

Wenn Nicole Kenzer über ihr Engagement spricht, merkt man sofort: Für sie ist der Einsatz eine Selbstverständlichkeit, wobei es ja doch irgendwann einen Impuls gegeben haben muss, so viele Sonntage ihres Lebens in einem Wahllokal zu verbringen. „Bei uns zu Hause, mein Vater war Kriminalbeamter, hieß es immer sinngemäß: Man kann die Politik und Parteien nur dann kritisieren, wenn man auch wählen geht und seine Stimme abgibt.“ Als sie dann gefragt wurde, ob sie nicht Lust habe, mal als Wahlhelferin im Einsatz zu sein, „war ich natürlich sofort dabei“. Denn Wahlen unterliegen nun mal bestimmten Regeln. „Also bedarf es doch Menschen, die auf einen ordnungsgemäßen Ablauf achten“, so die frühere Basketballspielerin

Zusätzlich motiviert haben die heutige Leiterin der Feuerwehrverwaltung aber auch sicherlich ältere Menschen, die noch das Nazi-Regime durchlitten haben. „Für sie sind Wahlen regelrecht ein Privileg, den Wert von freien Wahlen wissen sie zu schätzen.“ Wenn die 53-Jährige darüber spricht, hat sie sofort Bilder aus dem Wahllokal im Seniorenheim Haus Abendfrieden vor Augen, in dem sie lange Jahre das Amt ausgeübt hat. „Meist standen die Senioren schon vor der Tür, wenn wir das Wahllokal geöffnet haben und sie hatten sich extra schick angezogen. Ein Wahlsonntag hatte eine besondere Bedeutung.“

Wahlhelferin Nicole Kenzer
Wahlhelferin Nicole Kenzer: Senioren standen bereits zur Öffnung der Wahllokale vor der Tür. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Rund 1900 Wahlhelfer sind in Oberhausen im Einsatz

Wenn an solchen Wahltagen die Türen aufgehen, hat für die 1900 Wahlhelfer in Oberhausen die Arbeit schon längst begonnen. Das jeweilige sechs- bis achtköpfige Team eines Wahllokals, Wahlvorstand genannt, kommt gut eine halbe Stunde vorher zusammen. Auf den Tischen legen die Helfer Wählerverzeichnis und Stimmzettel zurecht. Der wohl wichtigste Moment, um den Anspruch an geheime Wahlen zu erfüllen, geschieht, wenn die Wahlurne abgeschlossen wird und es von da ab bis zur Schließung des Wahllokals auch bleibt. Nicole Kenzer erinnert sich noch an eine Frau, die wohl vor lauter Aufregung neben ihrem Stimmzettel auch gleich ihren Personalausweis mit in die Urne geworfen hatte. Ihren sehnlichen Wunsch, den Ausweis direkt wieder herauszuholen, „war aber nicht zu erfüllen. Sie konnte ihn sich erst nach 18 Uhr abholen“. Da blieb den Helfern keine andere Wahl.

Wenn vor Öffnung der Wahllokale die Wahlurne verschlossen wird, bleibt sie es auch bis zur Schließung der Lokale.
Wenn vor Öffnung der Wahllokale die Wahlurne verschlossen wird, bleibt sie es auch bis zur Schließung der Lokale. © WP | Michael Kleinrensing

Falls es mal Fragen geben sollte, auf die keiner aus dem Team so recht keine Antwort weiß, „können wir natürlich in den Gesetzeswerken nachlesen“, sagt die gelernte Diplom-Verwaltungswirtin. Waren die Texte früher auf Papier vorrätig, stehen in digitalen Zeiten den Teams IPads zur Verfügung. Zudem erhalten die jeweiligen Vorsitzenden Handys von der Stadt gestellt, um erreichbar zu sein oder Quoten der Wahlbeteiligung durchzugeben. Die Medien wollen schließlich von der Stadt auch informiert sein.

Kreuzchen setzen für Menschen, die schlecht sehen können

Wenn es an Wahltagen auf den späten Vormittag oder die Nachmittagsstunden von 16/17 Uhr zugeht, erleben die Helfer meist den größten Zulauf. Allerdings hat sich die Zahl derer, die vor Ort ihre Stimme abgeben, verringert zu Gunsten von Briefwählern.

Brauchen Wähler Unterstützung, sind die Helfer zur Stelle. Haben ältere Menschen, auf Rollator oder Rollstuhl angewiesen, Schwierigkeiten zur Wahlkabine zu gelangen, „sind wir selbstverständlich an ihrer Seite.“ Falls jemand schlecht sieht, dürfen Wahlhelfer auch das Kreuzchen da machen, wo es der Wähler hinhaben will. „Wie alles, was mit unserer Aufgabe zusammenhängt, haben wir auch darüber Stillschweigen zu wahren“.

In den Wahlkabinen bleiben Facebook, Insta und Co. außen vor

Damit die Wahl eines jeden Bürgers auch wirklich geheim bleibt, darf auch immer nur eine Person in die Wahlkabine. Manche Paare wollen indes gemeinsam ihr Kreuzchen machen wollen. Aber bei aller Liebe - hier schiebt das Gesetz einen Riegel vor. Obacht geben die Helfer zudem, dass in Zeiten von Insta, Facebook und Co. niemand seinen Wahlakt mit dem Handy filmt, um ihn anschließend ins Netz zu stellen. Auch hier gilt: geheim ist geheim, Netzwerken hat mal eine Pause verdient.

Wahlhelferin Nicole Kenzer
Wahlhelferin Nicole Kenzer: Bei Kritzeleien wird ein Stimmzettel ungültig. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Apropos Pause: Die Helfer teilen sich meist den Tag auf, die eine Hälfte übernimmt den Vormittag, die andere den Nachmittag. Zum Kreis der helfenden Hände zählen zum einen Stadtbedienstete wie Nicole Kenzer, aber zu gut 50 Prozent auch Freiwillige aus der Bevölkerung. Die einen bekommen für ihr Engagement Freizeitausgleich, die anderen ein Erfrischungsgeld, das zwischen 55 und 80 Euro liegt. Im Übrigen melden sich häufiger auch Jugendliche, die einfach mal wissen wollen, wie denn so eine Wahl abläuft.

Kritzeleien machen einen Stimmzettel ungültig

Während die Wähler um 18 Uhr bereits die ersten Prognosen ins Wohnzimmer geliefert bekommen, ist von den Helfern höchste Konzentration gefordert. Die Stimmzettel werden für jede Partei sortiert, zusammengelegt, durchgezählt. Ungültige Zettel sortiert man aus. Manche Wähler haben gar kein Kreuzchen gemacht oder auch viel zu viele. Meinte jemand den Witzbold spielen zu müssen und auf den Zettel gekritzelt „sind doch eh alle gleich“ wird die Stimme ebenso wenig mitgezählt.

Das Resultat hält der Vorstand auf Formularen fest und gibt die Daten an die Wahlleitung durch. Rathaus-Mitarbeiter holen Urne, Stimmzettel und alle weiteren Unterlagen wieder ab. Auf das Material warten die Statistiker schon, die das Ergebnis auseinanderpflücken. Für ihre Analyse wollen sie Fragen beantwortet haben wie beispielsweise, welche Partei wo und wie viel verloren oder gewonnen hat.

Während viele Wähler längst die ersten Prognosen kennen, zählen  Wahlhelfer in Oberhausen und anderswo noch die Stimmen aus.
Während viele Wähler längst die ersten Prognosen kennen, zählen Wahlhelfer in Oberhausen und anderswo noch die Stimmen aus. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Nicole Kenzer hat dann ihr Tagewerk längst hinter sich und sagt: „Ich bin bei jeder Wahl über eines aufs Neue überrascht: Während wir noch auszählen, liefern die Sender schon die ersten Prognosen, die kaum von den endgültigen Ergebnis abweichen“.

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