Oberhausen. Vor der Bundestagswahl laden Schülerinnen und Schüler die Oberhausener Kandidaten zu einem Talk ein. Das Gespräch bietet jede Menge Zündstoff.
Der Polittalk am Oberhausener Bertha-von-Suttner-Gymnasium hat eine lange Tradition. Und lange nicht mehr war er so spannend wie in seinem 22. Jahr. Das Ampel-Aus hat nicht nur zur Folge, dass bereits im Februar gewählt wird, sondern auch, dass die Politik Vertrauen eingebüßt hat. Die Koalition aus SPD, Grüne und FDP ist krachend gescheitert, die Parteien rutschen in den Umfragen ab. Sie müssen vor der nächsten Bundestagswahl die Menschen umstimmen, wenn sie ihre bisherigen Ergebnisse halten oder ausbauen wollen. Die AfD und BSW sind derweil angesichts von Prognosen in Hochstimmung.
Das ist die Lage, zu der die Schülerinnen und Schüler die Oberhausener Kandidaten für ihren Polittalk einluden. Das Bündnis-Sahra-Wagenknecht hatte auf die Einladung nicht geantwortet, dafür war wieder die AfD dabei. Bei zurückliegenden Ausgaben hatten sich die anderen Parteien geweigert, mit der Alternative für Deutschland zu diskutieren. Dieses Mal war die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei vertreten und sorgte gleich für Zündstoff - und Gelächter unter den Schülern.
AfD-Mann sorgt für Diskussionen: Ukraine soll „Milliarden für Skigebiete“ ausgeben
Mehr als 100 Fragen hatten die Demokratie-AG vorab erreicht, die besten wurden für den eineinhalbstündigen Talk in der vollen Aula ausgewählt. Erstes Thema Wahlrecht, bei dem sich im Sinne der Schüler zu wenig getan hat. Unter 18-Jährige dürfen im Februar - anders als bei der Europawahl - nicht abstimmen. Die nächste Frage hatte es dann in sich: Es ging um den Ukraine-Krieg und die deutsche Unterstützung. Das Bertha ist mit einer ukrainischen Schule in Saporischschja partnerschaftlich verbunden, am Gymnasium selbst werden ukrainische Geflüchtete unterrichtet. Die Frage hat also zentrale Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler des Bertha.
Dirk Vöpel von der SPD pochte darauf, die Ukraine „mit allen Möglichkeiten zu unterstützen“, Sascha Wagner von den Linken hingegen forderte friedliche Verhandlungen. Dann war Uwe Lindackers von der AfD an der Reihe - und es wurde wild. Der Direktkandidat fordert ein Ende der Sanktionen gegen Russland („Der Krieg ist verloren“), geriet dann allerdings durcheinander und verwechselte den ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit dem russischen Ex-Präsidenten Jelzin. Die nächste Bemerkung brachte ihm zum einen Gelächter in den Schülerreihen ein und zum anderen auch Gegenwind: In vielen Gebieten herrsche kein Krieg, stattdessen würden für „Milliarden Skigebiete gebaut“, um Touristen anzulocken. Lindackers sprach von einer „Lüge“, was die Grünen-Kandidatin Franziska Krumwiede-Steiner zur Wut brachte: „Das ist absoluter Blödsinn, was sie da erzählen.“ Auch Stehr von der CDU fand die Behauptung „menschlich abenteuerlich“.
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Tatsächlich findet sich im Internet ein Bericht über ein Kraftstoffunternehmen, das in der Ukraine ein großes Skigebiet entwickeln möchte. Laut Faktenchecker-Portal „Mimikama“ handelt es sich allerdings um ein privatfinanziertes Projekt, das in die Zukunft ziele und bereits vor Ausbruch des Krieges begonnen wurde.
Selbstbestimmungsgesetz - Schüler konfrontieren die CDU
Nach dem kurzen Zoff auf der Bühne beruhigte sich der Polittalk. Wie in den vergangenen Jahren waren die Schülerinnen und Schüler bemerkenswert vorbereitet, konfrontierten die Politiker mit Widersprüchen und stellten hartnäckig Fragen, etwa zum Selbstbestimmungsgesetz, das die CDU wieder abschaffen möchte. Stehr glaubt, dass die Hürden für eine Änderung des Namens höher sein müssten. Auch, weil die Entscheidung sonst zu einfach zurückzunehmen sei. Das sorgte ebenfalls bei den Schülerinnen und Schülern für Diskussionen in den Rängen. Grünen-Abgeordnete Krumwiede-Steiner punktete mit einer persönlichen Geschichte über eine transsexuelle Abgeordnete aus ihrer Partei. „Das ist keine Entscheidung zwischen Erdbeer- und Schokoladeneis, sondern eine, die unser Innerstes berührt“.
Krumwiede-Steiner konnte im Verlauf noch weiteren Boden bei den Themen Migration, Wahlrecht, Wehrdienst und Klimawandel gut machen. Bei Letzterem kassierte Lindackers Buh-Rufe, weil er behauptet, dass der Klimawandel „nicht menschengemacht“ sei. An der fiktiven Wahlurne fiel der AfD-Mann durch, bekam nur 3,7 Prozent der Stimmen. Krumwiede-Steiner holte für die Grünen 38,3 Prozent. Vöpel und die SPD folgten mit 19,9 Prozent, Stehr (CDU) mit 10,1, Müller-Böhm (FDP) kam auf 9,7 und Wagner von den Linken Liste auf 7,1 Prozent.
Sechs Prozent konnte kein Kandidat für die Bundestagswahl überzeugen
Auch interessant: Obwohl nur fiktiv drückten 6,3 Prozent ihren Verdruss aus. Sie enthielten sich, anscheinend, weil niemand der sechs Kandidaten sie überzeugen konnte.