Oberhausen. Krise kann jeder, aber Oberhausen darf - trotz aller Finanznot - stolz sein auf sein reiches Kulturleben und dessen weit ausstrahlende Qualität.
„Krise“, ganz groß geschrieben, scheint sich mit jedem Jahr mehr zum entscheidenden Begriff der 2020er Jahre aufzuspielen. Man möchte sich nur noch wegducken, die Decke über den Kopf ziehen und einen bärig langen Winterschlaf antreten. Denn ganz abgesehen von den gruseligen Aspekten der Weltpolitik und des Klimawandels scheint der allgegenwärtige Krisenmodus nun auch noch krachend ins Stadtleben einzuschlagen.
Dabei produziert Oberhausen mit erstaunlicher Verlässlichkeit immer wieder positive Schlagzeilen: nämlich aus dem Kulturleben. Es ist das leuchtende Signal, dass eine überschuldete Stadt, die nicht seit Jahren, sondern schon seit Jahrzehnten am Rande der Pleite laviert, sich nicht aufgegeben hat. Und sich auch nicht aufgeben muss. Die rein fiskalisch betrachtet „freiwillige Leistung“ Kultur trägt ganz entscheidend bei zur Wahrnehmung von Oberhausen - eben nicht nur als Schmuddelkind, das seine zahlreichen Dreck-Ecken nicht ausfegt, sondern als Stadt, die ihren Bürgern vielfältig Faszinierendes zu bieten hat.
Das soll jetzt nicht der Kultur als Eventhascherei das Wort reden. Denn die ganz großen Spielstätten, wie das jüngst wieder belebte Metronom-Theater und die Rudolf-Weber-Arena, gleichen schon eher „Raumschiffen“ aus ferneren Galaxien: Gebaut für ein Publikum aus weitem Umkreis und schon von der Preisgestaltung her eher Ziele für einen Kurzurlaub. Und wer kann sich schon wöchentlich oder auch nur monatlich Kurzurlaube leisten? Touristiker mögen mit solchen Pfunden in die Marketing-Offensive gehen, dabei muss das vier lange Jahre geschlossene Musical-Theater am Centro sich erst einmal neu beweisen: Sind die Tournee-Produktion von „Semmel Concerts“ wirklich groß genug, um vor einem anspruchsvollen Publikum hohe Eintrittspreise zu rechtfertigen?
Bisher unter Wert verkauft: Theater und Ludwiggalerie Oberhausen
Andere tasteten sich im Laufe des ausgehenden „Krisen“-Jahres erst ganz vorsichtig an Preissteigerungen heran - dabei hatten die sich mit Bestleistungen in Serie bisher sogar unter Wert verkauft: nämlich das Theater Oberhausen, das benachbarte Ebertbad und die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen. Diese Drei sind die eigentlichen großen Kultur-Player dieser Stadt. Die famose Badeanstalt hat sich aus dem Comedy- und Kabarett-Refugium aufs Allerschönste diversifiziert und bietet 1a-Musiker zu gemäßigten Preisen, aber dafür ganz nah in bester Klangqualität und behaglichem Ambiente. Das sollen die überteuerten Kölner Clubs erst mal nachmachen. Auch das Theater beweist seine Strahlkraft - und wagt im neuen Jahr das Experiment eines Bus-Abos. Als Intendantin kann Kathrin Mädler guten Mutes sein, auch in der bevorstehenden Spielzeit während der letzten großen Umbau-Phase des 104-jährigen Theaters ihr Publikum zu begeistern.
Die großen Pläne der Ludwiggalerie für ein Comic-„Moerseum“ am Rande des Kaisergartens könnte, wer will, als „Wolkenkuckucksheim“ abtun. Eine 20-Millionen-Investition stemmt sich nicht mal so eben. Doch um zu sehen, was alles geht in Oberhausen, muss man nur nach Sterkrade blicken: Schließlich zieht nun endlich auch die städtische Musikschule um in ein Multi-Millionen-Ding, das schon vor Jahren als „Rathaus der Musik“ angekündigt war.
LVR-Museum gefährdet als Dauerbaustelle das Zentrum Altenberg
Das einzige kulturelle Großprojekt, das mit trauriger Konsequenz kaum etwas von sich hören lässt, ist das LVR-Industriemuseum in der Zinkfabrik Altenberg, das einst unter dem Motto „Vision 2020“ gestartet war. Inzwischen bringt die Dauer-Installation aus Bauzäunen und Umwegen das soziokulturelle Zentrum Altenberg in echte Bedrängnis: Manche mögen ja kaum noch glauben, dass deren Betrieb weiterläuft.
Dabei sind es gerade die vermeintlich kleinen Kultur-Player, die sich größten Respekt verdient haben: Von den liebevoll kuratierten Filmschätzen, die das winzige Walzenlager-Kino hebt, über die Konzerte nebenan, die von Progressive Rock bis Americana etliche Klang-Gourmets bestens bedienen bis zu den Dauergästen im Gdanska: dem Jazzkarussell, Gitarrissimo und Indie Radar Ruhr. Ihnen allen müsste man eigentlich Abbitte leisten, weil sie nicht ständig überrannt werden von Fans - obwohl es hier verlässlich Großartiges zu sehen und zu hören gibt.
Etwas Abstand vom ritualisierten Krisen-Modus
Die freien Kulturträger müssen auch Größe zeigen gegenüber ihrer eigenen, klammen Stadt, die sie nicht mehr so fördern kann, wie es angesichts der Qualität angemessen wäre: Rund ums Literaturhaus Oberhausen oder zu den Kleinoden im Programm der Zeche Alstaden lässt sich kein touristischer Bombast auffahren, doch das schmälert ihre Klasse kein bisschen. Wer sich im reichen Kulturleben dieser vermeintlich armen Stadt tummeln darf, der gewinnt - neben vielem anderen - auch etwas Abstand vom ritualisierten Krisen-Modus.
- Anmerkung der Redaktion:
- Ralph Wilms blickt in diesem Artikel auf die Kulturszene der Stadt Oberhausen – und diese persönliche Wertung der Stärken des Kulturangebots ist zugleich auch sein Blick zurück auf eine ereignisreiche Zeit als ausgewiesener und geschätzter Kulturredakteur der FUNKE-Mediengruppe. Denn Wilms hat sich zu unserem Bedauern entschieden, vorzeitig mit 63 Jahren in den Ruhestand zu wechseln.
- Hinter ihm liegt eine seit 1988 andauernde lange journalistische Karriere in WAZ-Lokalredaktionen: Dorsten, Recklinghausen, Witten, Buer – und Oberhausen. Seit zehn Jahren verfolgt Ralph Wilms für unsere Leserinnen und Leser das hiesige Kulturgeschehen – liebevoll, leidenschaftlich, kritisch mit hoher Fachkenntnis.
- Wir sagen ihm für diesen Einsatz tausend Dank. Und wir wünschen ihm für seinen neuen Lebensabschnitt alles Gute – wohl wissend, dass er auch künftig die Kulturszene im Ruhrgebiet nicht aus den Augen verlieren wird.