Mülheim/Dortmund. Propaganda oder harmlose Folklore? Jan Böhmermann hat die Shows von „Shen Yun“ in Mülheim und Dortmund thematisiert. Worum es genau geht.

Mehrere tausend Zuschauerinnen und Zuschauer haben in den vergangenen Tagen die Shows von Shen Yun in Mülheim verfolgt. Von Mittwoch bis Sonntag gastierte das Tanzensemble für insgesamt sechs Auftritte in der Stadthalle. Das hat auch der Satiriker und Journalist Jan Böhmermann mitbekommen, der die aktuelle Deutschland-Tournee von Shen Yun am Freitag in seiner ZDF-Sendung „Magazin Royal“ thematisierte – und starke Kritik an der Organisation übte, die hinter den Auftritten der Tänzerinnen und Tänzer steht, die derzeit in mehreren Städten in Deutschland beworben werden. Im April sind weiteres Shows im Theater in Dortmund geplant.

Die weltweiten Auftritte der Tanzgruppe werden von der chinesischen Bewegung Falun Gong (auch als Falun Dafa bezeichnet) finanziert und organisiert. Diese religiöse Meditationsbewegung entstand in den 1990er-Jahren in China und rückte 1999 ins Bild der Weltöffentlichkeit, weil Tausende Anhängerinnen und Anhänger in Peking friedlich gegen das kommunistische Regime demonstrierten.

Mitglieder von Falun Gong werden seitdem erwiesenermaßen in China verfolgt, tausende Menschen starben, es gibt Berichte über Folter. Auch die Bundesregierung hatte die chinesische Regierung in der Vergangenheit aufgefordert, die Menschenrechte der Falun-Gong-Praktizierenden zu wahren.

Shen Yun in Mülheim: Ein China vor dem Kommunismus

Laut eigenen Angaben praktizieren heute weltweit rund 100 Millionen Menschen die Lehre, die nach Einschätzung der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen dem buddhistischen Qi Gong zuzurechnen ist. Zur Praxis gehören demnach nicht nur fünf Meditationsübungen, sondern auch die beständige Lektüre der Lehren des Falun-Gong-Gründers Li Hongzhi. Hierin wird unter anderem Homosexualität als „Untat“ bezeichnet – und in einem Satz mit Drogenkonsum genannt. Kritiker bezeichnen die Bewegung als Sekte oder sektenähnlich.

„Der Begriff ‚Sekte‘ ist für Falun Gong gerechtfertigt“, sagt Professor Dr. Thomas Heberer, Seniorprofessor am Institut für Ostasienwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit China und hat sich auch mit der Meditationsbewegung auseinandergesetzt. Laut Heberer treffen bei Falun Gong eine Mischung aus traditionellen Heilvorstellungen und Aberglaube aufeinander. Die Tanzshow Shen Yun, die ihren Hauptsitz in New York hat, diene der Organisation vor allem als wichtige Einnahmequelle.

Shen Yun wirbt damit, dass in der Show, die nun auch in Mülheim zu sehen war, ein China vor dem Kommunismus zu erleben sei. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen chinesische Volkstänze und Tänze nationaler Minderheiten Chinas. Mythen, Legenden und historische Begebenheiten werden mit dem klassischen chinesischen Tanz dargestellt. Shen Yun soll zumindest in Teilen die politische Botschaft hinter Falun Gong auf künstlerische Art und Weise verbreiten – und damit auch direkt die kommunistische Führung in China kritisiert.

Böhmermann kritisiert Falun Gong in seiner ZDF-Sendung

In seinem Beitrag im „Magazin Royale“ greift Jan Böhmermann besonders zwei Kritikpunkte auf: Zunächst geht es um eine Recherche der New York Times. Das US-Medium hatte über Vorwürfe berichtet, wonach die Tänzerinnen und Tänzer von Shen Yun teilweise minderjährig seien und ausgebeutet würden – die Tanzgruppe bestreitet diese und andere Vorwürfe in mehreren ausführlichen Stellungnahmen auf ihrer Internetseite und wirft der renommierten Zeitung „Diffamierung und Verleumdung“ vor.

Jan Böhmermann bei einem Auftritt in Essen. In seiner ZDF-Show „Magazin Royale“ hat er eine Show von Shen Yun in Mülheim kritisiert.
Jan Böhmermann bei einem Auftritt in Essen. In seiner ZDF-Show „Magazin Royale“ hat er eine Show von Shen Yun in Mülheim kritisiert. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Außerdem geht Böhmermann auf das Medium „Epoch Times“ ein, hinter dem ebenfalls die Falun-Gong-Bewegung steckt. Das Portal Newsguard, das die Glaubwürdigkeit von Webseiten bewertet, wählte die als rechts geltende Epoch Times im Jahr 2022 laut Bayrischem Rundfunk auf Platz eins der unglaubwürdigsten deutschsprachigen Nachrichtenmedien.

Die Seite habe mehrfach falsche Behauptungen veröffentlicht, unter anderem zur Corona-Pandemie. Mit der Epoch Times verbreite Falun Gong „rechtspopulistische Propaganda in der ganzen Welt und sägt so an unserer liberalen Gesellschaft herum“, formulierte es Böhmermann in seiner Sendung. Die Epoch Times publiziert ebenso regelmäßig Jubelartikel über Auftritt von Shen Yun, auch über die Abende in Mülheim ist aktuell ein Beitrag auf dem Portal zu finden.

Auftritt in Mülheim: Das sagt die MST zu Shen Yun

Die Tanzabende in der Stadthalle und ein geplantes Event im Theater Dortmund ziehen nach der Böhmermann-Sendung in jedem Fall weitere Kreise. Denn mehrere SPD-Landtagsabgeordnete haben zu Shen Yun eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt – darunter Rodion Bakum aus Mülheim sowie Anja Butschkau, Volkan Baran, Nadja Lüders und Ralf Stoltze aus Dortmund.

Zu Falon Gong heißt es in der Anfrage: „Diese Bewegung wird international kontrovers diskutiert, unter anderem wegen Vorwürfen von sektenähnlichen Strukturen, wissenschaftlich fragwürdigen Heilmethoden und diskriminierenden Weltanschauungen gegenüber Homosexuellen und Menschen anderer Ethnien.“ Die Abgeordneten wollen unter anderem wissen, wie die Landesregierung die Vorwürfe gegen die chinesische Bewegung bewertet und welche Kommunikation zwischen der städtischen Gesellschaft MST, dem Theater Dortmund der Landesregierung und Falun Gong stattgefunden habe.

Michael Birr ist Geschäftsführer der Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft MST und bezieht Stellung zum Böhmermann-Beitrag über Shen Yun.
Michael Birr ist Geschäftsführer der Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft MST und bezieht Stellung zum Böhmermann-Beitrag über Shen Yun. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Für Michael Birr, den Geschäftsführer des Mülheimer Stadtmarketings, stellten die Auftritte von Shen Yun kein Problem dar. „Es gab keinerlei Zwischenfälle und wir hatten begeisterte Zuschauer“, sagte er am Montag im Gespräch mit der Redaktion. Das Stadtmarketing veranstaltet die Tanz-Shows nicht selbst, sondern hat in diesem Fall die Halle an Shen Yun beziehungsweise den in Deutschland dahinterstehenden Verein Falun Dafa vermietet.

Es habe für das MST keinen Anlass gegeben, die Veranstaltungen in der Stadthalle nicht zuzulassen. „Die Gruppe ist nicht verboten und wir üben keine Zensur aus“, betont Michael Birr.

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