Mülheim/Essen/Duisburg. Zwei Essener krachen in den Smart einer Mülheimer Familie. Eine Frau stirbt. Den Mann der Getöteten und die Kinder belastet der Unfall bis heute.

Es sind bedrückende Sätze, die Michael K. spricht: Am Dienstag ist vor dem Duisburger Landgericht als Zeuge der Mann der Frau geladen, die bei dem Horror-Unfall im vergangenen Frühjahr auf der Aktienstraße ums Leben gekommen ist. „Meine Frau lag mit dem Kopf auf meinen Schoß und hat leise gestöhnt.“ So beschreibt der 47-Jährige die Situation im ersten Moment nach der Kollision in Höhe der A40-Ausfahrt Mülheim-Winkhausen. Seine Frau Sandra stirbt Stunden später nach erfolgloser Wiederbelebung in einem Krankenhaus.

Zu dem Unfall kommt es am 7. März 2024 in den Abendstunden eines Donnerstags. K. ist wie so oft von seiner Frau und seinem kleinen Sohn von der Arbeit in Essen abgeholt worden. Es gibt einen Fahrerwechsel. K. setzt sich ans Steuer des Elektro-Smart ForFour, seine Frau fährt nicht gern Auto, erst recht nicht Autobahn. Die Familie will von Essen kommend von der A40 auf die Aktienstraße Richtung Mülheimer Innenstadt abbiegen. Es soll nach Hause gehen. Dann kracht es.

Die Tür ist blockiert, die Beine sind im Fußraum eingeklemmt

K. sagt, er sei mit 30 oder vielleicht 40 Stundenkilometern auf die Kreuzung zugerollt. 10, 15 Meter davor habe seine Ampel noch Grün gezeigt. Dann endet seine Erinnerung: In der Kreuzung erfasst ein Cupra Leon, 300 PS stark, in dem zwei junge Männer aus Essen sitzen, den Wagen der Familie. „Das erste, was ich nach dem Unfall wahrgenommen habe, ist eine erstaunlich klare Sicht auf den Himmel“, schildert K. im Prozess, „ich habe geguckt, wie es meiner Frau und meinem Kind geht.“ Der Junge im Kindersitz auf der Rückbank sei erstaunlich ruhig geblieben. K. hofft, dass es schon irgendwie gut ausgehen wird: „Dass das alles so schlimm werden wird, ist mir im ersten Moment nicht bewusst geworden.“

Der Mülheimer kommt selbst nicht aus dem Wagen. Die Tür ist blockiert, seine Beine sind im Fußraum eingeklemmt. Rettungskräfte versuchen, seine Angehörigen zu retten. Der Familienvater hat noch seine ältere Tochter rufen können, die sich um den Sohn kümmern soll und zur Unfallstelle fährt. Der Junge hat Autismus und eine schwere Sprachstörung, kann sich nicht selbst verständigen.

An anderen Tagen dienen die abendlichen Abholfahrten auch der Beruhigung des Sohnes, der gern unterwegs ist. An diesem Tag werden die beiden Kinder gemeinsam in eine Klinik gebracht. Auch K. kommt ins Krankenhaus. Der Sohn hat den Unfall glimpflich überstanden.

Familienvater ist nach Unfall in Mülheim monatelang krankgeschrieben

Der Familienvater ist selbst schwer verletzt worden, wie er im Gericht berichtet. Er habe mehrere Frakturen erlitten. Besonders die Lunge habe es schwer getroffen: „Ich bin ein paar Tage am Rande der Reanimationspflicht geschrammt.“ Mit den Begriffen kennt er sich aus. K. hat früher mal eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht. Neun Tage liegt er auf der Intensivstation: „Dann bin ich gegen den ärztlichen Rat nach Hause. Die Kinder waren ja allein.“

Der Mülheimer erzählt auch, dass bei ihm im Nachhinein eine „überdurchschnittliche Schmerztoleranz“ festgestellt worden sei. Dass er sich bei dem Unfall beide Hände gebrochen hat, fällt erst später auf. Bis heute hat er gesundheitliche Probleme mit der Zunge. Monatelang ist er krankgeschrieben.

Der Smart ForFour der Familie ist bei dem Unfall zerstört worden.
Der Smart ForFour der Familie ist bei dem Unfall zerstört worden. © Feuerwehr Mülheim an der Ruhr/dpa | Feuerwehr Mülheim an der Ruhr

Wegen des Unfalls sitzt Nico B. auf der Anklagebank. Ihm werden Mord und versuchter Mord vorgeworfen. Der inzwischen 28-jährige Essener soll laut polizeilichen Ermittlungen mehr als Tempo 100 auf dem Tacho seines hochmotorisierten Firmenwagens gehabt haben, als es zu der Kollision gekommen ist, und schon zuvor in Schlangenlinien über die Aktienstraße und über rote Ampeln gefahren sein. B. schweigt. Seit fast einem Jahr sitzt er in Untersuchungshaft.

Der Beifahrer aus dem Cupra Leon steht als Zeuge vor Gericht

Sein Freund Tobias L. spricht. Der 26-jährige Essener ist der Beifahrer aus dem Cupra. Er und sein Freund seien zuvor in einem Fitnessstudio und dann auf dem Heimweg gewesen. „Wir sind die Aktienstraße hochgefahren und dann kam es leider zum Crash“, sagt er lapidar. Die Vorsitzende Richterin fragt ihn zu den Vorwürfen: Über rote Ampeln gerast? „Das kann ich nicht bestätigen.“ Schneller als 100 km/h? „Ich kann mir nicht erklären, wie diese Geschwindigkeit zustande kommt.“ Also Ihr Gefühl war 50? „Ja.“

„Nach dem Unfall hat Nico gesagt: ,Aber es war doch Grün‘“, sagt L., der seinen Freund einen „guten und normalen“ Autofahrer nennt. Die beiden haben einst zusammen Abitur gemacht, sich dann aus den Augen verloren und dann wieder angefangen, Zeit miteinander zu verbringen. Jetzt schreibt L. seinem Freund B. Briefe ins Gefängnis.

Noch sieben weitere Prozesstermine bis Ende März angesetzt

B. sei ein „bodenständiger Typ“, sagt der 26-Jährige, „einfach ein sehr guter Freund.“ Auch sonst schreibt er ihm nur positive Attribute zu: „großzügig, höflich, nett, gewissenhaft, mehr introvertiert, eher sensibler.“ Ob L. nach dem Unfall auf seinen Freund sauer gewesen sei, will Verteidiger Baris Gültekin wissen: „Nein“, antwortet der Beifahrer.

Nicht nur die Verteidigung bedauere den Unfall und seine Folgen, erklärt Anwalt Marc Grünebaum in einem kurzen Statement: „Unserem Mandanten tut das auch leid und er möchte sich entschuldigen.“ Das werde aber an einem späteren Prozesstermin passieren, wenn sich B. auch zum Sachverhalt äußern wolle. Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt. Bis Ende März sind noch sieben weitere Termine angesetzt.

Familienvater K. wird von der Vorsitzenden Richterin noch gefragt, wie es ihm heute, knapp ein Jahr danach gehe: „Überlebensmodus“, antwortet der 47-Jährige: „Wir sind darauf fokussiert, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen, auch mit dem Sohn.“ Er sei weiter in Behandlung. Die Tochter, die den Sohn nun mit betreue, sei mit der Situation „tough“ umgegangen, auch wenn es für sie eine „komplett neue und große Herausforderung“ gewesen sei. K. bilanziert: „Es gibt deutlich dunklere Zeiten als heute, aber so ganz lässt einen das nicht los.“