Mülheim. Immer mehr Senioren in Mülheim sind auf Hilfe angewiesen – und ihre Familien stehen vor großen Herausforderungen. Ein Krankenhaus will helfen.

  • Plötzlich Pflegefall: Wenn Angehörige von heute auf morgen vor großen Fragen stehen.
  • Das EKM unterstützt Familien mit kostenfreier Beratung.
  • Wie ein älterer Mann alles daransetzt, sein Eheversprechen zu halten – und dabei auf professionelle Hilfe zählen kann.

Oft passiert es von einem Tag auf den anderen: Ein eben noch mobiler, älterer Mensch ist mit einem Mal dauerhaft auf Hilfe angewiesen. Vielleicht nach einem Sturz und einem Krankenhausaufenthalt. Angehörige stehen vor der Frage: Wie kann es weitergehen, was ist der beste Weg für unseren geliebten Menschen - und für uns? Ein Umzug ins Heim ist für viele undenkbar. Sie möchten dem Familienmitglied selbst zur Seite stehen, sich kümmern. Iris Hotzel, Pflegeberaterin im Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM), kennt die Herausforderungen, die diese Entscheidung mit sich bringt. Seit zehn Jahren arbeitet sie in der „Familialen Pflege“, einer Abteilung des EKM, die seit Jahren eine immer stärkere Nachfrage erlebt und daher jetzt ausgebaut wird.

Es tut gut, der Fachfrau und ihrer Kollegin, der Geriatrie-Koordinatorin Nicole Clemens, zuzuhören. Sie sprechen das angstbesetzte Thema frei an, gehen behutsam damit um, vermitteln Zuversicht. Beide waren schon Zeugen manch schwieriger Situation. Hotzel erlebt diese oft als „Lebenskrise, die die Beteiligten von jetzt auf gleich überfällt“. Man ist emotional stark betroffen, hat vielleicht lähmende Angst um den Angehörigen, „und doch muss man klar denken und handlungsfähig bleiben“.

Mülheimer Ehepaar hatte sich fest versprochen, immer füreinander da zu sein

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Kürzlich erst ist Iris Hotzel wieder eine Geschichte unter die Haut gegangen. Ein gemeinsam gealtertes Ehepaar hatte sich versprochen, um jeden Preis im Alter füreinander da zu sein. Dann kam die Frau mit einer schweren Lungenerkrankung ins Krankenhaus. „Sie konnte nicht mehr viel, brauchte umfangreich Unterstützung.“ Zum Beispiel bei der Körperpflege und dabei, sich wenigstens noch einen Rest Mobilität zu bewahren. Zudem war da das Sauerstoffgerät, an dem die Frau Tag und Nacht hing. „Der Mann musste auch den Umgang damit lernen.“ Man habe ihn geschult, ihm erklärt, was bei Störungen zu tun ist. „Letztlich aber war er zu Hause allein damit.“

Auch andere Fragen kamen auf: Wo stelle ich das Pflegebett hin in unserer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung? Wie begleite ich meine Frau zur Toilette? Wie beantragen wir den Pflegegrad? Der Mann fragte verzweifelt: „Schaffe ich das überhaupt alles?“ Die Furcht war groß, aber eben auch die Ehrfurcht vor diesem einen Satz: „Wir sind im Alter auf jeden Fall füreinander da.“

„Wir hören hier oft: ‚So haben wir uns das nicht vorgestellt‘“

Hotzel weiß, wie ernüchternd und hart der Alltag als pflegender Angehöriger sein kann. Im Vorfeld mag sich alles schaffbar anfühlen, dann holt einen die Realität ein: „Wir hören oft: ‚So haben wir uns das nicht vorgestellt.‘“ Fraglos brauchen Ehepartner, Kinder, Enkel oder andere Mutige, die das Pflegen übernehmen möchten, qualifizierten Rat, Unterstützung in Wort und Tat.

Das Team der „Familialen Pflege“ liefert gern: Wenn eine Patientin oder ein Patient noch in der Klinik ist, gibt es dort Hilfe. Und wenn sie oder er schon wieder zu Hause ist, eben dort. „Sobald Angehörigen uns ein Signal geben, sind wir am Start“, verspricht Pflegedirektor Jens Gorgs. Und im Idealfall sogar schon dann, wenn sich gerade erst abzeichnet, dass ein Nahestehender vielleicht bald in diese Lage geraten könnte. Das Team bietet Pflegekurse an, auch für Angehörige Demenzkranker, Gesprächskreise und Cafés. Es vermittelt ambulante Pflegedienste, Hauswirtschaftskräfte, Essen auf Rädern, den Hausnotruf, bietet individuelle Pflegetrainings am Bett an. All das ist kostenfrei. Träger sind unter anderem die AOK Rheinland/Hamburg und die AOK Nord/West.

Familiale Pflege
Das Trio des EKM will die Mülheimer fit machen für die Pflege Angehöriger. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Mülheim ist jetzt schon eine alte Stadt“, sagt die Geriatrie-Koordinatorin

Laut dem Demografieportal des Bundes und der Länder waren 2023 in Deutschland rund 18,9 Millionen Menschen 65 Jahre und älter. Das waren rund 22 Prozent der Bevölkerung. 2050 wird voraussichtlich schon mehr als jeder vierte Einwohner zu dieser Gruppe zählen. „Mülheim ist jetzt schon eine alte Stadt“, findet Clemens. Immer häufiger stehen also auch hier Familien vor der Frage: Wie geht es weiter?

Hotzel berät solche Familien seit zehn Jahren, „und bis dato war ich mit dem Job allein auf weiter Flur“. Nun aber ist Schluss, es gibt endlich Verstärkung. Das EKM hat drei neue Kolleginnen eingestellt und eingearbeitet, „allesamt erfahrene Pflegefachkräfte“, so Clemens. „Die starten jetzt durch.“ Jedes Teammitglied habe einen eigenen Schwerpunkt, kenne sich besonders gut aus bei Fragen zu Geriatrie, Unfallchirurgie, Innerer Medizin oder Pneumologie.

„Durch Corona ist die Scheu vor dem Krankenhaus gewachsen“, glaubt der Pflegedirektor

Pflegedirektor Gorgs hat beobachtet, dass „durch Corona die Scheu vor dem Krankenhaus gewachsen ist“. Heute gehe mancher erst ins Hospital, „wenn es so schlimm ist, dass keine Alternative mehr besteht“. Leider gebe es daher auch Patienten, die - kaum entlassen - schon wieder ins Krankenhaus zurück müssen. Durch die Familiale Pflege könne man auch „diesen Bumerang-Effekt“ abschwächen. Pflegebedürftige könnten länger im geliebten Zuhause bleiben.

Das Team der Familialen Pflege ist zu erreichen via E-Mail an iris.hotzel@evkmh.de oder unter 0208-309-4644. Weitere Informationen, zum Beispiel zu den Pflegekursen, unter evkmh.de.

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