Mülheim. Demenzkranke, die ins Krankenhaus müssen, haben oft große Angst. Im EKM Mülheim steht für solche Fälle ein Team bereit. Schon ab der Notaufnahme.
Der Anruf kam aus dem Auto. Der Sohn war mit seiner Mutter auf dem Weg in die Notaufnahme. Die Mutter, Ende 80, hatte nicht nur akute Herzbeschwerden, sondern auch eine beginnende Demenz. Das sollte das Krankenhaus vorab wissen, fand der Sohn.
Auf der anderen Seite am Telefon: Nicole Clemens, Geriatrie-Koordinatorin im Evangelischen Krankenhaus Mülheim (EKM), die für solche Hinweise „sehr dankbar“ ist, wie sie sagt. Von Angehörigen, Altenheimen, Hausärzten, Pflegediensten. Gerne schon Wochen vor der Aufnahme, denn nicht alle Seniorinnen und Senioren kommen als Notfall. „Je früher wir Infos haben, desto besser können wir die Unterbringung planen“, erklärt Nicole Clemens.
Mülheimer Krankenhaus will sich auf Patienten mit Demenz besonders einstellen
Das EKM hat eine Klinik für Geriatrie und Neurologie, wo der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten von Demenz betroffen ist. Doch auch in anderen Bereichen nehme deren Anteil immer weiter zu, beobachtet man im Krankenhaus. „Mülheim ist eine relativ alte Stadt“ - diesen Satz hört man häufig, auch im Gespräch mit dem Pflegeteam.
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Daher will sich das EKM nun als „demenzsensibles Krankenhaus“ profilieren, über alle Fachabteilungen hinweg. Pflegefachkräfte mit langer Berufserfahrung widmen sich dem Thema seit etwa zwei Jahren intensiver und sind als Kontaktpersonen im Einsatz. Neben Geriatrie-Koordinatorin Nicole Clemens stehen unter anderem Ralf Brosowski als Demenzbeauftragter und Pia Wolf als Delir-Expertin zur Verfügung.
Akute Verwirrtheit (Delir) betrifft ältere Menschen oft nach OPs
Was Delir ist, in Abgrenzung zur Demenz, wird auf der Website des EKM so umschrieben: „eine akute funktionelle Störung kognitiver Prozesse, die sich häufig in akuter Verwirrtheit äußert“. Die jedoch nicht von Dauer ist und behandelt werden kann - „behandelt werden muss“, betont Nicole Clemens. Häufig betroffen seien ältere Menschen nach einer Operation, sie litten an Alpträumen, oft sei der Tag-Nacht-Rhythmus völlig gestört.
„„Je früher wir Infos haben, desto besser können wir die Unterbringung planen.““
Um sie kümmert sich Pia Wolf gleich nach dem Aufwachen, begleitet sie auf die Station, besucht sie am Bett. „Mein Handy klingelt dauernd“, berichtet sie. Nicht nur Pflegekräfte, auch Ärztinnen und Ärzte aus dem Evangelischen Krankenhaus rufen sie an, bitten um Unterstützung. Bei allen Patientinnen und Patienten über 70 Jahren führt das Team nach eigener Auskunft Post-OP-Visiten durch, um ihren Zustand einschätzen zu können.
Krankenhausaufenthalt stresst Menschen mit Demenz
Für Menschen mit einer chronischen Demenz ist ein Krankenhausaufenthalt oft sehr schwierig. Die Betroffenen finden sich in der fremden Umgebung nicht zurecht, fühlen sich extrem gestresst, bekommen Angst. Ihnen das Ganze zu erleichtern, ist eine wichtige Aufgabe von Ralf Brosowski, von Hause aus examinierter Altenpfleger. Eine weit fortgeschrittene Demenz falle sofort auf, erläutert er. Schwierig sei es aber auch für Seniorinnen und Senioren, die im häuslichen Umfeld noch zurechtkommen, „eine tolle Fassade haben“, im Krankenhaus jedoch in eine unruhige Situation geraten.
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Etwa in die Hektik der Notaufnahme. Dort habe er, um das Beispiel vom Beginn wieder aufzugreifen, den Sohn und die kranke Mutter schon am Eingang empfangen. „Ich habe versucht, ein ruhigeres Umfeld zu schaffen“, berichtet Brosowki, „einen separaten Raum vorbereitet, wo man miteinander reden kann.“ In diesem Sinne sei die Patientin während ihres mehrtägigen Aufenthaltes im EKM weiter begleitet worden - „sie war dann völlig unauffällig“.
Biografie-Kärtchen mit Informationen zur Person
Um Demenzkranke individuell zu unterstützen, brauchen Nicole Clemens und ihr Team Informationen der Angehörigen. „Sie sind die Profis. Sie pflegen die Menschen ja zu Hause.“ Eine Möglichkeit sind Biografie-Kärtchen mit einigen Notizen, die auf den Nachttisch gestellt werden. Schläft jemand immer bei offenem Fenster? Nur, wenn die Füße in die Decke gewickelt sind? Gibt es eine Puppe oder ein Kuscheltier, das beruhigt? Einen Lieblings-Snack, der die Stimmung hebt? „Manchmal sind es Kleinigkeiten, die sehr, sehr gut helfen“, sagt Pia Wolf. Das kann auch eine große Uhr, das können Familienfotos im Krankenzimmer sein.
Auch mit Aroma-Therapie arbeitet das Team im EKM - Düften zum Einmassieren oder Versprühen. Eingesetzt werden spezielle Mobilisationsrollstühle und Niederflurbetten. Bodennahe Liegeflächen sollen schwere Stürze verhindern, Patientinnen und Patienten auf Normalstationen sollen nicht fixiert werden - „das ist uns bisher auch immer gelungen“, heißt es auf der Website.
Mülheimer Krankenhaus bietet auch „Rooming-in“ für pflegende Angehörige an
Einige Angehörige helfen mit bei der Körperpflege, etwa beim Waschen. Notfalls bietet das EKM auch „Rooming-in“ für Angehörige an. Sie können mit ins Krankenzimmer ziehen. Gelegentlich werde das genutzt, berichtet Nicole Clemens. Doch es sei nicht immer das Beste für die Betroffenen. „Manche pflegende Angehörige nutzen die Zeit lieber, um zu Hause mal wieder richtig zu schlafen.“
Sie und ihr Team sind nicht nur in der täglichen Pflege und Betreuung aktiv. Sie schulen Mitarbeitende im ganzen Haus, binden Grüne Damen oder Herren und andere Ehrenamtliche mit ein. Sie widmen sich nicht nur Demenzkranken, sondern auch anderen schwierigen Fällen. Brosowski nennt als Beispiele eine alte Dame, die lebenslang taub war, im Alter noch ihr Augenlicht verlor. Einen Mann mit geistiger Behinderung, der große Ängste hatte.
Mülheimer Krankenhaus zum Thema Demenz: Bisher alle Fälle gemeistert
„Wenn eine Demenz weit fortgeschritten ist, jemand ein sehr herausforderndes Verhalten zeigt, ist es schwierig“, räumt Nicole Clemens ein. „Doch bisher haben wir jeden Fall gemeistert.“ Dennoch: Am Ziel sei das EKM als „demenzsensibles Krankenhaus“ noch nicht. „Da ist noch Luft nach oben.“
Geriatrie-Koordinatorin Nicole Clemens ist im EKM erreichbar unter 0208-309-4334 (montags bis freitags 8 bis 16 Uhr) oder per Mail an julienicole.clemens@evkmh.de.
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