Mülheim. Intensivpatienten starren auf weiße Wände, Demenzkranke kommen nicht zur Ruhe: Ein Mülheimer Krankenhaus setzt Projektoren ein. Mit Erfolg.

Anfang November: Draußen fallen die Blätter und frieren die Finger, doch im Krankenzimmer von Brigitte G. wimmelt es von Bienen und Blumen. Flaumige Entenküken wackeln über frisches Gras. Die 88-Jährige liegt ruhig auf ihrem Bett und blickt an die Zimmerdecke. Auf dem weißen Anstrich spielen sich frühlingshafte, bunte Szenen ab.

Brigitte G. ist Patientin der Geriatrie im St. Marien-Hospital Mülheim. Gerade kommt sie in den Genuss eines neuen Hilfsmittels, eines schwarz-weißen Gerätes, das neben ihrem Bett auf dem Fußboden steht. Es ist ein schwenkbarer Projektor, der unter dem Produktnamen „Qwiek.up“ verkauft wird.

Mülheimer St. Marien-Hospital setzt „Qwiek.up“ ein

Einsetzbar ist das Gerät laut Website des Herstellers in der Altenpflege, in der Behindertenbetreuung und im Krankenhaus. Es soll „Stress und Angst reduzieren durch faszinierende Bildprojektionen“ und das Pflegepersonal entlasten. Denn, so heißt es weiter: „Leider ist es aus Zeitgründen nicht immer möglich, allen Patienten die Aufmerksamkeit zu widmen, die Sie sich eigentlich wünschen würden.“ Außerdem gebe es spezielle Patientengruppen, die man nur schwer oder gar nicht erreicht.

Vorrangig auf der Intensivstation des katholischen Krankenhauses in Mülheim kommen die audiovisuellen Hilfsmittel zum Einsatz. Hier schaltet Krankenpflegerin Azam Pourtofighi eines der neuen Geräte ein.
Vorrangig auf der Intensivstation des katholischen Krankenhauses in Mülheim kommen die audiovisuellen Hilfsmittel zum Einsatz. Hier schaltet Krankenpflegerin Azam Pourtofighi eines der neuen Geräte ein. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Im Mülheimer St. Marien-Hospital hat man vorrangig Menschen im Blick, die neben schweren Erkrankungen auch unter der Monotonie eines langen Klinikaufenthaltes leiden. Pflegedirektor Maik Stanczyk nennt beispielsweise Beatmungspatienten auf der Intensivstation, „die sehr lange hier verweilen, sich kaum bewegen können, wo die Zimmer sehr karg und technisch ausgestattet sind, der Klinikbetrieb sehr eintönig ist und es zahlreiche Störfaktoren gibt“.

Geeignet für Patienten mit Demenz oder akuter Verwirrtheit

„Wenn Menschen nicht die Möglichkeit haben, ihr Zimmer zu verlassen, schauen sie schlimmstenfalls acht Wochen lang auf weiße Wände“, ergänzt Milan Ivanovic, Bereichsleiter des Funktionsdienstes im SMH, zu dem auch die Intensivstation gehört. Für Patienten mit Demenz oder Delir, also akuter Verwirrtheit, empfehle sich „Qwiek.up“ besonders, für sehr unruhige Patienten und als Hilfe zum Einschlafen. Für das Personal seien die Geräte, die nur wenige technische Funktionen haben, ganz einfach zu bedienen.

Die Patientinnen und Patienten bekämen selbstverständlich auch Zuwendung durch Pflegekräfte und Angehörige, ergänzt Pflegedirektor Maik Stanczyk. Die personelle Ausstattung der Intensivstation sei momentan gut. Doch „Qwiek.up“ könne die Kranken aus ihrem starren Sichtfeld holen und dem Klinikpersonal helfen, etwas mehr über sie zu erfahren. Die Bilder bieten auch Anreiz für Gespräche, sofern die Patienten dazu in der Lage sind. Dieser Effekt zeigt sich besonders in der geriatrischen Abteilung, wo „Qwiek.up“ ebenfalls eingesetzt wird.

Förderverein des Mülheimer Krankenhauses bezahlte drei Geräte

Das katholische Krankenhaus habe die Geräte im November/Dezember 2023 zunächst testweise ins Haus geholt, berichtet Stanczyk. Patientinnen, Patienten, Pflegekräfte hätten in dieser Phase von durchweg positiven Erfahrungen berichtet. Man habe das „Qwiek.up“ dann dem Förderverein des St. Marien-Hospitals vorgestellt und bewirkt, dass dieser die Anschaffung finanziert.

Krankenpfleger Ali El-Khodr steckt ein „Erlebnismodul“ in den Projektor, einen USB-Stick mit Videosequenzen und Musik.
Krankenpfleger Ali El-Khodr steckt ein „Erlebnismodul“ in den Projektor, einen USB-Stick mit Videosequenzen und Musik. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Drei Geräte gibt es mittlerweile im Haus, jedes kostet nach Auskunft des SMH knapp 7500 Euro. Im Onlineshop des Herstellers ist kein Preis für das „Qwiek.up“ verzeichnet, man kann nur ein Angebot anfordern. Transparenter ist die Preisgestaltung der einzelnen „Erlebnismodule“, die es hier - für 69,99 Euro - in großer Vielfalt gibt. Von Flugzeugen, Sternenhimmel, Kaleidoskop über den Strandspaziergang und Weihnachtslieder bis zum André-Rieu-Konzert in Heidelberg.

„Erlebnismodule“ erzeugen verschiedene Bilderwelten

Die Module sind bunte USB-Sticks in Dreiecksform, die in Kästchen aufbewahrt werden und jederzeit gewechselt werden können. Brigitte G., die Geriatrie-Patientin, ist jetzt optisch eingetaucht in eine Unterwasserwelt, durch die Schwärme farbiger Fische ziehen. „Ich genieße das“, sagt die 88-Jährige, „mein Sohn hatte früher auch ein riesengroßes Aquarium.“

Für Ali El-Khodr, Krankenpfleger auf der geriatrischen Station, ist dies ein Stichwort. Er spricht eine weitere wichtige Funktion der digitalen Bilderwelten an: Viel Biografisches komme mit ihrer Hilfe ans Licht. Das „Qwiek.up“ kann auch mit eigenen USB-Sticks gefüttert werden, auf denen sich individuelle Fotos oder Musikstücke befinden. Der Sohn eines Patienten, der früher Tischler war, habe beispielsweise Fotos von der ehemaligen Werkstatt seines Vaters zusammengestellt.

Mülheimer Krankenhaus: „Qwiek.up“ auch schon bei Schwerstkranken eingesetzt

Für die Kranken wie für das Pflegeteam sei „Qwiek.up“ ein Gewinn, meint El-Khodr. „Wir haben es auch schon bei Patienten in Palliativsituationen angewendet, auch schon nachts laufen lassen. Es ist beeindruckend, was das Gerät macht.“ Die beruhigende Wirkung, auch bei Schwerstkranken, sei offensichtlich. Pflegedirektor Maik Stanczyk nennt noch einen Aspekt: „Es kann eine Alternative sein zur medikamentösen Behandlung.“

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