Mülheim. Manfred Reichmann kümmert sich um seine demenzkranke Frau. Auf einiges muss er verzichten, bleibt dennoch zuversichtlich. Wie schafft er das?

Ein Krankenhausaufenthalt im Jahre 2017 verändert das Leben von Manfred Reichmann und seiner Frau Roswitha völlig. Damals wird deutlich: Sie leidet an Demenz, wird immer mehr auf Hilfe angewiesen sein. Heute, sechs Jahre später, muss die 80-Jährige rund um die Uhr beaufsichtigt werden. Ihr Ehemann ist immer an ihrer Seite. „Man ist so lange zusammen, da macht man das einfach“, sagt er. Seit 61 Jahren sind die beiden ein Ehepaar, als sie sich ineinander verliebten, war sie 17, er 20 Jahre alt.

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„Das Schwerste ist, dass man nicht mehr so kommunizieren kann wie früher“, findet Manfred Reichmann. Die Gespräche von früher fehlen ihm sehr. Seine Frau sei ein lieber und herzlicher Mensch – und immer aktiv gewesen. Jetzt müsse man 24 Stunden am Tag auf sie achtgeben und sie zu allem anleiten. Sie lebe in einer anderen Welt, erinnere sich nicht mehr daran, was man in bestimmten Situationen tue. „Aber sie hilft mir trotzdem. Wenn ich ihr zeige, wie es geht, dann macht sie es nach“, berichtet der 83-Jährige.

Mülheimer hat den Sport und den Garten aufgegeben

Den Haushalt schmeißt er seit sie es nicht mehr kann. Er putzt, wäscht, kocht, geht einkaufen. „In meinem Beruf habe ich viel organisiert, das kommt mir jetzt zugute“, erklärt der Dümptener, der 45 Jahre lang bei Mannesmann gearbeitet hat. Der Pflegedienst komme morgens und abends vorbei, zwei Mal im Monat unterstütze ihn eine Haushaltshilfe – das steht den Reichmanns laut Pflegeversicherung zu. Die beiden Söhne stärken den Vater, so oft und so gut sie können.

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Dennoch: Manfred Reichmann hat sein Leben radikal ändern müssen, den Garten hat er abgegeben, das Tischtennisspielen aufgegeben. „Da bricht viel weg und man verliert auch einige Bekannte“, erzählt er. Rausgehen kann er mit seiner Frau momentan nicht, weil eine Entzündung im Bein ihn zusätzlich belastet. Aber er hält durch. „Erst, wenn meine Beine gar nicht mehr mitmachen, höre ich auf“, sagt er tapfer. „Ich versuche, aktiv zu bleiben.“ Und meint damit: fit für seine Aufgabe.

Iris Hotzel, Pflegeberaterin und Pflegetrainerin in der Familialen Pflege im Ev. Krankenhaus berät den 83-jährigen Manfred Reichmann, der seit Jahren daheim seine demente Ehefrau betreut.
Iris Hotzel, Pflegeberaterin und Pflegetrainerin in der Familialen Pflege im Ev. Krankenhaus berät den 83-jährigen Manfred Reichmann, der seit Jahren daheim seine demente Ehefrau betreut. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Eine Auszeit gibt es für den Dümptener fast nie

Es gibt sie, die Momente, in denen auch Manfred Reichmann erschöpft ist und denkt: „Ich kann nicht mehr“. Eine Auszeit nehmen kann er aber nur ganz selten, die Betreuung für seine Frau muss organisiert werden. Anfangs ging sie noch in die Tagespflege, seit der Corona-Zeit ist sie zu schwach dafür. „Meine Frau schläft viel, dann kann ich auch etwas ausruhen“, berichtet er. Der 83-Jährige ist ein positiver Mensch, das macht alles leichter. „Bei mir ist das Glas immer halbvoll“, beschreibt er sich selbst. Seine größte Sorge – „Was mache ich, wenn ich mal nachts ins Krankenhaus muss?“ – hat er sich selbst genommen: „Ich nehme sie dann einfach mit, unsere beiden Notfallkoffer stehen gepackt in der Ecke.“

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So optimistisch wie heute war Manfred Reichmann 2017 nicht. Damals war es ein großes Glück für ihn, dass ihm seitens des Krankenhauses Unterstützung angeboten wurde. „Ohne schafft man es nicht“, sagt er. Mit Demenz habe er sich nicht ausgekannt, er habe auch nicht gewusst, ob und wo er Hilfe finden könne. Iris Hotzel, Pflegeberaterin und Pflegetrainerin am Evangelischen Krankenhaus (EKM, Abteilung: Familiale Pflege), beriet das Ehepaar noch am Krankenbett und zeigte ihnen grundlegende Pflegetechniken. Sie lud Manfred Reichmann auch zu einem dreitägigen Demenzpflegekurs im EKM ein. „Da habe ich viel gelernt über die Krankheit“, erinnert er sich.

Kurse und Café für pflegende Angehörige im EKM

Über Iris Hotzel fand der pflegende Ehemann auch den Weg zum „Café & mehr“ im EKM. Es findet einmal im Monat unter Anleitung statt und ist für pflegende Angehörige gedacht. „Es tut mir persönlich sehr gut, mit Personen zu reden, die die gleichen Probleme haben“, erklärt Manfred Reichmann, der den Treff auch nach sechs Jahren noch regelmäßig besucht. Es werden dort nicht nur Probleme gewälzt, „man hat auch gemeinsam Spaß“.

„Wir treffen viele Angehörige an einem Punkt an, an dem sie überfordert und sogar verzweifelt sind. Sie sind sehr offen für Beratung“, so Iris Hotzel. „Wir möchten ihnen Sicherheit geben, sie befähigen, in häuslicher Situation mit der Pflege zurechtzukommen.“ Deshalb biete man auch Hausbesuche an. „Wir gucken gemeinsam, wie die Pflege des kranken Menschen am Besten zu bewältigen ist.“ In einem „Initialpflegekurs“ am EKM können sich Betroffene erste Pflegekenntnisse aneignen.

Oft tauchen viele Fragen zur Pflegeversicherung auf

Bei der Beratung geht es aber nicht nur um die Krankheit und die Pflege selber, sondern oft auch um Fragen zur Pflegeversicherung. „Welche Ansprüche habe ich? Welche Hilfen kann ich zuhause installieren? Wie kann ich das finanzieren? Das ist ein Riesenthema, das sich im Laufe der Zeit auch weiterentwickelt. Da kommen immer wieder Fragen auf“, hat die Pflegetrainerin festgestellt.

Kurse für Angehörige

Das Ev. Krankenhaus bietet im Herbst wieder folgende Kurse an:Ein Demenzpflegekurs für Angehörige läuft vom 25. bis 27. Oktober, jeweils von 9.30 bis 13 Uhr in der Ategris Fachschule, Kettwiger Straße 66.Ein Initialpflegekurs für Angehörige wird dort vom 22. bis 24. November angeboten (9.30 bis 13 Uhr).Eine Anmeldung ist erforderlich bei Iris Hotzel unter Tel. 309-4644 oder iris.hotzel@evkmh.de Infos auch unter www.evkmh.de

Sie weiß auch: „Wir haben es mit Menschen zu tun, jeder Fall ist anders.“. Deshalb berate und helfe man bedarfsgerecht. „Pflegende Angehörige durchlaufen einen Prozess. Es ist schön zu sehen, wenn sich jemand vom überforderten Partner zu einer Fachfrau oder einem Fachmann entwickelt.“

Mülheimer Pflegetrainerin: Angehörige werden zu wenig gewürdigt

Und in die neue Rolle hineinwächst so wie Manfred Reichmann. „Der Tag geht so schnell rum, ich hab so viel zu tun“, sagt er. Er beschwert sich nicht: Es sei nun mal, wie es sei. Den Mitarbeiterinnen aus der Familialen Pflege und der Pflegeberatung würde er „am liebsten einen Orden verleihen“. Iris Hotzel rühmt dagegen die Pflegenden. „Es gibt so viele Angehörige, die unheimlich viel leisten. Sie bekommen aber leider nicht genug Wertschätzung“, findet sie. Der 8. September ist der „Tag der pflegenden Angehörigen“ – eine gute Gelegenheit, diese Engel zu feiern und gebührend zu würdigen.

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