Mülheim. Ein neuer Lebensabschnitt in Mülheim, viele Fragen – das Gefühl, alleine zu sein. Was die Hochschule Ruhr West (HRW) gegen den „Studi-Blues“ tut.
- In Mülheim gibt es kaum ein klassisches Studentenleben, da die meisten pendeln.
- Die Pandemie hat den Anschluss an die Hochschulgemeinschaft erschwert.
- Junge Menschen kämpfen oft mit Einsamkeit und Orientierungslosigkeit.
Wer das vertraute Familien-Nest verlässt und in eine fremde Stadt zieht, um zu studieren, ist plötzlich auf sich gestellt und kann sich unter Umständen nicht nur alleine, sondern auch einsam fühlen. Alexandra Schallau, Mitarbeiterin der Psychologischen Beratungsstelle an der Hochschule Ruhr West (HRW), kann berichten, dass in vielen Beratungsgesprächen mit Studierenden „Einsamkeit mitschwingt“. Was sind die Hintergründe und was tut man an der HRW, um die jungen Menschen in Gemeinschaft zu bringen und Freundschaften zu stiften?
Der Studienbeginn ist nicht für alle eine schöne Zeit, für manche Studierende ist er belastend...
Der Übergang von der Schule zur Hochschule ist grundsätzlich eine Zeit, in der sich viel verändert. Vor allem, wenn man in eine neue Stadt zieht. Die Loslösung vom Elternhaus, ein Umzug, ein komplett neues soziales Umfeld, ganz neue Aufgaben und plötzlich Anforderungen wie sie an Erwachsene gestellt werden. Das fordert die jungen Menschen und kann sie auch überfordern. Es sind auch Faktoren, die dazu beitragen können, dass man sich einsam fühlt.
Geht es in Ihren Beratungsgesprächen oft um das Thema Einsamkeit?
Einsamkeit ist kein direkter Beratungsanlass, aber es zählt oft zu den dahinter liegenden Gründen – etwa bei einer depressiven Verstimmung. Diese kann entstehen, weil jemand wenig soziale Kontakte hat, weil ein positiver Input fehlt oder die Bewältigung des Studiums schwer fällt - zum Beispiel, weil man keine Lernpartner gefunden hat und sich als Einzelkämpfer durchzuschlagen versucht.
Mülheim ist keine klassische Studentenstadt, die Hochschule ist eher klein...
Das stimmt, es gibt hier kein richtiges Studentenleben, die meisten Studierenden pendeln. Das macht es schwieriger Kontakte zu finden. Andererseits kann das Kleine und Übersichtliche der HRW den Anfängern Ängste nehmen. Und wir versuchen, den neuen Studierenden das Ankommen im Studium so leicht wie möglich zu machen. In der Studieneingangsphase bringen wir sie auf unterschiedlichste Art zusammen, damit sie miteinander in Kontakt kommen. Davon hängt nämlich auch der Studienerfolg ab.
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Mancher Studierende in Mülheim hat in der Pandemie den Anschluss an ihre Kohorte verloren
Hat das Gefühl der Einsamkeit bei Studierenden zugenommen?
Ich finde schon. Aus der Beratung wissen wir, dass manche Studierende in der Pandemie-Zeit nicht richtig reingefunden haben ins Studium oder nach der Online-Lehre nicht zurückgefunden haben ins Präsenzstudium. Viele haben durch Corona den Anschluss an ihre Kohorte an der Hochschule verloren, fühlen sich ein Stück weit abgehängt. Das ist sehr schade, denn die Studienzeit sollte ja eine bereichernde Zeit sein, in der man auch neue Freunde findet.
Welche Rolle spielen, Ihrer Meinung nach, bei diesem Thema die Sozialen Medien?
Sie sind ein Segen und ein Fluch zugleich. Sie sind ein wichtiges Instrument, um in Kontakt zu bleiben. Wenn das Chatten allerdings reale Kontakte ersetzt, wird es problematisch. Man weiß irgendwann nicht mehr, wie man auf andere junge Leute in der wirklichen Welt zugehen soll. Man gibt nicht zu, dass man einsam ist, das ist ja uncool. Es können sich soziale Ängste entwickeln. Gruppenarbeiten können zur großen Herausforderung werden. Dabei sind sie ein wichtiger Bestandteil des Studiums, man trainiert dabei nämlich den Umgang mit unterschiedlichen Persönlichkeiten.
Mülheimer Psychologin: Man sollte sich ein Ehrenamt suchen oder Sport im Verein treiben
Gibt es Studierende, die sich besonders oft einsam?
Sehr häufig tritt Einsamkeit bei internationalen Studierenden auf. Ihnen fällt es oft schwer, Kontakte zu finden. Auch wegen sprachlicher Barrieren und kultureller Unterschiede. Manche kommen ganz alleine von weit her, für das ganze Studium, leiden unter Heimweh. Wir haben ein Integrationsprogramm, aber es wäre schön, wenn sie mehr Anschluss an deutsche Studierende fänden.
Was raten sie Studierenden, die sich einsam fühlen?
Wir verweisen auf die Angebote der Hochschule und der Fachschaften, die Kontakt schaffen. Wer einsam ist, kann sich auch ehrenamtlich an der HRW engagieren und so neue Leute kennenlernen. Man sollte sich Hobbys suchen und vielleicht in einen Sportverein eintreten. Man kann auch online nach Bekanntschaften suchen. Wichtig ist aber: Nicht im Netz bleiben, sondern die Kontakte mehr ins reale Leben hineinverlagern.
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Das ist als Anbahnung ja auch nicht schlecht. Aber dann muss es im realen Leben weitergehen. Denn: Einsam fühlt man sich nicht nur, weil man – subjektiv empfunden – zu wenige Kontakte hat. Man leidet auch, weil man sich den Personen, die man kennt, nicht nahe genug fühlt. Man muss also aus der Unverbindlichkeit heraus und Kontakte vertiefen – also qualitativ verbessern. Das heißt: Man muss sich häufiger trauen, Unternehmungen vorzuschlagen. Man sollte sich mehr öffnen und sich für andere Menschen einfach auch interessieren.
Hauptgründe für die Beratung
Psychologische Beratung suchen Studierende der HRW aus verschiedenen Gründen.
Zu den Hauptanlässen für ein Gespräch zählen Stress und Überforderung durch das Studium sowie Zweifel am Studienfach.
Auch Prüfungsangst und Zeitmanagement sowie chronisches Aufschieben von Aufgaben sind oft genannte Probleme.
Lern- und Konzentrationsstörungen sowie Motivationsprobleme kommen ebenfalls oft vor.
Schließlich führen auch familiäre und partnerschaftliche Probleme oder psychische Erkrankungen etwa depressive Symptome (und die Frage: Wie komme ich in Therapie?) Studierende in die Beratungsstelle.
Brauchen einsame Menschen womöglich auch eine Psychotherapie?
Ich denke, nur wenn die Einsamkeit in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung wie Depression oder Angststörungen stehen. Wir sehen in unserer Beratung, dass manchen Studierenden schon mit einem Gespräch und diversen Tipps geholfen werden kann. Oder auch im Rahmen von mehreren Beratungsterminen.
Fühlen junge Leute heute nicht nur einsam, sondern oft auch orientierungslos, was ihre berufliche Zukunft angeht? Es gibt rund 21.000 Studiengänge in Deutschland...
Die Situation ist für die heute sehr komplex, es gibt Millionen Wege, die Schulabgänger einschlagen können. Welcher ist der Richtige? Bestimmt das, was ich entscheide, mein ganzes Leben? Viele quälen sich mit diesem Fragen. Wir versuchen ihnen da Sorgen zu nehmen, zu vermitteln: Biografien lassen sich auch ändern, man ist nicht für den Rest des Lebens festgelegt. Erwerbsbiografien sind heute vielfältiger als früher.
Kontakt zur Psychologischen Beratungsstelle an der HRW und Terminbuchung über hochschule-ruhr-west.de. Nächste offene Sprechstunden: 8. und 29. Januar von 13 bis 14 Uhr und 5. und 19. Februar von 13 bis 14 Uhr.
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