Mülheim. Einsam fühlen sich immer mehr Menschen - auch in Mülheim. Dabei gibt es hier viele Angebote, die aus dem Tief führen können und Kontakt schaffen.

Einsamkeit ist nicht erst seit der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns ein Problem. Es ist ein Thema, über das aktuell viel geschrieben und geredet wird. Weil es – das belegen verschiedenste Studien – immer mehr Menschen betrifft. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage für die Techniker Krankenkasse kennen 59 Prozent der Bundesbürger ab 18 Jahren das Gefühl der Einsamkeit, über 15 Prozent fühlen sich „manchmal bis häufig einsam“. In der Corona-Zeit waren die Werte noch viel höher.

Einsamkeit spielt vermutlich auch in Mülheim eine immer größere Rolle. Konkrete Zahlen für die Kommune gibt es zwar nicht, aber ernstzunehmende Beobachtungen von Fachleuten: „Wir in der sozialen Arbeit stellen fest, dass eine große Anzahl an älteren Menschen isoliert lebt und den ersten Schritt nicht schafft, Kontakt zu suchen. Das bereitet uns Sorge, wir sind alle am Thema dran“, sagt Monika Schick-.Jöres, Vorsitzende des Seniorenbeirates und Mitarbeiterin der Caritas.

Aber auch junge Leute, sogar Schüler, sind von Einsamkeit betroffen. Psychologin Alexandra Schallau von der Psychologischen Beratungsstelle der Hochschule Ruhr West weiß: „Einsamkeit an sich ist kein Problem, mit dem Studierende zu uns kommen, aber sie schwingt in vielen Beratungsgesprächen mit. Es kommt immer häufiger vor, dass junge Leute sich einsam fühlen.“

Mülheimer Initiativen gegen Einsamkeit wollen sich noch besser vernetzen

Beim Informationstag „Einsamkeit begegnen – Wissen und Zugänge stärken“ im September in Mülheim wurden Maßnahmen, die in Mülheim der Einsamkeit vorbeugen, vorgestellt. Alle ortsansässigen Akteure wollen sich künftig noch besser vernetzen. Welche Angebote gibt es für Leute, die der Einsamkeit entkommen wollen? Richten sie sich nur an Ältere? Wie schafft man es, einsame Menschen, die sich verkriechen, zu finden und zu mobilisieren? Wir wollen in einer Serie in unserer Zeitung aufzeigen, welche Möglichkeiten sich einsamen Menschen in Mülheim bieten, Gemeinschaft zu erfahren. Denn: „Es gibt hier schon recht viele Initiativen und Aktionen gegen Einsamkeit“, so Monika Schick-Jöres.

Was ist eigentlich Einsamkeit? Prof. Dr. Maike Luhmann, eine der führenden deutschen Einsamkeitsforscherinnen, definiert Einsamkeit (nach Peplau/Perlman) als „wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen“. Sie ist ein subjektives Gefühl, das von den Betroffenen als belastend bis schmerzhaft empfunden wird. Mit dem Alleinsein ist sie nicht gleichzusetzen, denn das ist ein Zustand, der oft gar nicht als negativ erlebt wird.

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Ein Spaziergang alleine im Wald kann schön sein. Wenn man sich einsam fühlt, ist das aber eher schmerzhaft. © Getty Images | iiievgeniy

Warum fühlt sich jemand einsam? Es gibt viele Gründe: Die Familie lebt weit entfernt, ein Partner fehlt, bestehende Freundschaften haben keine Tiefe, es mangelt an Geld für Unternehmungen, man ist körperlich immobil, man verliert sich im Online-Universum, und mehr. Auffällig ist: „Menschen, die sich einsam fühlen, trauen sich meist nicht, rauszugehen, sich Gruppen anzuschließen. Deshalb stellen wir uns immer wieder die Frage: Wie können wir ihnen den ersten Schritt erleichtern?“, so Monika Schick-Jöres und Alexandra Schallau – jeweils für ihren Bereich.

„Einsamkeit kann dem Einzelnen und der Gesellschaft schaden“

Problematisch wird Einsamkeit, wenn sie mit dauerhaftem Leidensdruck einhergeht. Sie kann zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen. Einsamkeit, so die Experten, stellt ein individuelles Problem dar, sie ist aber auch eine Aufgabe der Gesundheitsvorsorge und auf politischer und gesellschaftlicher Ebene relevant. Die Studie „Extrem einsam?“ (Progressives Zentrum, drei Wissenschaftlerinnen) gibt Hinweise darauf, dass Einsamkeit der Gesellschaft schaden kann. Bei jungen Menschen korreliert sie demnach mit einer antidemokratischen Haltung und der Hinwendung zu Verschwörungstheorien.

EU, Bund, Land und Kommunen haben das Problem Einsamkeit erkannt, wissenschaftliche Studien haben es genauer untersucht, es gibt Aktionspläne gegen die zunehmende Einsamkeit. Junge Leute und Senioren sind die beiden gesellschaftlichen Gruppen, die – nicht nur in Deutschland, sondern auch international – am meisten betroffen sind. Die Ergebnisse der Studien (durchgeführt z.B. durch die Ruhr-Uni Bochum, das Kompetenznetzwerk Einsamkeit oder Forsa) liefern zwar nicht völlig identische Zahlen, zeigen aber doch klar die gleichen Tendenzen auf.

In Mülheim sind besonders auch ältere pflegebedürftige Menschen betroffen

Einsamkeit ist unter jungen Menschen verbreitet. Umfragen zufolge fühlt sich jeder fünfte ältere Jugendliche einsam. Die Wissenschaftler (Uni Bochum) empfehlen daher eine gezielte Kampagne, „die über Einsamkeit aufklärt, zu Bewältigungsstrategien informiert und das Stigma (des Einsamseins) reduziert“. „Junge Menschen geben gegenüber Gleichaltrigen ja nicht gerne zu, dass sie einsam sind. Es gilt als Makel“, weiß Psychologin Alexandra Schallau.

EU finanziert Einsamkeits-Studie

Das internationale Projekt „LONELY-EU“ (federführend: Uni Bochum) will Einsamkeit in Europa besser verstehen und bekämpfen.

Die Maßnahme wird ab Februar 2025 für drei Jahre mit 3 Millionen Euro von der Europäischen Kommission gefördert.

Verschiedene Universitäten in verschiedenen EU-Ländern beteiligen sich an dem wissenschaftlichen Projekt.

Laut „Einsamkeitsbarometer“ (Bundesfamilienministerium) waren in der Pandemie zum ersten Mal jüngere Menschen stärker belastet, im Langzeitschnitt sind es aber die Senioren. 34,6 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland leben alleine, davon nicht wenige recht isoliert. Welche Maßnahmen greifen, um Verbundenheit und soziale Teilhabe in allen Altersgruppen zu fördern, will man in Mülheim noch genauer eruieren. Niedrigschwellige Angebote seien dabei sehr wichtig.

Vom Mittagstisch bis zur Rikscha-Fahrt: In Mülheim gibt es viele Angebote

Das Land hat eine Online-Plattform geschaffen, auf der mehr als 600 Initiativen gegen Einsamkeit aufgeführt sind. Mülheim nimmt am NRW-Förderprogramm „2000 x 1000 Euro für das Engagement“ teil: 19.000 Euro gehen an Ehrenamtliche, die sich gegen Einsamkeit einsetzen. Daneben gibt es in der Stadt eine Vielzahl von Angeboten von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und anderen Einrichtungen, die Gemeinschaft stiften - vom Mittagstisch für alle über Kennenlerntage für Studienanfänger bis zur Rikscha-Fahrt für Senioren.

Etwas Neues plant der Seniorenbeirat: Alle 80-Jährigen erhalten eine Glückwunschkarte mit dem Angebot, dass ein Mitarbeiter der städtischen Seniorenberatung sie besucht und dabei auch über Treffpunkte informiert. „Ein Ehrenamtlicher könnte ängstliche Senioren beim ersten Besuch begleiten“, blickt Monika Schick-Jöres nach vorne.

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