Mülheim. Eine Woche lang drehte die Polizei jeden Stein in Mülheim um. Ein Polizist erinnert sich an die Flucht von Michalski und Heckhoff.

Lebensbilanzen zweier Menschen: Mord, Geiselnahmen, Raubüberfälle, Gewalt in jeder erdenklichen Form und Gefängnisaufenthalte, die in Jahrzehnten gemessen werden. Zwei Kriminelle dieses Kalibers halten Mülheim mehrere Tage lang in Atem. Hier in dieser Stadt regiert im November 2009 die Angst.

Die Vorgeschichte: Den Schwerverbrechern Michael Heckhoff und Paul Michalski gelingt am 26. November die Flucht aus der als ausbruchsicher geltenden Justizvollzugsanstalt Aachen. Mit Hilfe eines Justizbeamten, der im Aachener Knast krumme Geschäfte macht und mit manchen seiner Gefangenen paktiert, gelingt es dem 50-jährigen Heckhoff und dem 46 Jahre alten Michalski, ins Freie zu gelangen. Der Beamte hatte sie zuvor noch mit Dienstwaffen und gefüllten Magazinen ausgestattet.

Heckhoff und Michalski zeichneten sich durch außergewöhnliche Brutalität aus

Michael Heckhoff beim Prozess im Dezember 1993 am Landgericht Arnsberg.
Michael Heckhoff beim Prozess im Dezember 1993 am Landgericht Arnsberg. © WR | Schlüchtermann
Mit diesen Fotos fahndete die Polizei 2009 nach den flüchtigen Straftätern Michael Heckhoff (l.) und Peter Paul Michalski.
Mit diesen Fotos fahndete die Polizei 2009 nach den flüchtigen Straftätern Michael Heckhoff (l.) und Peter Paul Michalski. © Polizei | Polizei

Beide sollten lebenslänglich einsitzen. Heckhoff hatte zahlreiche Raubüberfälle und Geiselnahmen auf dem Kerbholz. Bei einer der Taten waren zwei Geiseln in Brand gesteckt und lebensgefährlich verletzt worden. Michalski war nicht minder brutal, hatte unter anderem in einem seiner Hafturlaube einen ehemaligen Komplizen erschossen.

Die Fahndung - hier wurde am 28. November 2009 eine Laube in Essen-Werden auf Spuren von Heckhoff und Michalski untersucht - wurde von den Medien intensiv begleitet. Zuvor hatten die Straftäter in Werden stundenlang ein Ehepaar in ihrer Gewalt, mit deren Auto sie schließlich weiter flüchteten.
Die Fahndung - hier wurde am 28. November 2009 eine Laube in Essen-Werden auf Spuren von Heckhoff und Michalski untersucht - wurde von den Medien intensiv begleitet. Zuvor hatten die Straftäter in Werden stundenlang ein Ehepaar in ihrer Gewalt, mit deren Auto sie schließlich weiter flüchteten. © WAZ FotoPool | Dennis Strassmeier

Einmal ins Freie gelangt, nehmen die beiden Schwerverbrecher von Aachen aus Autofahrer als Geiseln, um sich im Land umherfahren zu lassen. In Köln zwingen sie eine junge Frau, sie nach Essen zu fahren. Als der Sprit in Kettwig ausgeht, flüchten sie zu Fuß weiter. Währenddessen läuft im ganzen Land eine gigantische Fahndung nach den beiden Ausbrechern. In Essen-Werden dringen sie in ein Haus ein, bedrohen dort mehrere Stunden ein Ehepaar. Mit dem Wagen des Paares flüchten sie weiter. Es ist nun Tag 3 ihrer Flucht.

Michael Heckhoff kommt aus Mülheim, hing besonders an seiner Oma

Mülheim wird von den Kriminellen nicht zufällig gewählt. Heckhoff ist in Dümpten aufgewachsen. Mutter und Schwester leben noch immer hier. Es ist auch der Wohnsitz seiner Oma gewesen, an der er hing. Hier hatte Heckhoff auch schon einmal eine Geiselnahme hingelegt, als er 1991 im Präsidium an der Von-Bock-Straße eine Kriminalbeamtin und ihren Kollegen in seine Gewalt gebracht hatte.

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Am vierten Fluchttag wird der Fluchtwagen, das Auto des Essener Paares, an der Dimbeck aufgefunden. Am fünften Tag, es ist mittlerweile Montag, wird in dem Doppelhochhaus am Dickswall, Ecke Tourainer Ring, eine Tasche mit schmutziger Kleidung gefunden. Schnell steht fest, dass sich Michalski hier umgezogen hat und weitergeflüchtet ist.

Die Polizei ist auf Mülheims Straßen allgegenwärtig

Die polizeilichen Sicherheitsmaßnahmen sind in Mülheim allgegenwärtig. Überall sind Streifenwagen der Mülheimer Polizei und Mannschaftswagen unterschiedlicher Bereitschaftspolizeieinheiten zu sehen. Autofahrer werden von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert, während weitere Beamte die Kontrollorte mit Maschinenpistolen sichern. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.

Ausnahmezustand Ende November 2009 in Mülheim: Die Polizei fahndet mit Großaufgebot nach den Straftätern.
Ausnahmezustand Ende November 2009 in Mülheim: Die Polizei fahndet mit Großaufgebot nach den Straftätern. © WAZ FotoPool | Dennis Strassmeier
Kontrollen auf der Eppinghofer Straße in Mülheims Innenstadt.
Kontrollen auf der Eppinghofer Straße in Mülheims Innenstadt. © WAZ FotoPool | Dennis Strassmeier
Schwer bewaffnet kontrollieren Polizeikräfte auch passierende Pkw auf Mülheims Schloßbrücke.
Schwer bewaffnet kontrollieren Polizeikräfte auch passierende Pkw auf Mülheims Schloßbrücke. © WAZ FotoPool | EICKERSHOFF, Stephan

Essen und Mülheim sind zwei Jahre vor dieser Großfahndung zu einer Zwei-Städte-Polizeibehörde zusammengelegt worden. Es gibt in diesen Tagen kaum einen Polizisten der Kreispolizeibehörde Essen, der nicht an dem Großeinsatz beteiligt ist. Der Autor dieses Berichtes, damals selbst als Beamter der Polizei an den Einsätzen beteiligt, erinnert sich an diese Tage:

Ein Polizist erinnert sich an die Fahndung in Mülheim und Essen

„Wir mussten damals unsere Alltagsarbeit stehen und liegen lassen. Ich hatte in einem Kriminalkommissariat gearbeitet und meine Ermittlungsakten sollten in diesen Tagen keine Rolle mehr spielen. Sie mussten liegen bleiben, weil diese beiden gefährlichen Typen in der Stadt unterwegs waren. Nur, wo sie genau waren, wusste kein Mensch. Die Stadt war massiv mit Kräften aus allen möglichen Polizeibehörden Nordrhein-Westfalens gesichert worden.“

Später wird das gestohlene Fluchtfahrzeug in der Straße Dimbeck auf Höhe der Freilichtbühne sichergestellt.
Später wird das gestohlene Fluchtfahrzeug in der Straße Dimbeck auf Höhe der Freilichtbühne sichergestellt. © WAZ FotoPool | Dennis Strassmeier

Er wisse noch, wie er an einem der Fahndungstage mit einem Kollegen in einem Zivilwagen im Bereich des Aubergs fahndete. „Kein Mensch konnte einen Überblick darüber haben, welche Polizeiwagen alle in Mülheim und Umgebung unterwegs waren und welche Kollegen alle eingesetzt waren.“ Als sie nun auf dem Auberg gerade einen recht einsamen Waldweg entlangfuhren, sahen wir plötzlich, wie ihnen in einiger Entfernung auf demselben schmalen Weg ein anderer Wagen langsam entgegenkam.

„Wir hielten beide schon unsere Waffen schussbereit in den Händen.“

Ein Polizist über die damalige Fahndung

„Da wir nicht ausschließen konnten, ob wir nicht möglicherweise gerade den beiden Schwerkriminellen in die Arme fahren, hörten wir über Funk nach, ob auf diesem Weg eventuell weitere Polizeibeamte unterwegs sind. Am Funk war aber so viel los, dass man nicht so schnell Klarheit gewinnen konnte. Wir näherten uns vorsichtig dem unbekannten Wagen und hielten beide schon unsere Waffen schussbereit in den Händen.“

Als sie dem Wagen auf gemessene Distanz, aber mit guter Sicht näher kamen, sahen sie einen Polizei-Anhaltestab auf dessen Armaturenbrett. „Erleichterung auf beiden Seiten, denn auch die Polizeibeamten in dem anderen Wagen wussten nicht, wer ihnen da entgegenkommt und hatten sich ebenfalls schon auf eine mögliche Auseinandersetzung vorbereitet. Es waren keine normalen Zeiten.“

Leer stehende Augenklinik in Mülheim wird gestürmt

Von überall gehen dieser Tage Hinweise auf die Flüchtigen ein. Nicht jeder Hinweis ist stichhaltig. So wird die leerstehende Augenklinik nahe des Hingberg, an der Von-Graefe-Straße, von einem Spezialeinsatzkommando gestürmt, weil Anwohner dort in einem der Gebäude verdächtigen Lichtschein gesehen haben wollen. Ergebnis: Fehlanzeige.

Polizist Peter Elke schildert hier am 28. November 2009 gegenüber der Presse die neuesten Erkenntnisse. In Mülheim war die Polizeipräsenz so stark, dass niemandem der Ernst der Lage entgehen konnte.
Polizist Peter Elke schildert hier am 28. November 2009 gegenüber der Presse die neuesten Erkenntnisse. In Mülheim war die Polizeipräsenz so stark, dass niemandem der Ernst der Lage entgehen konnte. © WAZ FotoPool | Dennis Strassmeier

Die mittlerweile fast einwöchige Lage mildert sich etwas ab, als am sechsten Tag Michalski in Schermbeck festgenommen wird. Er ist dort mit einem Fahrrad auf einer Landstraße unterwegs, als er aus einem fahrenden Polizeiwagen heraus mit Schwung in einen Straßengraben befördert und überwältigt werden kann.

Am 1. Dezember 2009 ging Peter Paul Michalski der Polizei in Schermbeck ins Netz. Er war mit dem Fahrrad auf der Flucht.
Am 1. Dezember 2009 ging Peter Paul Michalski der Polizei in Schermbeck ins Netz. Er war mit dem Fahrrad auf der Flucht. © WAZ FotoPool | Johann Ridder
Polizeibeamte sichern Michalskis Fluchtfahrrad.
Polizeibeamte sichern Michalskis Fluchtfahrrad. © WAZ FotoPool | Johann Ridder
Peter Paul Michalski wurde von der Polizei auf einer Landstraße bei Schermbeck festgesetzt. Bei der Festnahme leistete er kaum Widerstand.
Peter Paul Michalski wurde von der Polizei auf einer Landstraße bei Schermbeck festgesetzt. Bei der Festnahme leistete er kaum Widerstand. © WAZ FotoPool | BAUER, Dirk

Heckhoff kann kurz darauf in seiner Heimatstadt Mülheim festgenommen werden. Ein Jahr später müssen sich die beiden skrupellosen Männer vor dem Landgericht Aachen für ihre Taten verantworten. Eine Chance, irgendwann in ihrem Leben wieder aus dem Gefängnis frei zu kommen, wird es nicht geben. Zu viel hatten sie in ihrem Leben verbrochen. Mit ihnen auf der Anklagebank als Dritter im Bunde: der Justizbeamte, der ihnen zu dieser spektakulären Flucht verholfen hatte.

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