Essen/Mülheim. Essens oberster Polizist Detlef Köbbel spricht über belastende Einsätze, mentale Stärke, Gewalt gegen Beamte und sein Handy neben dem Kopfkissen.
Wie der Herr, so‘s Gescherr: „Wissen Sie“, sagt Detlef Köbbel, „wenn ich nicht komme, kommen die Mitarbeiter auch nicht.“ Um bei „Lagen“ möglichst immer Vorbild und einer der ersten sein zu können, der die Zügel in die Hand und die Verantwortung (über)nimmt, hat das Handy des obersten Polizisten für Essen und Mülheim jahrzehntelang neben seinem Kopfkissen gelegen. Davor war‘s ein sogenannter Pager, und noch früher hat er den Kollegen auf der Leitstelle Festnetznummern hinterlassen - selbst die der Schwiegereltern, wenn er dort zu Besuch war. Wenn was ist, für alle Fälle...
Und davon gab es jede Menge, nicht nur, aber auch in den letzten fast elf Jahren der Köbbelschen Laufbahn, in denen der Leitende Polizeidirektor in Personalunion der Direktionsleiter Gefahrenabwehr/Einsatz, kurz G/E, Polizeiführer, stellvertretender Polizeipräsident und Chef von fast 2000 Vollzugsbeamtinnen und Beamten in zwei Städten gleichzeitig war.
„Da kommt was zusammen“, sagt Detlef Köbbel, der bereits Ende Oktober im Rahmen eines großen Empfangs im Präsidium verabschiedet wurde. „Mit ihm verlieren wir einen hoch angesehenen Polizisten, der dem Polizeipräsidium Essen mit seiner hochprofessionellen und zugleich menschlich bodenständigen Art seinen Stempel aufgedrückt hat. Unzählige Einsatzlagen hat er als Polizeiführer unter zum Teil schwierigsten Bedingungen zu einem guten Ergebnis geführt. Wir sind ihm alle zu großem Dank verpflichtet“, resümierte Polizeipräsident Andreas Stüve in seiner Rede.
Offiziell in den Ruhestand geht Köbbel mit Ablauf des Jahres, wenn freie Tage und Urlaub genommen sind. Dazwischen nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit dieser Zeitung.
„Ich bin dankbar und zufrieden“
Jetzt, da er sie hat, die Zeit, und auf die er offensichtlich gerne zurückblickt: „Ich bin dankbar und zufrieden, diesen Beruf ergriffen zu haben und habe keinen einzigen Tag bereut.“ Vor etwas mehr als 46 Jahren, da ging der junge Iserlohner mit gerade mal 16 zur Polizei: „Das geht nicht spurlos an einem vorüber“, sagt er nach einem mindestens abwechslungsreichen Berufsleben, in dem heute so oft nicht absehbar ist, was morgen passieren wird. Nur langsam reift da die finale Erkenntnis, „ich komme nicht mehr wieder“. Das tatsächlich zu realisieren, „fällt mir sehr, sehr schwer“.
Und mögen die gut meinenden Kollegen auch noch so oft sagen, ein solcher Abschied tue nicht weh, dann kann ihnen Detlef Köbbel nur entgegnen: „Diesen Zustand habe ich noch nicht erreicht.“ Doch es scheint Hoffnung zu geben: Zumindest das Handy, das hat er seit einigen Tagen aus seinem Schlafzimmer verbannt.
Als 51-Jähriger kehrte der Sauerländer nach vielen Stationen auch im Ausland zurück in ein bekanntes Revier, das Essen heißt: Bereits 1988 hatte Detlef Köbbel als Wachdienstführer in Altenessen gearbeitet, drei Jahre lang war er Vize-Chef der Spezialeinheiten (SEK) beim Polizeipräsidium Essen, zuvor leitete er zwölf Jahre lang das Dortmunder SEK, stand beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm im engen Austausch mit dem amerikanischen Secret Service und unterstützte als Beamter Nordrhein-Westfalens in einer Auslandsmission den Aufbau polizeilicher Spezialeinheiten in Albanien.
Den Blick auf die hiesigen Verhältnisse relativiert
Es war eine Zeit des Elends, der Korruption und der nackten Gewalt auf dem Balkan. Selbst Polizeichefs wurden ermordet. „Das hat mich sehr geerdet.“ Und den Blick auf die hiesigen Verhältnisse relativiert: „Das Gefühl der Sicherheit nimmt man hier manchmal nicht so wahr.“
Wieder zurück in der Heimat bildete Köbbel Polizeiführer wie SE-Beamte aus und fort. Wie kann Verletzungen im Einsatz vorgebeugt, wie die Sicherheit der Kräfte verbessert werden? Antworten auf diese Fragen geben zu können, war dem leitenden Polizisten nicht nur in Lehrgängen, sondern auch in der täglichen Praxis immer wichtig. Zu oft musste er erleben, dass Kollegen im Dienst ihre Gesundheit, ja ihr Leben verloren haben. „Gewalt gegen Polizeibeamte hat mich immer sehr bewegt.“
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Das war so, als der Rechtsextremist Michael Berger am 14. Juni 2000 drei Polizisten, darunter den Dortmunder Polizeikommissar und Köbbel-Kollegen Thomas Goretzky (35) erschießt. Das war so, als der Essener Polizist Marcel bei einem Autoangriff in Essen-Borbeck überrollt wird und sich über Monate zurück ins Leben kämpfen muss. „Das sind Ereignisse, die einen prägen“, sagt Köbbel, und die einem wiederholt vor Augen führen, wie hoch die Risiken für Leib und Leben im Dienst mitunter sind.
Konflikte nach Maßstäben der Verhältnismäßigkeit zu lösen
Vor diesem Hintergrund kann es nur stringent sein, dass Detlef Köbbel als Polizeiführer nie ein Freund der schnellen Entschlüsse war und - vorausgesetzt, es gab keinen Gefahrenüberhang - es ihm wichtiger erschien, in Einsätzen „nicht vorschnell“ zu Zwangsmitteln greifen zu lassen, um mögliche Konfliktsituationen lieber nach Maßstäben der Verhältnismäßigkeit zu lösen und Eskalationen zu vermeiden. Das hat ihm in den allermeisten Fällen Lob, aber nicht zuletzt abhängig von der politischen Großwetterlage manchmal eben auch Tadel bis hin zu einem Termin beim Staatssekretär eingebracht.
Da war Köbbel noch nicht lange Chef in Essen. Doch nach erster harscher Kritik an der Polizei, bei einer Pro-Israel-Demo im Jahr 2014 in der Innenstadt antisemitische Provokationen nicht sofort unterbunden zu haben, kam man dann auch im Düsseldorfer Innenministerium zu der Einsicht, es war wohl besser, kurzzeitig antisemitische Hetze zu ertragen, als die Kundgebung durch den Einsatz von Schlagstöcken und Reizgas so blutig wie schmerzhaft enden zu lassen. Zumal im Nachgang insgesamt 66 Strafanzeigen erstattet und Dutzende Tatverdächtige ermittelt werden konnten.
Nach dem AfD-Bundesparteitag im Sommer dieses Jahres sah sich der Polizeiführer hingegen Vorwürfen bevorzugter Behandlung für die eine Seite und überzogener Gewalt durch Beamte gegen die andere ausgesetzt. Was für Köbbel Anlass genug ist, vor seinem Ausscheiden noch einmal deutlich zu machen, dass es nicht um eine Partei oder Gesinnung, sondern um Grundrechte ging. Und das kritisierte Geleit für Delegierte bis in die Grugahalle habe es schlicht und einfach gegeben, um Verletzte zu vermeiden. Die 28, die angeblich auf Seite der Demonstranten gezählt worden sein sollen, „die kenne ich bis heute nicht“.
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„Man muss über die Wirkung seiner Entscheidungen nachdenken“, war so etwas wie ein Leitsatz Köbbels, der seine Stärke immer darin sah, sich „mental gut auf Einsatz-Szenarien vorbereiten“ zu können. Doch war es nicht immer möglich, eine zu erwartende Realität gegen Fragen der Ethik und der Taktik im Vorfeld abzuwägen. Etwa bei dem Bombenterror gegen den Sikh-Tempel am 16. April 2016 an der Bersonstraße oder dem sprichwörtlich in letzter Sekunde vereitelten rassistisch motivierten Anschlag eines Schülers (17) am Don Bosco-Gymnasium in Borbeck vor zweieinhalb Jahren. „Wir haben oft auch Glück gehabt“, räumt der Polizeichef ein.
Der scheidende Polizeichef hat sich eine neue Aufgabe gesucht
So ehrlich mag sich Köbbel rückblickend machen, um nach vorn auf einen neuen Lebensabschnitt zu schauen. Aus vielen Projekten an der polizeilichen Sportschule „weiß ich, worauf es im Alter ankommt“: Sich fit zu halten und sich langsam zurückzuziehen - etwa, indem man zwar die 24/7-Verfügbarkeit mit all ihrem Stress hinter sich lässt, sich jedoch eine neue Aufgabe sucht. Als Beamter a.D. wird er sich fortan bei der Bezirksregierung Arnsberg um Flüchtlingsangelegenheiten kümmern. 20 Stunden in der Woche höchstens - das ist jedenfalls nicht mehr als die Polizei erlaubt.
Ab dem Neujahrstag übernimmt Peter Both die Direktion G/E im Essener Präsidium. Diesen Posten hat der Leitende Polizeidirektor bislang in Gelsenkirchen inne.
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