Mülheim. Die künstlerische Programmplanung im Theater an der Ruhr in Mülheim übernimmt eine fünfköpfige Gruppe. Wer zu den Routiniers dazugekommen ist.

Die Nachricht ist raus: Das Theater an der Ruhr (TaR) verändert seine Organisationsstruktur. Es gibt nun ein fünfköpfiges Team, das für die künstlerische Leitung, besser die Programmplanung zuständig ist. Regisseur Philipp Preuss (49), seit 2019 dem Gremium zugehörig, tritt zurück, er will mehr Raum für eigene Projekte haben. Der Österreicher wird aber nach wie vor am Raffelberg inszenieren. Ebenso wie Theatergründer Roberto Ciulli (90). Wer gesellt sich nun zu den beiden Routiniers Helmut Schäfer (72), Mitbegründer des TaR und Dramaturg, und Sven Schlötcke (63), langjähriger Geschäftsführer, Künstlerischer Leiter, Dramaturg?

Jünger und weiblicher werde das Kollektiv, heißt es: Neben Schäfer und Schlötcke wirken künftig auch Dramaturgin Constanze Fröhlich (46), Dramaturg Alexander Weinstock (39) und Kara Handgraaf (32, Produktionsleitung, Künstlerisches Betriebsbüro) an der künstlerischen Ausrichtung und der konkreten Veranstaltungsplanung des Hauses mit. Finanzielle Auswirkungen habe die Umstrukturierung nicht, eine tatsächliche Leitungsfunktion hat neben Geschäftsführer Schlötcke nach wie vor nur noch Adam Köstereli als kaufmännischer Leiter des TaR inne.

„Wir wollen den Betrieb mit neuen Ideen und Perspektiven natürlich aufmischen, aber der große Erfahrungsschatz der Älteren ist ebenso wichtig für die Arbeit“, sagen sie. Die Kooperation aller fünf Teammitglieder in allwöchentlichen, mehrstündigen Meetings sei auch „ein gemeinsamer Lernprozess“. Finanzielle Auswirkungen habe die Umstrukturierung nicht, eine Leitungsfunktion hat neben Geschäftsführer Schlötcke nur noch Adam Köstereli als kaufmännischer Leiter des TaR.

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Zwei Neue am Mülheimer Theater an der Ruhr sind sogar „Kinder des Hauses“

Ganz neu sind alle drei Neuen eigentlich nicht am TaR, sie haben zum Teil schon bei der Entwicklung und Durchführung von den drei „Rausch“-Spielinseln sowie bei „Geheimnis 1“ mitgewirkt. Zwei von ihnen sind sogar echte Kinder des Hauses. Zum Beispiel: Alexander Weinstock. Er hat als Jugendlicher beim Jungen Theater des TaR mitgespielt. „Seitdem bin ich dem Haus einfach verbunden“, sagt er. Im Januar 2023 kam er hierher zurück, soll nun als Dramaturg, Audience Developer und Künstlerischer Programmplaner im Einsatz sein.

Was bringt der 39-Jährige mit? Studium, Forschung und Lehrtätigkeit im Bereich Literatur- und Theaterwissenschaft an verschiedenen Universitäten (Köln, Sevilla, Berkeley, Hamburg). Er ist Lehrbeauftragter im Masterstudiengang „Theorien und Praktiken professionellen Schreibens“ in Köln, hat 2023 einen ersten Gedichtband, „Die Gefährdung der Jugend“ veröffentlicht. Seit 2015 arbeitet er als Dramaturg/Autor für die Gruppe „Ruhrorter“ und seit 2020 als Dramaturg für die Lesereihe „Tatort Mittelmeer“ von SOS Humanity. Er entwickelt zudem seit 2022 inklusive Theaterprojekte mit gehörlosen und hörenden jungen Menschen.

Die „Ödipus“-Inszenierung von Alexander Klessinger und Mats Süthoff im Theater an der Ruhr in Mülheim: Dramaturg war Alexander Weinstock vom neuen künstlerischen Programmteam am TaR.
Die „Ödipus“-Inszenierung von Alexander Klessinger und Mats Süthoff im Theater an der Ruhr in Mülheim: Dramaturg war Alexander Weinstock vom neuen künstlerischen Programmteam am TaR. © Franziska Götzen

Zwei Frauen bringen andere Perspektiven in die kollektive Mülheimer Theaterarbeit ein

Constanze Fröhlich kam schon im Oktober 2022 ans TaR, ist dort als Dramaturgin, Künstlerische Programmplanerin und Pressesprecherin tätig. Sie hat in Berlin und Lyon Romanistik und Politikwissenschaft studiert. Von 2004 bis 2012 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für Französische Philologie an der FU Berlin, promovierte dort 2012 mit einer Arbeit über den Dramatiker Valère Novarina. Anschließende Tätigkeiten: Lektorin an die Universität Brasilia, Lehrbeauftragte an die Humboldt-Universität Berlin, wissenschaftliche Koordinatorin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Pressereferentin der Helmholtz-Gemeinschaft. Mit Regisseur Philipp Preuss hat sie als freie Dramaturgin an den Produktionen „Siegfried“ für die Bayreuther Festspiele und „Unterwerfung/Gegen den Strich“ für das TaR mitgewirkt.

Schon am längsten dabei ist die Jüngste. Kara Handgraaf ist sogar Mülheimerin und hat „als Kind schon im Theatergebäude gespielt“. Bereits seit 2018 arbeitet sie im Künstlerischen Betriebsbüro, nun ist sie auch Projektleiterin der neuen Spielzeitstruktur und Mitglied des künstlerischen Programmteams. Die 32-Jährige hat Soziale Arbeit, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft studiert. Derzeit macht sie ihren Master am Institut für Theaterwissenschaft in Bochum. Sie hat für verschiedene Kulturinstitutionen, etwa die Ruhrtriennale, gearbeitet, ist Vorstandsmitglied beim soziokulturellen Makroscope-Verein, Kuratorin für Animations- und Low Budget-Filme bei den Kurzfilmtagen Oberhausen.

Auf dem Balkon des Theaters an der Ruhr in Mülheim: Alexander Weinstock und Constanze Fröhlich, die beiden Dramaturgen und neuen Mitglieder des Künstlerischen Programmteams.
Auf dem Balkon des Theaters an der Ruhr in Mülheim: Alexander Weinstock und Constanze Fröhlich, die beiden Dramaturgen und neuen Mitglieder des Künstlerischen Programmteams. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mülheimer Theaterplaner wollen Themen setzen, die gesellschaftlich wichtig sind

Wird es zu fünft nicht schwieriger werden, eine Linie zu finden und zu Entscheidungen zu gelangen? „Es wird auch inhaltliche Differenzen geben, wir werden sicher auch Argumente hin und her wälzen, aber es ist gut, dass wir ganz unterschiedliche Menschen dabei haben“, sagt Constanze Fröhlich. Nicht nur der (nun hinzugekommene) weibliche Blick, sondern ganz allgemein mehr Perspektivenvielfalt bei der Programmentwicklung könne ja nur bereichernd sein, sagt Kara Handgraaf.

Die neue Spielzeitstruktur (drei Spielinseln im Jahr sowie die Bindung an ein Thema, das unterschiedliche Vertiefungen findet) gehe schon auf gemeinsame Überlegungen mit Philipp Preuss zurück. „Wir wollen in Abstimmung mit ausgewählten Regie-Teams Themen setzen, die wir als gesellschaftlich wichtig erachten und dazu Ideen für Stücke entwickeln und ein Rahmenprogramm konzipieren“, so das Trio. Es sei eine wichtige Aufgabe der Jüngeren im Team, interessante Workshops oder Musiker herzuholen und dabei auch mal „out of the box“ (jenseits des Tellerrandes) zu denken. Sinn mache die Aufstockung des Teams auch deshalb, weil durch die neue Spielzeitstruktur viel mehr parallel erledigt werden müsse als früher.

Bei „Bock“ im Theater an der Ruhr in Mülheim (Regie: Katharina Stoll) war Constanze Fröhlich die Dramaturgin. 
Bei „Bock“ im Theater an der Ruhr in Mülheim (Regie: Katharina Stoll) war Constanze Fröhlich die Dramaturgin.  © Franziska Götzen

Programmplaner wollen auch immer „ein Ohr am Mülheimer Ensemble haben“

Zwar habe man mit „Bock“ oder „State of Euphoria“ in letzter Zeit Produktionen angeboten, die eher jüngere Leute ansprachen, aber: „Es ist uns wichtig, dass wir ein Publikum herholen, dass unsere Inhalte wahrnimmt und sich durch sie bereichert und natürlich auch gut unterhalten fühlt“, sagt Alexander Weinstock. Das TaR solle ein „öffentlicher Ort für Leute jeden Alters sein“. Wichtig ist den drei Neuen, bei Veranstaltungen immer präsent zu sein und sich den Besucherinnen und Besucher als Ansprechpartner/innen anzubieten.

Mitnehmen bei allen Zielsetzungen und Entscheidungen möchte man auch das Ensemble. Deshalb soll es in jeder Spielzeit einen Schauspieler oder eine Schauspielerin geben, der/die im Gremium mitspricht und wichtige Informationen auch ins Ensemble trägt (und umgekehrt). Aktuell ist das Joshua Zilinske. Demokratisch hat man auch entschieden, wie das Thema für diese Spielzeit sein sollte. „Wir haben uns zwölf Themen ausgedacht, vier davon zur Abstimmung ins Ensemble gegeben. ,Geheimnis‘ landete an erster Stelle“, berichtet Constanze Fröhlich. Auch das Feedback von außen will man sich einholen - von Expertinnen oder Experten. Für diese Spielzeit hat man die Dramaturgin Sabrina Zwach dafür gewonnen.

Zwei „alte Hasen“ bereiten neue Produktionen für „Geheimnis 2“ in Mülheim vor

Während bei „Geheimnis 1“ die jungen Dramaturgen Constanze Fröhlich und Alexander Weinstock zusammen mit drei jungen Gastregisseuren „Bock“ und „Ödipus“ erarbeitet haben, wollen bei „Geheimnis 2“ im Februar/März übrigens wieder zwei „alte Hasen“ Neuinszenierungen präsentieren: Roberto Ciulli arbeitet an einer Produktion zu einem Pasolini-Stoff, Philipp Preuss an einem Stück der Autorin Katrin Röggla zu Franz Kafka. Altbacken wird es sicher nicht.

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