Mülheim. Vor sechs Monaten wurde ihr Werk dicht gemacht, seitdem suchen sie neue Jobs: Der Weg der Vallourec-Mitarbeiter zurück auf den Arbeitsmarkt.

Es war ein Umbruch in ihrem Leben, ein Berater der Transfergesellschaft spricht gar von einer einschneidenden Krise. Dass die ehemals bei Vallourec Beschäftigten unverschuldet ihre Jobs verloren haben, steckt vielen aus der Belegschaft noch in den Knochen. Wie ihre Zukunftsperspektiven sind, loteten sie nun bei einer weiteren Jobmesse aus.

Seit einem guten halben Jahr stecken mehr als 600 ehemalige Vallourec-Beschäftigte in der Transfergesellschaft, nachdem ihre insgesamt rund 2200 Arbeitsplätze in den Werken in Mülheim und Düsseldorf abgebaut worden sind, weil der französische Konzern seine Rohr-Produktion aus Rentabilitätsgründen nach Brasilien verlagert hat.

Transfergesellschaft für Vallourec-Mitarbeitende besteht noch bis Ende des Jahres

Insgesamt 624 ehemalige Vallourec-Mitarbeitende aus den beiden Standorten in Mülheim und Düsseldorf waren zu Jahresbeginn in die Transfergesellschaft eingetreten, skizziert Projektleiter Ralf Höhne von Start NRW, dem Dienstleister, der die Transfergesellschaft betreibt und hinter dem regionale Gesellschafter und das Land NRW stehen.

Aktuell, gab Höhne anlässlich einer Jobmesse für die ehemalige Vallourec-Belegschaft in der bekannt, befänden sich noch 470 Menschen in der Transfergesellschaft, die auf zwölf Monate angelegt ist und noch bis zum Ende des Jahres läuft. Wer Teil dieser Gesellschaft ist, erhält neben Kurzarbeitergeld eine Aufstockung seitens Vallourec auf 85 Prozent seines bisherigen Gehaltes.

Neue Jobs für ehemalige Vallourec-Leute: „Die Bezahlung muss stimmen“

An den beiden Standorten Mülheim und Düsseldorf betreue die Transfergesellschaft mit knapp 15 Beratern jenes Klientel, das bei Vallourec ausgeschieden ist. Konkret werde jeder Mitarbeiter alle zwei, drei Wochen zu einem Gespräch gebeten, mit Stellenausschreibungen versorgt und bei Bewerbungs- oder Weiterbildungswünschen unterstützt. Dabei liege der Schlüssel so, dass ein Berater sich um 44 Klienten kümmere, erklärt Höhne.

Job-Messe Vallourec in Mülheim an der Ruhr
Ehemalige Beschäftigte von Vallourec, informieren sich am Donnerstag, 20.06.2024, bei einer Job-Messe von Start NRW in der Stadthalle Mülheim an der Ruhr über mögliche neue Arbeitsangebote. Foto: Martin Möller /Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Allein zwei Job-Scouts telefonierten Unternehmen auf der Suche nach geeigneten Jobs ab. „Wir filtern die Stellenangebote vorab, damit sie zu den ehemaligen Vallourec-Mitarbeitenden passen“, schildert Höhne. Wichtige Aspekte seien neben der Bezahlung des zukünftigen Jobs - die Vallourec-Belegschaft war überdurchschnittlich gut entlohnt worden - auch auch eine gute Erreichbarkeit und ein passendes Umfeld.

Mülheimer Unternehmen Pfeifer Drako und Pipecoatings werben auf Messe um Arbeitskräfte

Auch Weiterqualifizierung sei ein Thema, weil viele Vallourec-Mitarbeiter höchst spezialisiert eingesetzt waren. „Da muss man heute fragen: Was sucht der Arbeitsmarkt“, macht Höhne deutlich und verweist auf eine Drei-Millionen-Euro-Förderung durch das EU-Parlament für Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. „Durch diese Mittel werden deutlich mehr Angebote möglich“, ordnet der Projektleiter ein: „Eine Jobmesse wie diese wäre ansonsten nicht machbar gewesen.“ Rund 220 Besucher hat Start NRW bei der Veranstaltung im Foyer der Stadthalle gezählt, elf ausstellende Firmen wie die Mülheimer Unternehmen Pfeifer Drako und Pipecoatings sowie auch Arcelor Mittal von der Kokerei in Bottrop boten Stellen an, an Stellwänden waren zudem mehr als 100 Jobangebote ausgehängt.

Job-Messe Vallourec in Mülheim an der Ruhr
Ehemalige Beschäftigte von Vallourec, die mehrheitlich in einer Transfergesellschaft aufgefangen wurden, informieren sich bei einer Job-Messe von Start NRW in der Stadthalle Mülheim über mögliche neue Arbeitsangebote. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ein halbes Jahr der auf zwölf Monate angelegten Transfergesellschaft ist bereits verstrichen. Der Faktor Zeit spiele durchaus eine Rolle, räumt Projektleiter Höhne ein: „Der Bewerbungsprozess dauert bis zu 100 Tage - je größer das Unternehmen ist, desto länger kann es dauern.“

Bei Vallourec Jobs verloren: Betroffene leiden unter seelischer Belastung

Nicht wenigen verlange es jede Menge Geduld ab, diese Spanne auszuhalten. „Man verschickt zehn Bewerbungen und bekommt auf acht keine Antwort - das macht etwas mit einem“, weiß Höhne auch um die seelische Belastung der Betroffenen. Umso wichtiger, meint der Projektleiter, sei neben dem Vertrauensverhältnis zum jeweiligen Berater auch der Austausch unter den ehemaligen Kollegen. „Die Mitarbeitenden geben sich untereinander auch Tipps und reichen Stellenausschreibungen weiter.“

Gleichwohl sei die Situation aktuell trotz des viel proklamierten Fachkräftemangels nicht leicht, um einen neuen Job zu finden, will Höhne realistisch bleiben: „Die Arbeitslosigkeit steigt, es sind deutlich weniger Stellen auf dem Markt als noch vor einem Jahr.“ Wer aus der Transfergesellschaft heraus zum Ende des Jahres noch keine neue Anstellung gefunden habe - „und die wird es leider geben“ -, könne in den Bezug von Arbeitslosengeld 1 wechseln. Dennoch bleibt Höhne zuversichtlich und sagt nach sechs Monaten Zusammenarbeit mit der ehemaligen Vallourec-Belegschaft, die sich bereits die Kritik gefallen lassen musste, sich auf den guten Konditionen des Interessenausgleichs auszuruhen: „Ich habe noch keinen kennengelernt, der nicht arbeiten will.“

Gesamtbetriebsrat zu Gast bei Vallourec-Messe in Mülheim

Vilson Gegic, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec, kennt die Gefühlslage seiner Kollegen, die durch die Werksschließungen unverschuldet ihre Jobs verloren haben.
Vilson Gegic, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec, kennt die Gefühlslage seiner Kollegen, die durch die Werksschließungen unverschuldet ihre Jobs verloren haben. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Diese Einschätzung teilt auch Vilson Gegic, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Vallourec Deutschland. „Die Kollegen haben bis zum letzten Tag im Werk gearbeitet, und das zumeist über Jahre oder Jahrzehnte“, spricht Gegic die Loyalität und enge Verbundenheit zum Arbeitgeber an: „Die brauchen jetzt Zeit, um sich auf etwas Neues einlassen zu können.“ Dass sich noch mehr als 400 Personen in der Transfergesellschaft befinden, beurteilt Gegic daher nicht als negativ.

„Man muss betrachten, von welchen Zahlen wir kommen: Von den 2200, die von einer Entlassung bedroht waren, sind über 700 durch das Freiwilligenprogramm ausgeschieden.“ Auch eine Altersübergangsregelung war dabei eine Option. Wer nun noch in der Transfergesellschaft sei, sei mehrheitlich zwischen 45 und 60 Jahren alt. „Die größte Gruppe sind die 50- bis 59-Jährigen - da tun sich viele Unternehmen schwer mit Einstellungen.“ Gleichwohl bricht der Gesamtbetriebsrat auch eine Lanze für seine Kollegen: „Die waren 20, 30 Jahre im selben Werk und wollen jetzt einen passenden Job finden, um nicht bald wieder wechseln zu müssen. Wenn nur zwei, drei Leute durch diese Jobmesse heute eine neue Anstellung finden, hat es sich schon gelohnt.“

Die nächste Job-Messe für ehemalige Vallourec-Beschäftigte findet am 3. Juli in Düsseldorf statt. Firmen, die sich daran beteiligen und ihre Jobangebote vorstellen möchten, können sich melden: transfer@start-nrw.de. Weitere Infos unter: Start-NRW.de.

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