Mülheim. Neben Aldi und der Stadt ist Siemens Energy größter Arbeitgeber in Mülheim. Nach schweren Jahren geht es aufwärts. Was der Standort-Chef sagt.
Seit Oktober 2019 trägt Nevzat Oezcan Verantwortung dafür, in Mülheim den größten Fertigungsstandort des Technologie-Riesen Siemens Energy (SE) mit Innovationen für die Energiewende neu aufzustellen. Der Standortleiter sieht wichtige Schritte mit seinen rund 4500 Mitarbeitern gemacht.
Oezcan spricht von einer „schwierigen Phase“, die er in den ersten eineinhalb, zwei Jahren in verantwortlicher Position durchlebt hat. Weil das Geschäft mit konventioneller Kraftwerkstechnologie, auf das SE in Mülheim lange fokussiert war, wegen des Kohleausstiegs des Konzerns im Jahr 2020 massiv schwächelte, stand der Standort mächtig unter Druck. Im September 2021 waren ein weiterer Sozialplan und Interessenausgleich ausverhandelt: Noch mal 607 Stellen sollten bis 2025 allein in Mülheim wegfallen. Umso zufriedener schaut Oezcan aufs Jetzt. „Wir konnten in den vergangenen zwei Jahre mit überwiegend positiven Nachrichten über den Standort nach außen treten“, sagt er. Das Programm zum Stellenabbau, sagt er, sei bei der 500 gestoppt. Der Konzern sucht wieder Fachkräfte für Mülheim, verstärkt massiv die Ausbildung.
Siemens Energy in Mülheim: Ein Jahr Kurzarbeit ist Geschichte
Ein Jahr Kurzarbeit ist Geschichte. Tatsächlich dazu beigetragen hat auch das Anziehen des klassischen Geschäftes mit großen Dampfturbinen und Generatoren, für das immer noch die meisten Siemensianer in Mülheim arbeiten. Die Nachfrage sei wieder gestiegen, so Oezcan. Bedingt durch den Ukraine-Krieg und die Energiekostensteigerung hätten zahlreiche Länder die Unabhängigkeit in der Energieversorgung zum strategischen Thema gemacht. Investitionen seien die Folge.
Wesentlicher Stabilisator ist nun auch das, was SE als Standort-Transformation vorantreibt: die Entwicklung innovativer Technologien für die Energiewende. Ein Standbein, das wegweisenden Halt gibt, ist das junge Geschäft mit Elektrolyseur-Anlagen zur Wasserstoff-Produktion. Bei der Elektrolyse wird Wasser mithilfe von Strom und speziellen Membranen in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt. SE hat mit einer Fabrik-Einweihung in Berlin den Meilenstein zur seriellen Fertigung gesetzt. Schon im Jahr 2025 soll eine Produktionskraft von mindestens drei Gigawatt Elektrolysekapazität erreicht sein.
Elektrolyseur-Produktion bringt viel Arbeit für Siemens Energy in Mülheim
In gleich drei von vier Gliedern der Wertschöpfungskette ist der Standort Mülheim involviert. In einem ersten Schritt werden in Mülheim die Gasdiffusionslagen für den späteren Verbau in das Herzstück der Elektrolyse-Anlagen, die Stacks, gefertigt. Die Stacks und andere Komponenten werden folgend wieder in Mülheim, aber auch anderswo entlang der weltweiten Lieferkette, zu einem Paket zusammengebunden. Schließlich ist der Service an den Standort Mülheim angedockt.
Eine Anlage ist jüngst bei Air Liquide in Oberhausen installiert worden. Das ist Ausdruck einer strategischen Kooperation, in der die zwei Technologieriesen Air Liquide und SE ihre Wasserstoff-Expertise bündeln. Mit der SE-Technik will Air Liquide von Oberhausen aus über ein unternehmenseigenes Wasserstoffnetz große Industrieunternehmen mit Wasserstoff beliefern. Auch wenn sich die öffentliche Debatte um grünen Wasserstoff meist auf eine Re-Elektrifizierung etwa in dann umfunktionierten Gaskraftwerken fokussiert, so ist das neue Geschäftsfeld der Wasserstoff-Produktion aktuell doch erst mal auf Bedarfe industrieller Prozesse ausgerichtet. Gleichwohl kann SE auch die Umstellung von Kraftwerken auf Wasserstoffbetrieb darstellen.
Rund 1600 Mülheimer Ingenieure stehen für großes Knowhow am Standort Mülheim
„Alles, was groß und kompliziert ist, können wir hier an diesem Standort besonders gut“, beschreibt Oezcan die Anziehungskraft des Standortes. „Wir haben hier ausgesprochen gute Experten in fast allen Bereichen, die ihr Wissen im konventionellen Geschäft in neue Technologien einbringen können.“ In der Elektrolyseur-Fertigung sei die Mülheimer Expertise in der Schweißtechnik zum Beispiel ein wichtiger Punkt gewesen, den Bau der Divisionsanlagen am Hafen zu etablieren. Auch wenn die eigentliche Produktentwicklung von SE in Erlangen beheimatet ist: Rund 1600 Mülheimer Ingenieure tragen laut Oezcan immer auch dazu bei, Produkte beständig zu optimieren.
Die Transformation hin zu einem grünen Portfolio wird ebenso getragen von der Weiterentwicklung sogenannter Phasenschieber zur Stabilisierung von Stromnetzen in jenen Millisekunden-Bereichen, wo die Netzfrequenz stottert. Gekoppelt sind die Anlagen mittlerweile mit einem Schwungrad. Es steigert laut Oezcan die Effizienz.
„Für diese Produkte gibt es immer mehr Nachfrage“, sieht er auch hier ein Wachstumsfeld – hauptsächlich im Geschäft mit Netzbetreibern. Mülheims starke Kompetenz im Bau von Generatoren habe die Geschäfte möglich gemacht. „Phasenschieber sind eigentlich nichts anderes als ein Generator, sie werden nur andersrum genutzt“, ist Oezcan stolz darauf, dass die Mülheimer SE-Familie ihr Knowhow aus der Vergangenheit in grüne Technologien der Zukunft umzuwandeln weiß.
Projekt zur Wärme-Revolution noch in der Entwicklung von Siemens Energy
Noch in der Entwicklungsphase ist ein drittes neues Standbein: eine Lösung für thermische Speicher im XXL-Format. Thermodynamik-Experten und Dampfturbinen-Entwickler sitzen am Thema, es gibt eine Zusammenarbeit dazu mit dem amerikanischen Unternehmen Malta, einem Start-up für Langzeit-Energiespeicher. SE will die Turbomaschinen zur Be- und Entladung der Großanlagen liefern. Sie sollen über eine Wärmepumpe Strom und thermische Energie erzeugen. Mittels geschmolzener Salze solle die Energie über Stunden oder sogar mehrere Tage in riesigen Tanks gespeichert werden können.
Im Entladeprozess soll die Wärme in elektrische Energie, aber auch Fernwärme mit bis zu 500 Grad umgewandelt werden, was einen hohen Wirkungsgrad verspricht und die Möglichkeit klassischer Wärmepumpen (160 Grad) um ein Vielfaches übersteigt. Auch Kälte mit bis zu minus 70 Grad lasse sich so erzeugen, etwa für große Kühllager für Lebensmittel, sagt Oezcan.
Mülheimer Standort von Siemens Energy weiter in der Entwicklung - der Chef aber geht
Der Bund fördert das Projekt mit Millionen. Es sei gar Thema zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen, weist Oezcan darauf hin, dass der Entwicklung eine sehr hohe geostrategische Bedeutung zugemessen werde. Eine Pilotanlage könnte laut Oezcan in Europa oder den USA entstehen. Ein Standort im Mülheimer Hafen, wie einmal angedacht, wird es nach einer Prüfung nicht geben - zu klein der potenzielle Kreis der Abnehmer im umliegenden Gewerbegebiet. Optimal sind laut Oezcan Anwender-Standorte, wo nebenbei viel Bedarf an Wärme und Kälte besteht.
All diese Entwicklungen stimmen Oezcan hoffnungsfroh für die Zukunft am Standort Mülheim. Nicht zu vergessen ist auch, dass Mülheim sich als großer Service-Standort etabliert hat. Rund 1600 der 4500 Beschäftigten am Standort sind auf diesem Feld unterwegs. Dagegen arbeiten nur 800 direkt in der Fertigung. Der Rest arbeitet etwa in der Verwaltung oder anderen Bereichen. Forschung und Entwicklung macht dabei einen gewichtigen Teil aus. Denn die Transformation wird weitergehen. In Mülheim allerdings ohne Nevzat Oezcan. Er wechselt im Mai nach Nürnberg und übernimmt die Leitung von vier Werken im Bereich Netztechnik.
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