Mülheim. Nach Jahren des Stellenabbaus will Siemens Energy in Mülheim die Energiewende antreiben und wachsen. Bundespräsident und Botschafter zu Besuch.
Bei Siemens Energy in Mülheim haben sie schon häufig prominente Gäste empfangen. Vor dem Besuch am Dienstag ist die Anspannung dennoch groß. Nicht nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich für eine Besichtigung angekündigt. Im Schlepptau wird er rund 150 Botschafterinnen und Botschafter aus aller Welt haben, die sich in Mülheim anschauen wollen, wie Energiewende geht.
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Einmal jährlich reist der Bundespräsident mit dem Diplomatischen Korps durch ein Bundesland. Bei Siemens Energy hat man durchaus registriert, dass Steinmeier als einziges Unternehmen auf der NRW-Tour das große Mülheimer Dampfturbinen- und Generatorenwerk ausgewählt hat. Dessen Kompetenzzentrum für Energiewendetechnologien stehe „für die Transformation im Ruhrgebiet“, ließ das Staatsoberhaupt im Vorfeld wissen.
Steinmeier und 150 Botschafter im Ruhrgebiet
Steinmeier ist wohl vertraut, welche Bedeutung der Standort Mülheim mit seinen mehr als 4000 Beschäftigten im weltweiten Kraftwerksgeschäft von Siemens Energy spielt. Als Außenminister war er im August 2008 dabei, als auf dem Werksgelände an der Ruhr der Grundstein für eine neue 40 Millionen Euro teure Schwerlasthalle gelegt wurde.
Den Besuch der hochrangigen Diplomaten 15 Jahre später empfindet Standortleiter Nevzat Oezcan als Auszeichnung und Ansporn gleichermaßen. Als er 2019 seinen Job in Mülheim antrat, war die Lage des Werks alles andere als rosig. Die Energiewende führte dazu, dass weltweit der Bau von großen Atom- und Kohlekraftwerken einbrach. Aufträge für große Dampfturbinen und Generatoren, auf die Mülheim spezialisiert ist, gingen stark zurück.
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Siemens reagierte mit dem Abbau von insgesamt 1600 Stellen in zwei Stufen. Von den 5700 blieben 4100 in Mülheim. Als Abfederung forderten Betriebsrat, IG Metall und die Politik früh, dass sich der Weltkonzern stärker neuen Themen der Energiewende widme. Dem Bundespräsidenten und den Botschaftern will der Werkleiter am Dienstag nun zeigen, dass Siemens Energy einen großen Schritt in Richtung Zukunft voran gekommen sei.
„Für die Energiewende braucht es traditionelle Technologie, daher liegt hier der Schwerpunkt unseres Werks. Aber die neuen Produkte holen auf, und das ist gut so. Wir verbinden Bestehendes mit der Zukunft“, sagt Nevzat Oezcan im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Welt braucht bezahlbare, nachhaltige und zuverlässige Energie. Wir in Mülheim sind stolz darauf, dass wir dazu unseren Beitrag leisten können, weil wir die Experten und das Fachwissen mitbringen“, meint der Ingenieur selbstbewusst und verweist auf das neue „Kompetenzzentrum für Technologien der Energiewende“, das Mülheim für den Siemens-Energy-Konzern geworden ist.
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„Wir haben in den vergangenen zwei Jahren zwei Geschäftsfelder aufgebaut, mit denen wir die Energiewende voranbringen wollen: den Bau von Elektrolyseuren und Netzstabilisierungssystemen“, erläutert Oeczan. Elektrolyseure spalten Wasser in den Zukunftsbrennstoff Wasserstoff und in Sauerstoff auf. Das Herzstück der großen Anlagen komme zwar aus Berlin, „aber hier in Mülheim bauen wir die Geräte zusammen und verschiffen sie in die ganze Welt“, so der Standortleiter.
Neues Geschäftsfeld: Elektrolyseure
Der erste Elektrolyseur made im Ruhrgebiet steht in Wunsiedel, der zweite beim führenden Gasehersteller Air Liquide in Oberhausen. Dort hatte sich Bundespräsident Steinmeier bereits am 2. Mai ein Bild von der industriellen Transformation gemacht.
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Das zweite neue Geschäftsfeld für Siemens Energy in Mülheim beschäftigt sich mit der Stabilität der Netze, die bei der Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom stark schwankt. „Rotierende Masse ist das stabilisierende Element in den Stromnetzen. Durch den Wegfall von Atom- und Kohlekraftwerken fehlt diese Massenträgheit in den Netzen“, erklärt Oeczan fachmännisch das Phänomen. „Phasenschieber und Schwungräder haben sich als besonders effizient erwiesen, um diesen Mangel auszugleichen.“
Beides bauen sie jetzt in Mülheim und beliefern damit große Netzbetreiber. Auf seiner Tour durch die Werkshallen bekommt das Diplomatische Korps überdies Pilotanlagen für Energiespeicherlösungen zu sehen und wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz dazu beiträgt, dass beim Schweißen antrainierte Fehler sofort erkannt werden.
Deutlich mehr Ausbildungsplätze
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Von Arbeitsplatzabbau ist bei Siemens Energy in Mülheim nun keine Rede mehr. Im Gegenteil. Mehrere Hundert könnten demnächst dazu kommen, heißt es. Oeczan will sich sich zu konkreten Zahlen nicht äußern, verweist allerdings auf die wachsende Zahl von Ausbildungsplätzen. „In diesem Jahr wollen wir 87 Ausbildungsplätze besetzen. 2024 sollen es mehr als 120 sein“, kündigt der Standortleiter an. „Das zeigt die wachsende Bedeutung unseres Standorts und dass auch junge Menschen bei uns einen wichtigen Beitrag für die Energiewende leisten können.“