Herne. Die erbitterte Auseinandersetzung im Herner Lidl-Lager ist um ein Kapitel länger. Das fand - erneut - vor dem Arbeitsgericht statt.
Bei dem Verfahren erzielte der Lebensmittel-Discounter einen Teilerfolg: Der inzwischen ehemalige Betriebsratsvorsitzende, so die Entscheidung der 2. Kammer des Arbeitsgerichts, darf aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden, sein Stellvertreter bleibt weiter Mitglied. Mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten zuvor den Antrag gestellt, dass beide aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden - obwohl sie seit 2010 immer wiedergewählt worden waren, zuletzt im Jahr 2022.
Um den Hintergrund dieses Verfahren zu verstehen, muss man zurückblenden: Offenbar schwelt in dem großen Logistikstandort an der Südstraße seit geraumer Zeit ein Konflikt. Dazu gehört, dass sowohl ein Riss durch den Betriebsrat geht als auch durch die Belegschaft. Anfang März schlug Verdi-Sekretär Azad Tarhan Alarm: Im Lager würden Teile der Belegschaft eingeschüchtert, die beiden Betriebsratsvorsitzenden unter Druck gesetzt. Eine außerordentliche Kündigung hatten sie schon 2022 bekommen - die wurde allerdings vom Herner Arbeitsgericht abgeschmettert. Lidl zog daraufhin in die nächste Instanz. Der Verdi-Sekretär vermutet, dass die Betriebsratsmitglieder mürbe gemacht werden sollen, sodass sie irgendwann aufgeben und Lidl einen Betriebsrat installieren könne, der dem Arbeitgeber wohlgesonnen sei.
Wie tief die Gräben sind, offenbart sich an der Tatsache, dass sich eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an die WAZ wandten, um zu schildern, dass sie kein Vertrauen mehr in die Betriebsratsvorsitzenden haben. Deshalb strengten sie am Arbeitsgericht das Verfahren zum Ausschluss der beiden an. Und sie hielten auch an dem Verfahren fest, nachdem beide Ende Mai vom Vorsitz abgewählt worden waren.
Schon vor Verhandlungsbeginn am Dienstagmorgen machten beide Seiten mobil: Einer Solidaritätskundgebung für die beiden Betriebsräte, bei der Willi Karrasch Arbeiterlieder sang, standen mehr als ein Dutzend Lidl-Mitarbeiter entgegen, die kleine Plakate hochhielten, mit Parolen wie: „Vertrauen stärken. Für einen fairen Betriebsrat.“
Richter ließ schnell die Luft aus der langen Liste mit Vorwürfen
Das Verfahren selbst drehte sich dann völlig nüchtern um die Frage, ob die beiden - inzwischen ehemaligen - Betriebsratsvorsitzenden schwerwiegende bzw. grobe Pflichtverstöße begangen haben, die einen Ausschluss aus der Arbeitnehmervertretung rechtfertigen würden. Die Liste der Vorwürfe sah auf den ersten Blick ziemlich stattlich aus. 16 Mal sollen die beiden gegen ihre Pflichten verstoßen haben, doch Richter Thomas Kühl ließ recht schnell die Luft raus. Einige dieser Vorwürfe seien ohne jegliche Substanz.
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Die mündliche Verhandlung offenbarte eine bemerkenswerte Konstellation: Mehr als 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gaben ihre Unterschrift für das Ausschlussverfahren, doch die Vorwürfe beschränkten sich ausschließlich auf Vorkommnisse im Zusammenhang mit Betriebsratssitzungen und nicht auf das direkte Mit- oder Gegeneinander von Betriebsratsvorsitzenden und Belegschaft. In der Verhandlung wurde dieser Umstand allerdings nicht thematisiert.
Ehemaliger Betriebsratsvorsitzender gibt sich geschockt, aber kämpferisch
Die Einladung und die Durchführung einer Betriebsratssitzung waren es schließlich, die Richter Thomas Kühl zu der Überzeugung kommen ließen, dass in diesem Fall ein grober Pflichtverstoß durch den Betriebsratsvorsitzenden vorliege. Deshalb sei ein Ausschluss aus dem Betriebsrat gerechtfertigt.
Der zeigte sich in einer ersten Reaktion geschockt, aber auch kämpferisch. Er werde selbstverständlich Berufung einlegen und in die nächste Instanz gehen. Das bedeute auch, dass er bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens Mitglied des Betriebsrats bleiben werde. Und bei den nächsten Betriebsratswahlen werde er selbstverständlich wieder kandidieren.