Herne/Bochum. Im Streit zwischen Verdi und Lidl in Herne/Bochum schaltet sich Günter Wallraff ein: „Ich stehe auf Eurer Seite“, sagt er dem Betriebsrat.
Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff schaltet sich in den Konflikt zwischen Verdi und der Unternehmensführung des Lidl-Zentrallagers auf der Stadtgrenze Herne/Bochum ein. Der 81-Jährige zeigt sich dabei solidarisch mit den Betriebsräten. „Ich stehe auf Eurer Seite“, schreibt Wallraff. Auch der Verein „Work Watch“ kritisiert Lidl scharf.
Der Streit zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Lidl-Chefetage ist in den vergangenen Wochen hochgekocht. Verdi-Gewerkschaftssekretär Azad Tarhan spricht gegenüber der WAZ von einer Einschüchterung der Belegschaft und von Drangsalierungen des Betriebsrats durch die Unternehmensführung. Neudeutsch nennt die Gewerkschaft das „Union-Busting“ (englisch für „Gewerkschafts-Zerstörung“). Das Lidl-Verteilzentrum an der Herner Südstraße direkt an der A43-Anschlussstelle Bochum-Riemke wird aktuell mit einer großen Millionensumme massiv erweitert und verbindet dann beide Städte. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll bis zum Abschluss der Arbeiten in zwei Jahren von jetzt 250 auf 450 wachsen. Dadurch vergrößere sich der Betriebsrat, der dann auch mächtiger werde. Das scheine ein Beweggrund des Discounter-Betreibers zu sein, um die Mitarbeitervertretung zu bekämpfen, sagt der Verdi-Sekretär.
Verdi: Betriebsräte werden mit Klagen und Kündigungen überzogen
Betriebsräte werden laut Tarhan mit Klagen und Kündigungen überzogen - die bislang alle abgeschmettert worden seien. Hinzu kämen Abmahnungen und Beschwerden. Lidl, so sagte er schon Anfang März zur WAZ, wolle im Zuge des Ausbaus Arbeitszeiten verändern, darunter neue Zeiten am Wochenende einführen. Das kritisiert die Gewerkschaft scharf. Tarhan glaubt, dass Lidl die Betriebsratsmitglieder mürbe machen wolle, damit sie irgendwann aufgäben und Lidl einen Betriebsrat installieren könne, der dem Arbeitgeber wohlgesonnen sei.
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Der Verein „Work Watch“ (Köln), der Betriebsräte und Mitarbeitende berät, die - so die Selbstauskunft - von Vorgesetzten drangsaliert werden, unterstützt die Gewerkschaft und die Lidl-Mitarbeitenden: „Es ist an der Zeit, den Geschäftsführer im Lager Herne in die Schranken zu verweisen!“, heißt es auf der Homepage des Vereins. Unter dem Titel „Stoppt Union-Busting“ werden Menschen im Internet dazu aufgerufen, eine Petition zu unterzeichnen. Sie trägt den Namen „Klagen und Kündigungen gegen Lidl-Betriebsräte sofort zurücknehmen“. Prominenter Unterstützer des Vereins ist auch Günter Wallraff. In einem Schreiben, das Verdi am Sonntag, 24. März, veröffentlichte, stellt sich der bekannte Journalist und Schriftsteller auf die Seite der Betriebsräte. Mit seinem RTL-Magazin „Team Wallraff – Reporter undercover“ sorgte Wallraff bereits vor zwei Jahren in Herne für Aufsehen, als er die Zustände im Pflegeheim Flora Marzina anprangerte.
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Seit Jahrzehnten, so Wallraff in seiner am Wochenende veröffentlichten Solidaritätsadresse, gehöre der Lidl-Konzern zu den Unternehmen, die Gewerkschaften und Betriebsräte bekämpften. „Ich freue mich, dass Ihr im Lager Herne dagegenhaltet und für Eure Rechte als Arbeitnehmer eintretet“, schreibt der 81-Jährige. Und weiter: „Ich stehe auf Eurer Seite und fordere die Konzernspitze auf, endlich die grundlegenden demokratischen Rechte der Beschäftigten zu respektieren.“ Wallraff fügt an: „Schluss mit dem Bossing im Lager Herne!“ Und: „Lassen Sie die gewählten Belegschaftsvertreter ihre Arbeit machen! Beenden Sie die Attacken gegen die Gewerkschaftsvertreter durch Ihren örtlichen Geschäftsführer!“
Gewerkschaftssekretär Tarhan kommentiert die Wallraff-Unterstützung in der Verdi-Mitteilung mit diesen Worten: „Was bei Lidl in Herne passiert, ist Union-Busting, wie es im Buche steht und demokratiefeindlich.“ Neben den Kündigungen und Klagen sei auch auf Betriebsversammlungen vor lauter Gebrüll kein geordneter Ablauf mehr möglich. Beschäftigte, die für Ordnung sorgen wollten, würden attackiert und müssten am nächsten Tag mit Abmahnungen rechnen. Im Übrigen sprächen die Zahlen der Betriebsratsgremien bei Lidl für sich: In 39 zentralen Lidl-Lägern gebe es nur vier Betriebsratsgremien. Auch in den über 3000 Filialen gebe es so gut wie keine Betriebsräte. Tarhan betont: „Die Demokratie endet nicht am Betriebstor! Wir stehen weiterhin an der Seite der mit Abmahnungen und Kündigung bedrohten Kolleginnen und Kollegen. Den einzigen Schutz, den sie haben, ist eine im Betrieb stark verankerte Gewerkschaft.“
Und was sagt Lidl zu dem Konflikt? Zu laufenden und nicht rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahren gebe das Unternehmen keine Stellungnahme ab, teilte Lidl Anfang März auf Anfrage der WAZ mit. Und weiter: „Wir dürfen Ihnen aber versichern, dass uns eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsratsgremium wichtig ist. Die von Ihnen geschilderten Behauptungen entsprechen nicht unseren Grundsätzen.“