Herne. Alexander Barg saniert die Abwasserrohre unter der Dorstener Straße in Herne. Der 49-Jährige sieht manchmal kaum Tageslicht. Exklusive Einblicke.

Fast wären wir weitergegangen. Aber aus dem Gulli unterhalb der Dorstener Straße dringen Stimmen nach oben. Ist da wer? Aus dem Loch kommt die knappe Antwort: „Den Polier fragen!“ Der sitzt im nächsten Loch. Hallo? Hallo! Alexander Barg kommt in seinem weißen Anzug, Helm und mit Stirnlampe die steilen Stiegen hinauf. Er freut sich, dass sich jemand für seine Arbeit interessiert - eine von vielen Zufallsbegegnungen auf unserer Tour zu Fuß durch Herne und Wanne-Eickel.

Geschichten vom Leben aus dem Leben

WAZ-Reporter Arne Poll und Fotograf Uwe Ernst wandern durch Herne und Wanne-Eickel und treffen spontan Menschen von der Straße. Wie sind ihre Geschichten? Warum leben Sie gerade hier? Was lieben Sie an ihrer Stadt? Die Tour startete im Oktober am Kanal in „Unser Fritz“ und dauert, soweit die Füße tragen. Wo lohnt sich besonders ein Besuch? Schreiben Sie an arne.poll@funkemedien.de

Weitere Folgen:

1. Bernd Gembries (59) über Wanne-Eickel: „Einer der schönsten Flecken Erde“.

2. Nina Wende (31) wartet auf ihr Baby: „Ein komisches Gefühl“.

3. Alexander Barg (49) baut Kanäle: „Manchmal sehe ich gar kein Tageslicht“

4. Amar Almoklef (27) wacht über die Waschanlage: „Das ist mein Traumberuf“

5. Shirin Kopietz (26) liebt Fisch und ihren Job bei Lichte: „Ich habe einfach total Spaß daran“

6. Mehmet Can Özbey (14) hilft seinen Eltern im Happy Shop: „Das ist schon ein schöner Name“

Vom Kraftfahrer in Kasachstan zum Polier in Deutschland

„Das ist schon extreme Arbeit, den ganzen Tag unter der Erde zu werken“, sagt Barg. Im Winter steige er noch im Dunkeln hinab. Und wenn der Arbeitstag vorüber sei, ist oben die Sonne schon wieder untergegangen. Manchmal sehe er das Tageslicht überhaupt nicht. „Vom Tag hast du nichts gesehen“, sagt er. „Aber es macht wirklich Spaß. Sonst hätte ich es nicht 28 Jahre lang mitgemacht.“

Alexander Barg ist seit fast drei Jahrzehnten bei der Firma I&D, die den Auftrag hier ausführt. „Eigentlich bin ich gelernter Maurer. Aber irgendwie bin ich hier gelandet.“ Nach 28 Jahren habe er sich zum Polier hochgearbeitet, keine Selbstverständlichkeit. In seiner alten Heimat in Kasachstan habe er noch Kraftfahrer gelernt. Dann sei er vor 32 Jahren nach Deutschland gekommen und habe die Ausbildung als Maurer gemacht. Erst Trockenbau, dann feuchter Kanal.

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Eine Mammutaufgabe sechs Meter tief unter der Fahrbahn

Die alten Rohre von 1960 werden auf gut 350 Metern Länge saniert. Davon bekommt man oben kaum etwas mit. In die alten Röhren werden neue Rohre mit 1,50 Metern Durchmesser eingesetzt. Über den Schacht werden sie Stück für Stück in die alten Kanäle hineingeschoben. Auftraggeber ist die Stadtentwässerung Herne, die hier das Kanalnetz betreibt.

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Wir steigen spontan mit Alexander Barg sechs Meter senkrecht hinab. Die Luft wird feucht. Es tropft. Man kann von der Seite in den fertigen Teil des Kanals schauen. Der Polier leuchtet mit der Stirnlampe hinein. Es ist kein Ende zu sehen. In der Mitte fließt ein kleines Rinnsal. Das Haupt-Abwasser wird über kleinere Rohre an der Baustelle vorbeigeleitet. Man kann ja während der Arbeit nicht einfach alles abstellen. Ein Schott hält das Abwasser von dem Baustellenbereich ab. Kommt es zum großen Starkregen, dann kann wird im schlimmsten Fall die Baustelle überflutet, aber das Wasser fließt trotzdem ab.

Hier unten fließt Mischwasser. Das heißt im Idealfall: Regenwasser aus den Straßeneinläufen, aber auch das Abwasser aus den Hausanschlüssen. Da kommen auch schon mal Dinge vorbeigeschwommen, die man nicht so gerne sehen möchte. Stinkt das nicht furchtbar? Alexander Barg nickt gelassen. Man gewöhne sich dran.

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Kanalbau: Eine andere Welt hier „unter Tage“

Es ist eine andere Welt hier unten. „Wenn man direkt am Schacht steht, kann man noch etwas von oben hören. Wenn man aber weiter drin ist, kann man gar nichts mehr hören“, sagt Barg. Hier und da hört man Pumpen. Und weiter entfernt sind die Kollegen zu Gange. „Wir arbeiten mit vier, fünf Mann hier unten. Wir müssen immer in Kontakt bleiben.“

Für die Arbeiten wurde ein Schacht ausgehoben und dann einfach der Kanal von der Seite aufgeschnitten. Obendrüber liegt die vierspurige Dorstener Straße. Hat man nicht manchmal Angst, dass einem hier die Decke auf den Kopf fällt? Nein, sagt Barg. „Ich habe keine Angst. Da gibt‘s noch Schlimmere Sachen.“ Und das seien manchmal Situationen, da stehe man bis zum Bauch in Fäkalien. „Das ist Gewöhnungssache.“

Herne: HERbstWANdern mit Arne
Alexander Barg (49) auf der Baustelle an der Dorstener Straße. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst