Hattingen/ Düsseldorf. Millionen aus Drogengeschäften, Schlägertrupps: Im Mafia-Prozess angeklagt ist ein 64-jähriger Hattinger. Er führte Jahrzehnte ein Doppelleben.
„Dieser Mann ist das Gegenteil von allem, was man an Kriminalität in einer Person vermutet“, sagt Oliver Huth, Chefermittler des Landeskriminalamtes (LKA) über Karl-Heinz E. aus Hattingen. Und doch steht der 64-Jährige seit Montag (3.2.) im Mittelpunkt eines Mafia-Prozesses. Der ist Folge einer der größten europäischen Schläge gegen die `Ndrangheta, die Operation „Eureka“.
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„Er sieht aus wie der Weihnachtsmann. Wer glaubt denn, dass er für internationalen Rauschgifthandel verantwortlich ist“, beschreibt Huth den Hauptangeklagten in der ARD-Dokumentation „Jagd auf die Mafia – Die `Ndrangheta in Deutschland“. Dieser unscheinbare Mann lebte bis zum 23. Mai 2023 in der beschaulichen Hattinger Südstadt, kurz vor dem Wald in einem Mehrfamilienhaus mit seiner Frau und Familie.
„Ich habe es nachts gehört, den Knall, als die die Tür aufgebrochen haben. Damit habe ich auf keinen Fall gerechnet.“
Seit diesem Tag im Mai sitzt er in Untersuchungshaft. An jenem Tag bringen sich etwa 1000 Polizisten in verschiedenen deutschen Städten in Stellung und weitere im europäischen Ausland.
Vier Uhr morgens: der Zugriff. Er ist das Ergebnis der jahrelangen Ermittlungen in der Operation „Eureka“.
„Ich habe nachts die Explosion gehört, gegen vier Uhr“, sagt Stephan Meyer. „Wir haben nicht damit gerechnet“, erklärt der Anwohner, der Karl-Heinz E. zwar nicht persönlich kannte, ihn aber gelegentlich getroffen habe. Immerhin blickt er von seinem Haus auf das des mutmaßlichen Drahtziehers unzähliger Drogengeschäfte für die Mafia.
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Auch Roswitha Schulte-Oversohl und ihr Mann, die oft hier spazieren gehen, können kaum glauben, was sich in der ruhigen Gegend abgespielt haben soll. „Das Gefährlichste, was man hier sonst trifft, sind freilaufende Hunde“, sagt sie. Auch zwei Anwohnerinnen bestätigen: „Das ist eine ganz ruhige Wohngegend!“ Die Tochter erklärt: „Ich habe es nachts gehört, den Knall, als die die Tür aufgebrochen haben. Damit habe ich auf keinen Fall gerechnet.“
„Er führte ein unscheinbares Leben und wurde ständig unterschätzt“, resümiert Oliver Huth vom LKA.
Erst nachdem zwei Drogenschmugglerinnen in Italien auffliegen, rückt auch der Hattinger in den Fokus der Ermittler. Denn er ist Betreiber eines Angelparadieses in Breckerfeld, bei dem auch die Frauen angestellt waren. Wie sich herausstellt, werden dort wohl Mafia-Gelder gewaschen, Drogenkuriere rekrutiert und Schmuggelfahrten organisiert.
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Der Kopf des Netzwerks: der 64-Jährige aus Hattingen. Alle Kurierfahrten hätten an seiner Adresse in der Südstadt geendet, erklärt eine der Kurierinnen bereits in einem anderen Gerichtsprozess. Die Polizei geht davon aus, dass Karl-Heinz E. bereits seit 15 bis 20 Jahren sein Netzwerk für Drogenkuriere betrieben hat und Aufträge für die Mafiaorganisation `Ndrangheta ebenso erledigte wie für albanische Auftraggeber. Auch Schlägertrupps soll der Hattinger losgeschickt haben, um Mafia-Gelder einzutreiben oder Leute zum Schweigen zu bringen.
„Die Aussagen von Herrn Huth sind in erheblicher Weise geeignet, die Unvoreingenommenheit der Schöffen zu beeinflussen.“
Zum Prozessauftakt wirkt der Hauptangeklagte ruhig. Als er als letzter den Gerichtssaal im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts betritt, verdeckt er sein Gesicht nicht. Schon kurz nach dem Start ist der Mafia-Prozess schon wieder unterbrochen. Der Verteidiger wirft den Schöffen Befangenheit vor, weil sie die ARD-Dokumentation gesehen haben könnten. Verteidiger Dr. Heiko Löw: „Die Aussagen von Herrn Huth sind in erheblicher Weise geeignet, die Unvoreingenommenheit der Schöffen zu beeinflussen.“ Die Dokumentation lege nahe, „dass die Täterschaft meines Mandanten unumstößlich feststeht“ und dass „jede andere Entscheidung als eine Verurteilung einer Kapitulation Deutschlands gegen die Mafia gleichkäme“.
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Nachdem die Schöffen eine Erklärung abgegeben haben, dass sie die Doku nicht gesehen haben, kann es mit der Verlesung der Anklage weitergehen. Die dauert fast 40 Minuten, Karl-Heinz E. zeigt keine Regung. Dem Hattinger wird unter anderem die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der vor dem Gesetz schwerere Vorwurf ist allerdings der bandenmäßige Handel mit Betäubungsmitteln. An dieser höchsten Einzelanklage wird sich eine mögliche Strafe orientieren. Denn für die Mafiamitgliedschaft sieht das Gesetz eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft vor, für den Drogenhandel aber würden den Hattinger fünf bis 15 Jahre Haft erwarten.
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Die Staatsanwaltschaft stellt dann auch in Aussicht, dass sie, so der Angeklagte umfassend gesteht, 12 bis 12,5 Jahre Haft fordern wolle. Noch aber sagt er nichts. Nach Gesprächen mit den Anwälten soll es am kommenden Montag weitergehen. Neben dem Hattinger wird sieben anderen Beschuldigten der Prozess gemacht.
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Mit seinen Drogengeschäften soll er 2,2 Millionen Euro verdient haben - und das betrifft nur die angeklagten etwa 50 Kurierfahrten, in denen in mit Geheimverstecken präparierten Autos fast 900 Kilogramm Kokain transportiert wurden. Etwa 100 Fahrten, bei denen die Beweislage weniger eindeutig war, wurden gar nicht angeklagt. Mit ihnen beliefen sich die Einnahmen aus den Drogengeschäften auf 4,7 Millionen Euro. Auch der Vorwurf der Geldwäsche wurde übrigens nicht angeklagt, da er für das zu erwartende Strafmaß nicht ausschlaggebend wäre.