Von Zellen & vergessenen Räumen: Geheimnisse im Amtsgericht
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Gladbeck. Über 100 Jahre alt ist das alte Gladbecker Amtsgerichts. Viele Winkel des historischen Gemäuers bleiben für Besucher verschlossen – eigentlich.
Die Dielenbretter des Dachbodens knarzen. Die Luft ist staubig, es riecht nach Holz und man muss aufpassen, sich nicht den Kopf an einem der Querbalken zu stoßen. Dazu sind die Temperaturen auf dem Dachboden schon fast Sauna-artig. Richter Thorsten Dostal zeigt auf eine Tür, die nicht geöffnet werden kann. Und lange Zeit wusste auch niemand, was sich dahinter befindet. Es ist der Start zu einem besonderen Rundgang durch das alte Gladbecker Amtsgericht.
Im Keller des Gebäudes sind die Temperaturen deutlich angenehmer. Kellerräume, die altes Wissen, viel Staub und beinahe vergessene Akten beherbergen. Es riecht nach altem Papier, vielleicht etwas Holz, beinahe nach Erdnüssen.
Dokumente aus königlicher Zeit in den Kellern des Gladbecker Amtsgerichts
„Grundakten des königlichen Amtsgerichts“ steht auf der Vorderseite einer Akte. Ganz unten, im Keller des Amtsgerichts, stapeln sich tausende Akten dieser Art. Alle in der längst vergessen Sütterlinschrift verfasst. „Das ist ein Teil der Gladbecker Geschichte“, sagt Thorsten Dostal und zieht eine weitere Akte aus dem Regal.
Seltene Einblicke in Gladbecks altes Amtsgerichtsgebäude
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Als stellvertretender Direktor des Amtsgerichtes kennt er jeden Winkel des historischen Gebäudes. Und schon nach einigen Minuten wird klar: Das Amtsgericht hat eine lange und interessante Historie zu erzählen, denn in den vielen Kellerräumen lagern so viele Akten, Grundbücher und vergessene Dokumente, dass man sie alleine wahrscheinlich niemals lesen könnte.
Die nächste Akte: „Preußischer Hypothekenbrief“ – datiert vom 9. Oktober 1908. Zu diesem Zeitpunkt gab es das jetzige Gebäude nicht einmal. Am 1. Februar 1913 in Betrieb genommen und bezogen, wurden bis dahin alle Akten, die Gladbeck betrafen, im Gericht in Buer aufbewahrt. Durch ein Gesetz aus dem Jahr 1912 war schon zuvor die Eröffnung eines Amtsgerichts in Gladbeck bestimmt worden.
Neben Akten und Büchern warten Angeklagte auf ihren Prozess
Doch im Keller des Amtsgerichts lagern nicht nur alte Akten. Ein Gang führt zu den Vorführzellen, in denen die Angeklagten auf ihre Verhandlung warten müssen. Eine silberne Toilette, ein Bett aus Holz, ein kleiner Tisch. Wenig Komfort, doch dafür seien die Angeklagten ja auch nicht hier, sagt Dostal. An den grauen Wänden der Zellen steht beinahe so viel geschrieben wie in den Akten des Amtsgerichts. So vertreiben sich die Angeklagten wahrscheinlich die Zeit, denn das Warten auf den Prozess kann einige Stunden dauern.
Gegenüber der Zellen verläuft ein Gang, über den die Angeklagten schließlich in die Gerichtsräume geführt werden. So trennen sie einige Meter Stein und Beton von einem möglichen Urteil, das über ihnen im Schöffensaal gesprochen werden kann.
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Zwischen Gerichtssaal und Zellen liegen nur wenige Meter
Die Etagen über dem Keller bilden den eigentlichen Kern des Gebäudes. Gerichtssäle, Büros, Verwaltungsräume. Ganz besonders fällt auch hier der alte Teil des Amtsgerichts ins Auge. Ein imposantes Treppenhaus führt hinaus in den dritten Stock zum Schöffengerichtssaal, dem größten Gerichtssaal im Gladbecker Amtsgericht. Ein fein verzierter Steinbogen über der mächtigen Holztür lässt mit dem Schriftzug„Schöffensaal“keinen Platz für Zweifel darüber, wo man sich befindet.
Auch im Sitzungssaal B des Amtsgerichts gibt es etwas zu entdecken. Hier überraschen kleine Modellautos, die auf dem Tisch des Richterpults platziert sind. „Mit denen können bei Verhandlungen Verkehrsunfälle dargestellt werden“, erklärt Dostal. Da werden tatsächlich Erinnerungen an das Spielen im Kinderzimmer wach.
Eine geheime Tür, hinter die lange niemand blickte
Über den Gerichtssälen und Verwaltungsräumen befinden sich weitere Büros und der Dachboden. Hier sollen das erste Mal seit zehn Jahren jetzt wieder Azubis ausgebildet werden. Ebenso im Dachgeschoss liegt ein großer Büroraum mit einem eiförmigen Fenster. Einst hatte sich hier ein Geschäftsleiter sein Büro gewünscht, jedoch war dieses zu weit von der eigentlichen Verwaltung entfernt.
Durch einen versteckten Gang geht es noch weiter nach oben. Alte Holzbalken und heiße Luft begrüßen jene, die sich über die Türschwelle wagen. Direkt rechts befindet sich eine weitere Tür. „Wir wussten nie, was sich hinter dieser Tür verbirgt“, sagt Dostal. Denn die Tür ließ sich nie öffnen. Um das Geheimnis zu lüften, geht es noch weiter hinauf. Über eine schmale Holztreppe bis direkt unter den Giebel des Gebäudes. Zwischen den Holzbalken ragt plötzlich eine Antenne hervor, wofür diese benutzt wurde, weiß auch Dostal nicht. Von hier oben kann man aber in den Raum schauen, der hinter der verschlossenen Tür liegt. In einen gänzlich leeren, dunklen Raum.
Seltene Einblicke in Gladbecks altes Amtsgerichtsgebäude
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Heute ein Parkplatz, früher saßen hier Verbrecher ein
Verlässt man das Gebäude schließlich, hat das Amtsgericht auch draußen noch Geheimnisse parat. Neben dem Parkplatz, auf dem bis 1978 das Gefängnis der Stadt stand, sieht man ein Männchen auf dem Dach einer Garage. Den „Wachtmeister“ auf dem Dach habe mal ein Anwohner angebracht, erklärt Thorsten Dostal. Der Blick des Männchens ist auf das mittlerweile modernisierte Haus neben dem Parkplatz gerichtet, in dem noch vor vielen Jahrzehnten der Direktor des Amtsgerichts wohnte. In alten Unterlagen aus dem Stadtarchiv heißt es, dass im besagten Gefängnis nur „kleine Fische“ gesessen haben. Heute – etwa 55 Jahre später – stehen an diesem Ort nur noch Autos.
Geht man vom Parkplatz einmal um das Gebäude herum, überrascht außen der alte Teil des Gebäudes: Vom alten Gemäuer aus 1913 ist nicht mehr viel zu sehen. Nur ein kleiner Teil des Amtsgerichts hebt sich in hellbraunem Stein von der sonst weißen Fassade des Gebäudes ab. Besonders fällt hier der steinerne Adler ins Auge, der auf einem kleinen Balkon über dem ehemaligen Eingang des alten Amtsgerichts thront: Mit dem starren Blick zu den „Feinden“ vom Finanzamt, witzelt Dostal. Das Gebäude steht seit 1990 unter Denkmalschutz. Aufwändig restauriert wurde die steinerne Fassade nie, denn sie war von Kriegsschäden größtenteils verschont worden. Eine kleine Tür neben dem alten Eingang erinnert ebenso an vergangene Zeit. Durch sie wurden damals die Gefangenen ins Gerichtsgebäude gebracht.
Heute müssen Besucher am Eingang des neuen Anbaus des Amtsgerichts zunächst durch eine Sicherheitskontrolle. Stets unter dem wachsamen Blick der Justizbeamten aus der nebenan liegenden Wachtmeisterei. In den Keller oder auf den Dachboden gelangt man aber nicht: diese Räume öffnen sich eigentlich nicht für Besucher.
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