Gladbeck. Eine 58-jährige Gladbeckerin leidet unter Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Sie hat mehrere Selbsthilfegruppen gegründet.

Depressionen, Angststörungen, Panikattacken, Verlustängste, posttraumatische Belastungssymptome – Susanne, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, kennt all diese mentalen Erkrankungen aus eigenem Erleben. Obwohl sie das schon lange spürte, holte sie sich erst vor zehn Jahren die Hilfe eines Therapeuten, und dort wurde ihr bewusst: „Die Ursache liegt in meiner Kindheit.“

Die Mutter der 58-jährigen Gladbeckerin ist eine gespaltene Persönlichkeit

Ihre Mutter sei eine gespaltene Persönlichkeit, sagt die 58-Jährige. „Sie hat Psychospielchen gespielt, mich ständig unter Druck gesetzt, wenn ich nicht sofort genau das getan habe, was sie mir aufgetragen hatte, weil ich zum Beispiel noch ein bisschen spielen wollte“, sagt die 58-Jährige.

„Ich war erste viereinhalb Jahre alt, als sie mich im Badezimmer eingeschlossen hat“

Susanne

Sie erzählt ein Beispiel: „Ich war erst viereinhalb Jahre alt, als sie mich im Badezimmer eingeschlossen hat. Ich hatte große Angst, habe geweint und gerufen, noch mehr, als die Wohnungstür ins Schloss fiel. Wahrscheinlich ist sie gar nicht weggegangen, wollte mich nur noch mehr in Panik versetzen.“

Sie habe vergeblich versucht, die Liebe ihrer Mutter mit kleinen Geschenken zu erkaufen. Der Vater als Alleinverdiener habe wenig Zeit für sie gehabt, ihre Vertrauensperson sei ihre Großmutter gewesen. „Wenn ich an die schönen Momente meiner Kindheit und Jugend denke, denke ich an sie.“

Seit sie 35 ist, ist Susanne Rentnerin

Bei Schicksalsschlägen, von denen Susanne etliche verkraften musste, und die ihre psychischen Leiden verstärkten, konnte die Oma ihr nicht helfen. Wegen einer schweren körperlichen Erkrankung musste Susanne ihren Beruf aufgeben, ist seit ihrem 35. Lebensjahr Rentnerin. Seit 2015 lebt sie allein. Auch das fällt ihr schwer.

Tagsüber ist die 58-Jährige ausgelastet, sehr sogar. Nach ein paar Jahren als Mitglied in einer Selbsthilfegruppe gründete sie 2022 mit fünf anderen Betroffenen eine eigene Gruppe für Menschen mit Depressionen, Panik- und Angststörungen, wegen der großen Nachfrage bald eine zweite. Und nicht nur das: Selbsthilfegruppen für Alleinstehende, die soziale Kontakte suchen, für Angehörige von depressiven Menschen und für chronisch Kranke folgten. Susanne hat sie initiiert, ist auch häufig dabei. „Es gibt immer jemanden mit Führungsqualitäten. Dann gebe ich die Leitung ab.“

Als „Telefon-Engel“ hilft Susanne Menschen, die sich einsam fühlen

Sie hat noch Anderes zu tun. Während der Corona-Pandemie nahm sie an Online-Schulungen des Fördervereins Retla mit Sitz in München teil, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Leben Älterer zu verbessern. Susanne arbeitet dort als „Telefon-Engel“ mit, führt Gespräche mit Menschen, die sich einsam fühlen.

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Viel Beschäftigung also. Aber dann kommen die Abende, an denen die meisten Menschen zur Ruhe kommen, sich entspannen. Susanne nicht. „Ich fahre manchmal durch die Gegend, tanke für zehn Euro, um ein paar Worte mit dem Kassierer wechseln zu können. Ich laufe die Straße auf und ab in der Hoffnung, einen Nachbarn zu treffen. Ich bettele in meinem Bekanntenkreis um Treffen, habe gleichzeitig Angst, den Leuten lästig zu werden.“

Zu viele Eindrücke führen zu einer Reizüberflutung

Angst hat sie auch noch in anderen Situationen. Agoraphobie heißt diese mentale Erkrankung. Es ist die Angst vor bestimmten Orten oder Situationen. Susanne meidet Menschenansammlungen, große Geschäfte zum Beispiel: „Zu viele Eindrücke, die eine Reizüberflutung darstellen. Ich habe dann Angst, dass im Fall einer Panikattacke oder in einer extremen Situation meiner körperlichen Erkrankung nicht schnell genug Hilfe zur Stelle ist.“ Eine begründete Sorge, denn zwei Mal sei Hilfe fast zu spät gekommen.  

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Wegen ihrer chronischen körperlichen Krankheit kann Susanne keine Antidepressiva gegen ihre psychischen Leiden nehmen. Sie befindet sich weiterhin in therapeutischer Behandlung, findet Hilfe in „ihren“ Gruppen und hat ihre ganz eigene Therapie entwickelt: Ihre Aktivitäten helfen Anderen, aber auch ihr selbst. „Ich gebe vielen Menschen die Möglichkeit zum Austausch. Sie knüpfen Kontakte, die über die Gruppen hinausgehen, ich sehe, dass es ihnen dadurch besser geht. Ich bin für sie da, spüre, dass ich gebraucht werde, bekomme viel positives Feedback, das gibt Selbstsicherheit.“ Für Susanne sind ihre Aktivitäten „meine Medikamente, die nicht verschreibungspflichtig sind“.

>>> Kontakt zur Selbsthilfegruppe „Unsinkbar“

Die Mitglieder der Selbsthilfegruppe „Unsinkbar Gladbeck“ und ihrer „Ableger“ treffen sich wöchentlich zu einer zweistündigen Gesprächsrunde. Sie bieten Hilfe zur Selbsthilfe, aber keine Therapien. Kontaktaufnahme, am besten mit einer kurzen Beschreibung des Anliegens, ist unter info@unsinkbar-gladbeck.de möglich.

Die WAZ-Redaktion möchte weitere Erkrankungen und Themen aus der Tabuzone holen, Themen wie Inkontinenz, Suchterkrankungen, Essstörungen, Traumata nach Missbrauch oder Gewalterfahrungen . . . Menschen, die darüber reden wollen, um anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Problemen, können sich gerne mit uns in Verbindung setzen: redaktion.gladbeck-waz@funkemedien.de.