Gladbeck. Rainer Peuser, 80-jähriger Gladbecker, fühlt sich beim Ausfüllen der Grundsteuer-Erklärung überfordert. Viele Ältere suchen Hilfe an der Hotline.

Rainer Peuser ist richtig sauer. „Ich bin ein stinknormaler Handwerker, kein Professor“, sagt der Elektriker im Ruhestand. Was den 80-Jährigen so erzürnt, liegt beim Gespräch mit der WAZ-Redaktion Gladbeck vor ihm auf dem Tisch: drei Formulare mit je drei bis vier Seiten – die „Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwertes“ plus Anlagen. Auch die mehrere Seiten lange Anleitung hilft ihm nicht: „Um die zu verstehen, braucht man auch schon einen Doktortitel.“

Zum Hintergrund: Die Feststellungserklärung für die Grundsteuer muss bis Oktober 2022 abgegeben werden. Sie ist notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht 2018 die bisherige Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Nun muss eine neue Berechnung her.

Der Hilfeanruf beim Finanzamt Marl ging nicht durch

Das hatte Rainer Peuser natürlich mitbekommen, nicht aber, dass die Formulare online ausgefüllt werden müssen, wie er einem Brief des Finanzamtes Marl entnahm. Der Rentner, der seit 1969 in seiner gut 70 Quadratmeter großen Eigentumswohnung an der Kurt-Schumacher-Straße in Rentfort-Nord lebt, hat keinen Computer, will sich auch keinen anschaffen. „Das ist nicht meine Welt.“

Also wählte er mehrfach die im Schreiben angegebene Nummer beim Finanzamt. „Kein Freizeichen, kein Besetztzeichen, die Leitung war einfach tot“, erzählt er. Schon ziemlich frustriert, fuhr er zum Finanzamt. Ein bisschen beruhigt war er dann schon, als ihm der Pförtner die benötigten Unterlagen in Papierform aushändigte. Die Erleichterung wich aber sehr schnell dem Ärger. Immer wieder liest er die Fragen, die er beantworten soll, schaut in den Kaufvertrag, das Grundbuch und andere Unterlagen und stellt resigniert fest: „Damit bin ich restlos überfordert.“

Der Steuerberater muss nun helfen – und verlangt bis zu 140 Euro

Rainer Peuser lässt nun die „Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwertes“ von seinem Steuerberater ausfüllen.
Rainer Peuser lässt nun die „Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwertes“ von seinem Steuerberater ausfüllen. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Anderen älteren Nachbarn ergehe es genauso, hat er erfahren, und der Hausverwalter, den er um Hilfe gebeten hat, habe abgelehnt, sich dieses Problems anzunehmen. Jetzt bleibe ihm nichts anderes übrig, als seinen Steuerberater einzuschalten. Angerufen hat er ihn schon. „Ich soll mich in 14 Tagen noch einmal melden. Und er hat mir auch gesagt, dass er mir für das Ausfüllen der Formulare 100 bis 140 Euro in Rechnung stellen muss.“ Rainer Peusers Frust sitzt tief: „Diese überbordende Bürokratie ist der helle Wahnsinn. Ältere lässt man damit völlig im Regen stehen und mutet ihnen auch noch Kosten für den Steuerberater zu.“

Ein Mitarbeiter des Finanzamtes Marl, der namentlich nicht genannt werden möchte, räumt auf Anfrage ein, dass es bei der Hotline anfangs technische Probleme gegeben habe. Die Fehler seien aber mittlerweile weitestgehend behoben. Aus vielen Gesprächen wisse er, dass vor allem ältere Menschen Probleme mit den Formularen hätten, und die Anleitungen seien für jemanden, der mit der Materie nicht vertraut sei, keine große Hilfe. „Darüber sind wir auch nicht glücklich.“

Viele Immobilienbesitzer im Kreis Recklinghausen suchen Rat

Die neue Grundsteuer macht aktuell vielen Immobilienbesitzern im Kreis Recklinghausen zu schaffen, an den Hotlines der Kreis-Finanzämter in Recklinghausen und Marl steht das Telefon nicht still. Aktuell komme es vor allem am Vormittag zu einer starken Auslastung, heißt es bei der Oberfinanzdirektion in Münster. Es wird empfohlen, nach 13 Uhr anzurufen.

Den Feststellungsantrag für die Neuberechnung der Grundsteuer müssen allein in NRW die Eigentümer von 6,5 Millionen Grundstücken und Immobilien abgeben. Die Finanzämter Recklinghausen und Marl haben ihren Kunden bereits einige grundlegende Daten (Angaben zu Flurstück, Grundstücksgröße, Bodenrichtwerte, Grundbuchkennzeichen) in einem Infoschreiben zukommen lassen. Das, so eine Recherche, ist längst nicht in allen 104 NRW-Finanzamtsbezirken der Fall. Trotzdem ist der Infobedarf an der Hotline noch groß. Dort rufen laut Oberfinanzdirektion etwa Leute an, die ihr Informationsschreiben entweder nicht erhalten oder es verlegt haben.