Gladbeck. WAZ-Volontärin Michelle Kox fährt am Mittwochmorgen mit dem 9-Euro-Ticket von Essen nach Gladbeck. Wie gut kommt das neue Ticket an? Der Test.
Mittwochmorgen 7.58 Uhr: Normalerweise würde ich um diese Uhrzeit noch gemütlich zu Hause in Essen-Rüttenscheid meinen Kaffee schlürfen. Aber heute muss ich eine halbe Stunde früher los, denn ich fahre zum ersten Mal mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu meinem Arbeitsplatz in der WAZ-Lokalredaktion in Gladbeck. Mit dem 9-Euro-Monatsticket ist es für mich nun deutlich günstiger, das Auto stehen zu lassen und stattdessen die S9 zu nehmen. Die Fahrt vom Essener Hauptbahnhof nach Gladbeck West und zurück würde mich sonst stolze 12,20 Euro am Tag kosten.
Auf meinem Arbeitsweg spreche ich mit anderen Menschen, die ebenfalls das neue 9-Euro-Ticket nutzen. Ihnen allen ist klar, dass das Bus- und Bahnfahren viele Vorteile birgt, die jedoch schnell in Vergessenheit geraten könnten, sobald auf die öffentlichen Verkehrsmittel mal kein Verlass ist oder überfüllte Bahnsteige und belegte Sitzplätze an den Nerven zerren. Ist das 9-Euro-Ticket also wirklich eine Chance, künftig mehr Menschen zum Bus- und Bahnfahren zu bewegen?
Bis zuletzt Zweifel, ob die Einführung des 9-Euro-Tickets funktioniert
Zugegeben – bis vor knapp zwei Wochen hatte ich selbst noch daran gezweifelt, ob die Einführung des 9-Euro-Tickets am 1. Juni wirklich klappt und befürchtet, dass die Umsetzung oder der Erwerb womöglich an bürokratischem Wirrwarr oder an einer Überlastung der Deutschen-Bahn-Website scheitern könnte. Umso überraschter war ich vergangenen Montag, wie schnell die Buchung funktionierte und das Billig-Ticket innerhalb weniger Sekunden auf meinem Smartphone gespeichert war.
So gerüstet, starte ich mit der Buslinie 145 am Mittwochmorgen um 7.58 Uhr von der Cäcilienstraße in Rüttenscheid zunächst drei Haltstellen bis zum Essener Hauptbahnhof. Der Bus kommt pünktlich an. Ein Glück – denn für den Umstieg in die S9 nach Gladbeck West ist nur sechs Minuten Zeit. An dieser Stelle hätte es bereits stressig werden können. Am Bahnhof herrscht das übliche Morgen-Chaos: Eilende Menschen, Warteschlangen vor den Bäckereien, kleine Verspätungsankündigungen auf den Anzeigetafeln.
Berufspendler will Bahn nach Gladbeck eine Chance geben
Mit einem Kaffeebecher in der Hand wartet am Bahnsteig sieben ein Mann, schätzungsweise Mitte dreißig, ebenfalls auf die S9 Richtung Recklinghausen. Allzu viel Andrang ist hier nicht. Dafür lassen sich aus der Gegenrichtung ankommende Menschenmassen auf dem gegenüberliegenden Bahngleis beobachten, die am Essener Hauptbahnhof aussteigen. Auf Nachfrage berichtet der Mann, dass er im Amtsgericht Gladbeck arbeitet und bislang immer mit dem Auto gefahren ist. „Fürs Bahnfahren war ich sonst einfach zu faul“, gibt er zu. Doch für neun Euro im Monat wolle er dem Ganzen nun eine Chance geben.
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Mit einer Minute Verspätung fährt die S9 am Steig Sieben ein. In der Bahn sind noch reichlich Sitzplätze trotz Billigticket frei. Immerhin: Bei den befragten Mitreisenden kommt das 9-Euro-Ticket gut an. „Ich fahre ohnehin jeden Morgen mit der Bahn von Essen-Kupferdreh nach Essen-Dellwig zur Arbeit. Jetzt ist es nur deutlich günstiger“, erzählt eine 42-jährige Frau, die ihr Fahrrad dabei hat, um nicht noch anschließend einen Bus nehmen zu müssen. „Mit dem Auto quer durch Essen zu fahren, würde mich viel mehr Zeit kosten. Beim Bahnfahren kann ich mich zurücklehnen und entspannend“, sagt sie. Die S9 sei ihres Erachtens nach heute Morgen deutlich besser ausgelastet als sonst.
Häufige Verspätung der S-Bahn hält von regelmäßiger Nutzung ab
Froh über das 9-Euro-Ticket ist auch eine 59-jährige Essenerin, die bei der Caritas in Bottrop tätig ist. „Ich fahre mal mit der Bahn, mal dem Auto, bei gutem Wetter auch mal mit dem Fahrrad“, schildert sie. Bahnfahren hätte sie bislang aber häufig verärgert. „Am preiswertesten waren für mich immer die Vierertickets, aber auch die sind nicht gerade günstig. Dann kommt noch dazu, dass ich schon oft zu spät gekommen bin, weil die Bahn nicht pünktlich kam oder ausgefallen ist“, erklärt die 59-Jährige. Dabei würde sie ihr Auto der Umwelt zuliebe eigentlich gerne immer stehen lassen. „Ich werde das 9-Euro-Ticket jetzt erstmal ausnutzen und freue mich dann mit 60 Jahren auf das Bärenticket“, sagt sie schmunzelnd.
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8.36 Uhr: Die S9 fährt pünktlich auf Bahnsteig Eins in Gladbeck West ein. Um zur Redaktion zu gelangen, müsste ich nun eigentlich noch die Buslinie 258 Richtung Gelsenkirchen bis zum Goetheplatz nehmen. Aber da das Wetter schön ist, nehme ich die 20 Minuten Fußweg auf mich und bin somit pünktlich um kurz vor neun am Arbeitsplatz. Etwas ausgeglichener und entspannter als sonst, weil ich mich nicht über nervige Ampelschaltungen und schleichende Autofahrer aufgeregt habe und stattdessen bei netten Gesprächen gar nicht gemerkt habe, wie die Fahrtzeit vergangen ist. Wenn jeder Tag so entspannt starten würde, könnte ich mich für neun Euro im Monat glatt ans Bahnfahren gewöhnen. Ohne günstiges Monatsticket wäre ich allerdings nicht bereit dazu, Verspätungen zu riskieren und eine halbe Stunde meiner Schlafenszeit zu opfern.