Gelsenkirchen. Seit 2019 hat sich die Zahl der Einsätze des Gelsenkirchener Jugendamts wegen akuter Kindeswohlgefährdung laut Landes-Statistik fast verdoppelt.

Um die Sicherung des Kindeswohls geht es bei Einsätzen des Jugendamtes immer, das ist der Kernauftrag. Und das ist in Gelsenkirchener Familien offenbar immer häufiger akut gefährdet. Betroffen sind vor allem auch Kleinkinder, wie die aktuelle Statistik von IT NRW belegt. Die Zahlen in Gelsenkirchen lagen im vergangenen Jahr demnach deutlich über denen etwa von Duisburg, einer deutlich größeren Kommune mit ähnlichen Problemen wie Gelsenkirchen.

2034 Einsätze wegen einer Meldung zu möglicher Gefährdung des Kindeswohls gab es demnach 2023 in Gelsenkirchen. In Duisburg waren es 846. In fast jedem fünften Fall (381) stellten die Mitarbeiter vor Ort tatsächlich eine akute Gefährdung fest, in Duisburg war es in jedem vierten Fall (224 absolut). Hinzu kamen Fälle von latenter Gefährdung (140); die Familie muss dann im Blick bleiben, nicht immer ist die Situation eindeutig.

Dramatisch hoher Anteil von gefährdeten Kleinkindern

Im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 lag die Zahl der Einsätze nur halb so hoch: 1080 waren es. Bei den Hausbesuchen waren 202 akute und 204 latente Gefährdungen festgestellt worden. Dramatisch ist vor allem der hohe Anteil von Kleinkindern unter den akut Gefährdeten. 87 waren 2023 jünger als drei Jahre (49 in 2019), 87 (38 in 2019) im Vorschul- und weitere 100 (38) im Grundschulalter. Wobei die Gefährdung viele Ausprägungen annehmen kann, von Vernachlässigung bis hin zur Verwahrlosung bis zum Missbrauch. Als häufigstes erstes Warnsignal nennen die Jugendämter im Land Vernachlässigung. Aber auch psychischer, körperlicher und sexueller Missbrauch war häufig der Hintergrund.

47 Kinder wurden vorübergehend aus den Familien genommen

Im Vergleich mit den Jahren dazwischen zeigt sich: Der Anstieg der Einsatzzahlen verlief bei den akuten Gefährdungen ebenso stetig wie steil. Die Zahl der latenten Gefährdungen, also Fälle, die weiter beobachtet werden müssen, variierte von Jahr zu Jahr und bewegte sich zwischen 78 (in 2021) und 204 (in 2019).

Bei 47 Kindern allerdings sahen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2023 das Wohl des Kindes in der Familie derart akut gefährdet (54 in 2019, 37 in 2022), dass das Kind aus der Familie genommen wurde. Das kann verschiedene Hintergründe haben: suchtkranke Eltern(-teilen) oder Übergriffe aller Art etwa. Eine vorübergehende Unterbringung von Kindern kann aber auch fällig werden, wenn Eltern akut schwer erkranken, sich deshalb vorübergehend nicht ums Kind kümmern können und niemand anderes einspringen kann.

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Das Familiengericht schaltete das Gelsenkirchener Jugendamt im Vorjahr in 120 Fällen (85 in 2019) mit ein. Dabei kann es um Inobhutnahmen aus verschiedensten Gründen gehen. Das Familiengericht kann aber auch angerufen werden, wenn ein Streit um das Sorgerecht fürs Kind von Eltern, die sich trennen wollen, zu eskalieren droht.

Auch anonymen Meldungen gehen die Mitarbeitenden nach

Sechs Kinder und Jugendliche wurden im vergangenen Jahr in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen, wobei diese Zahl über die Jahre recht konstant blieb. Allerdings könnte dies auch den fehlenden freien Plätzen in den Kinderpsychiatrien geschuldet sein, die nur noch extrem akute Fälle ungeplant aufnehmen können mangels Kapazitäten. Für 56 gefährdete Heranwachsende organisierte das Jugendamt familienersetzende Hilfen verschiedenster Art. In die Höhe geschnellt sind auch die ambulanten oder teilstationäre Hilfen zur Erziehung: von 160 im Vor-Corona-Jahr stieg die Zahl auf 279 in 2023.

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Meldungen zu (möglichen) Kindeswohlgefährdungen erreichten das Gelsenkirchener Jugendamt laut Statistik in den meisten Fällen über die Polizei. Im vergangenen Jahr war dies in 595 Fällen geschehen, 2019 kam das nur 215 Mal vor. Am zweithäufigsten kommen Hinweise aus Schulen. 283 Mal im Vorjahr, 123 Mal war das in 2019 der Fall. Der Sozialdienst warnte in 160 Fällen, aus dem Gesundheitswesen, also Ärzten und Ämtern kamen 113 Meldungen, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Kitas, Sorgeberechtigte, Nachbarn und Verwandte zählen ebenfalls zum Kreis der Warnenden. Auch anonymen Meldungen gehen die Mitarbeitenden nach, obwohl diese erfahrungsgemäß nicht immer auf Fakten basieren, wird vor Ort geprüft.

Alle genannten Zahlen basieren auf der aktuellen Landesstatistik von IT NRW. Landesweit sind seit 2019 zwar ebenfalls die Zahl der Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen und auch der akuten Gefährdungen gestiegen, allerdings deutlich weniger ausgeprägt. Gab es landesweit 2019 noch 49.707 Meldungen, waren es 2023 dann 55.833. Die festgestellten akuten Gefährdungen stiegen von 7.097 auf 7.742 in der Zeit. Allerdings gab es bei der Erhebung zu 2023 in einigen Städten Probleme, weshalb die Zahlen etwas höher liegen könnten.