Gelsenkirchen. Die Frau vom Jugendamt weiß nie, was sie beim Hausbesuch erwartet. Wir haben eine Bezirkssozialarbeiterin in Gelsenkirchen-Schalke begleitet.
Nina Szczeszny arbeitet seit zehn Jahren im Jugendamt Gelsenkirchen. Sie zählt damit eher zu den Dienstälteren. Nicht allzu viele Kollegen halten diese Belastung über viele Jahre durch. Die junge Frau aber begrüßt mich ebenso fröhlich wie energiegeladen. Wir werden diesen Tag im Amt und bei Hausbesuchen an ihrer Seite verbringen, dürfen uns einen Einblick in einen ganz normalen Jugendamtsalltag verschaffen. Die 34-Jährige hat Sozialarbeit studiert, ist seit einigen Jahren als Bezirkssozialarbeiterin in Schalke unterwegs. Für sie ist es ein ganz normaler Arbeitstag; mit zum Großteil traumatischen Schicksalen, in die sie eintaucht. „Trotzdem: Jeder Tag ist hier anders, das mag ich. Und man bekommt hier sehr viel Menschenkenntnis“, erklärt sie.
Ein Bezirk im Stadtsüden ist aktuell gar nicht besetzt
Auf dem Sideboard hinter ihrem Schreibtisch liegen Akten, stapelweise. Sicher mehr als vierzig. Eigentlich sind das alles gar nicht ihre Klienten, aber der Krankenstand in der Abteilung ist hoch, jeder springt für jeden ein. Und einer der Bezirke im Stadtsüden ist aktuell überhaupt nicht besetzt. Sozialarbeiter fehlen an allen Ecken und Enden, nicht nur in Gelsenkirchen. Dabei wächst der Bedarf ständig. Szczesnys eigene Akten - nur zwei Anfangsbuchstaben von Familiennamen aus Schalke, grob geschätzt 50 - sind in zwei lange Reihen in ein Hängeregister im Schrank einsortiert. Die wesentlichen Daten zu den Klienten gibt es zudem auch digital.
Mutter unter Verdacht, ihr Kind angeboten zu haben
Vor dem Bezirksdienst hat Nina Szczesny im Team der Zuwanderung EU-Ost gearbeitet. Ein Thema, von dem das Amt quasi überrannt wurde, obwohl eigentlich im Vorfeld lange klar war, dass es auf die Kommunen zukommt. Auch das hat sie gern gemacht. Während sie noch erklärt, wie das Amt strukturiert ist und wer hier arbeitet, klingelt das Telefon. Eine Klientin ist dran, eine langjährige. Schon als Kind benötigte sie wegen des extrem schwierigen Elternhauses Unterstützung vom Gelsenkirchener Jugendamt, heute ist sie selbst Mutter. Sie braucht Hilfe für Anträge, die sie für die Unterstützung ihres Schulkindes benötigt. „Es ist beachtlich, wie die Frau mit dem umgeht, was sie erlebt hat. Sie bemüht sich, geht einer Hilfsarbeit für zwei Euro nach, schon seit einem Jahr, ist zufrieden damit. Das tun längst nicht alle“, weiß Szczesny aus bitterer Erfahrung.
Es ist 10.30 Uhr, im Team steht eine Fallvorstellung zu einer Meldung an, im Büro von Teamleiterin Maike Ossenberg. Die Meldung kam über die Polizei rein. Es geht um eine Mutter, bei der es einen Bezug zu kinderpornografischen Bildern geben soll. Die Ermittlungen der Polizei laufen. Für das Jugendamt eine extrem schwierige Situation, da für die Mitarbeiter naturgemäß der Schutz des Kindes im Mittelpunkt steht, zugleich jedoch die Ermittlungen nicht gefährdet werden dürfen, um solche menschenverachtenden Straftaten künftig zu verhindern.
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„Wir bekommen zum Thema Kinderpornografie viel mehr Meldungen von der Polizei als früher.“ Oft gehe es aber um Heranwachsende, denen gar nicht klar ist, was sie anrichten, wenn sie Nacktfotos von Bekannten in ihren Chats weiterreichen. Das beschert dem Team eine Menge Arbeit. Den Hausbesuch, für den nur erfahrene Kollegen wie Nina Szczesny oder ihre Kollegin Nadine infrage kommen, wird auf jeden Fall ein Kollege oder eine Kollegin vom Team Kinderschutz begleiten. Um gegebenenfalls die Inobhutnahme begleiten zu können. Der Kinderschutz ist ein eigenes, zehnköpfiges Team, das auch präventiv beratend an Schulen und Kitas tätig ist.
Solche extremen Meldungen gehen nicht täglich ein. Es gibt auch Klienten, die schon sehr, sehr lange betreut werden. Die einfach nur Unterstützung im Alltag benötigen, alleine nicht zurechtkommen. „Ich habe eine Familie, da begleiten wir die Großmutter, die Tochter und jetzt auch die Enkelin. Das ist leider öfters so, dass die Kinder es alleine dann später auch nicht schaffen“, erklärt Szczesny.
Manche Familien sind schon in der dritten Generation Klienten
Regelmäßig gibt es im Jugendamt-Team systematische Fallbesprechungen in größerer Runde, in denen das weitere Vorgehen in komplexen Fällen besprochen wird. Heute geht es um eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die zudem gerade wieder schwanger ist. Nachbarn haben das Amt eingeschaltet, unter anderem, weil die Frau angeblich ständig Männerbesuch bekommt. Tatsächlich hat sie Kinder von unterschiedlichen Vätern, der dritte lebt mit in der Wohnung und hat beim Besuch vor Ort offensichtlich ein gutes Verhältnis zu den Kindern gezeigt.
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Auch das Vertrauen zwischen Mutter und Kindern scheint beim Hausbesuch gut. Die Wohnung allerdings war - vorsichtig formuliert - nur bedingt vorzeigbar. Eine Überforderung vor allem mit dem Haushalt sehe sie schon, erzählt die Kollegin, die neu im Team ist. Die Rückmeldung der Kolleginnen erfolgt nach einem wissenschaftlich an einer Universität ausgearbeiteten System, um keine Zeit zu verschwenden und optimale Ergebnisse zu erzielen.
Das Problem in dem Fall: Die Mutter sieht ihre Überforderung nicht, möchte keine Hilfe. Dazu kann sie auch nicht gezwungen werden. Gesucht wird nun gemeinsam nach einem Weg, bei dem die Hilfe als die positive Botschaft ankommt, die sie sein soll, statt als misstrauische Beobachtung durch das Jugendamt. „Das Misstrauen ist leider immer noch groß“, bedauert Nina Szczesny.