Gelsenkirchen. 1875 wurde Gelsenkirchen Stadt, Schalke aber blieb eigenständig. Und plante die erste Schule für „höhere Bürger“: das heutige Schalker Gymnasium.

Vor 150 Jahren explodierte Gelsenkirchen und vor allem das damals noch selbstständige Schalke regelrecht. Die Zechen wuchsen und mit ihnen die Einwohnerzahl. Lebten bis Mitte 1850er-Jahre noch weniger als 1000 Menschen in der Bauernschaft, so waren es 1875 bereits über 11.000 - Tendenz steigend. Es gab zwar längst Volksschulen für alle in Schalke, für Kinder ab sechs Jahren bis zum Abschluss, den in der Regel die neunte Klasse bildete. Für die bisherige Bewohnerschaft erschien das ausreichend. Doch die Herren über die großen Bergwerksanlagen strebten für ihre Söhne eine bessere Bildung an. Eine Schule für „höhere Bürger“ sollte die Lücke schließen.

1873 bereits fiel der Beschluss dazu in der Schalker Gemeindeversammlung. Allerdings bedurfte es zur Umsetzung auch privater Gelder. Da die evangelische Rektoratsschule im benachbarten Gelsenkirchen kaum Schüler zählte wegen der katholischen Konkurrenz, wurde sie aufgelöst. 3000 Taler daraus flossen in die Gründung der Schalker Schule unter der Bedingung, dass der Rektor stets evangelischen Glaubens zu sein hat. Der Essener Industrielle Friedrich Grillo schoss unter dieser Bedingung weitere 7000 Taler zu. Ostern 1875 sollte die neue Schule als Realschule eröffnet werden, doch erst als ein Rektor gefunden war, der die Einrichtung als „Realschule 1. Ordnung“ führen wollte, ging es ab August 1875 endlich voran.

In den ersten Jahrzehnten stand das Schalker Gymnasium nur männlichen Wissbegierigen offen. Das galt für Schüler und für (Ober-)Lehrer. Unser Foto zeigt das Kollegium von 1911.
In den ersten Jahrzehnten stand das Schalker Gymnasium nur männlichen Wissbegierigen offen. Das galt für Schüler und für (Ober-)Lehrer. Unser Foto zeigt das Kollegium von 1911. © Institut für Stadtgeschichte | Unbekannt

„Die Schule bezweckt neben einer charakterlichen und sittlichen Erziehung die Erzielung eines allgemeinen höheren Wissens ....wobei auch die gelehrte Bildung nicht ausgeschlossen sein soll“, hieß es im Gründungsbeschluss. Mit mehr als einem Jahr Verspätung, zum Schuljahresbeginn Ostern 1876, begannen 50 Kinder der evangelischen Realschule ihre Sexta und Quinta, also die Klassen fünf und sechs. Die Schule wuchs nur langsam, was ihr Häme vom katholischen Nachbarn aus Gelsenkirchen einbrachte. Es gäbe gar kein Potenzial für eine solche Schule, zu gut sei die Anbindung an das Essener Pendant, wo genug geeignete Schüler vorhanden seien. Tatsächlich schaffte es im ersten Jahrgang nur einer aus der ersten Klasse bis zum Abitur. Erst 1887 wurde die „Lehranstalt“ vollberechtigtes Realgymnasium, aus Rektor Willert wurde Direktor Willert. Die konfessionellen Einschränkungen waren da längst gefallen, man war mangels Nachfrage auch auf katholische Schüler angewiesen.

Der Neubau des Schalker Gymnasiums von 1910 wurde bei Bombenangriffen 1944 und 1945 zerstört.
Der Neubau des Schalker Gymnasiums von 1910 wurde bei Bombenangriffen 1944 und 1945 zerstört. © ISG Gelsenkirchen | Kurt Müller

Zur Jahrhundertwende lernten in dem ersten Gebäude an der Kaiserstraße schon über 200 Jungen - Mädchen waren nicht zugelassen. Seit 1898 gab es altgriechischen Unterricht, der Wandel zum humanistischen Gymnasium, das allein ein Universitätsstudium in Jura oder Medizin ermöglichte, war eingeläutet; zur Freude der „höheren Bürger“. Ab 1906 trug das Schalker das „humanistische Gymnasium“ im Titel. 1910 konnte das stolze Gymnasium vom übernommenen Altbau ins neu erbaute Domizil an der Schalker Straße einziehen. Das durchs Altgriechische geprägte Gymnasium wollte seinen Geist auch architektonisch zeigen, mit klassizistischem Äußeren und aufwendigem Säulenportal.

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Doch die Pracht hielt nur kurz. Der Erste Weltkrieg leerte die Klassen, Notreifeprüfungen wurden absolviert, alle 14 Primaner (Oberstufenschüler) meldeten sich als Kriegsfreiwillige. Nach dem Krieg wurde am Schalker die erste Schülerselbstverwaltung eingeführt - der Fortschritt zog ein. Doch bald brachte die Ruhrbesetzung der Franzosen neue Rückschläge. Die Besatzer zogen für zwei Jahre in den schmucken Neubau an der Schalker Straße, die Klassen mussten ausweichen in andere Gebäude, Unterricht war nur stundenweise möglich.

Das Schalker Gymnasium heute. Der Schulhof ist frisch renoviert, auch die Turnhalle ist erneuert. Die 150-Jahr-Feier kann kommen.
Das Schalker Gymnasium heute. Der Schulhof ist frisch renoviert, auch die Turnhalle ist erneuert. Die 150-Jahr-Feier kann kommen. © FUNKE Foto Services

Nur wenige Jahre konnte der Unterricht nach Abzug der Franzosen ungestört weiterlaufen. Bereits 1933 wurde das humanistische Gymnasium (!) zum Adolf-Hitler-Gymnasium, unliebsame Lehrer mussten gehen. Im Unterricht gab es Führer-Reden statt Latein. Sogar die Schuljahre wurden später gekürzt, um die Reifeprüfungen vorziehen zu können und schneller „Kanonenfutter“ für den Krieg zu bekommen. In den letzten Kriegsjahren wurden die unteren Klassen samt Lehrern evakuiert, die älteren Schüler eingezogen. Willfähriger Direktor zu der Zeit war ein Dr. Schönauer, der nach dem Krieg die Leitung abgeben musste und in den Ruhestand wechselte.

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Der Unterricht an Gelsenkirchens Schulen wurde im März 1946 wieder aufgenommen. Die 306 verbliebenen Schüler des Schalkers samt fünf Lehrkräften zogen in das Gebäude der ehemaligen Oberrealschule an der Hammerschmidtstraße, wo heute das Gauß-Gymnasium - als letztes in Gelsenkirchen gegründetes Gymnasium - residiert. Erst 1964 konnte die „Schalker Penne“, wie sie zwischenzeitlich hieß, in den modernen Neubau an der Liboríusstraße einziehen, wo sie noch heute zu finden ist. Zu der Zeit wurden am Schalker schon Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet. An anderen Gymnasien in Gelsenkirchen herrschte noch bis Ende der 1960er-Jahre Geschlechtertrennung.

Erstes Gymnasium für Mädchen und Jungen in der Stadt

Griechisch wird am Schalker mittlerweile zwar nicht mehr gelehrt und Latein steht erst ab Klasse 7 statt bereits in der fünften Klasse auf dem Stundenplan, und das auch nur wahlweise. Den humanistischen Gedanken hat man mit Abkehr vom bürgerlichen Elitendenken jedoch bewahrt. Ein Alleinstellungsmerkmal wahrte die Schule auch als einziges Gymnasium, das durchgängig am G9-Modell festhielt, die Zahl der Schuljahre bis zum Abitur also nicht auf G8 verkürzte. Was als Modellversuch 2012 begann, setzte sich letztlich landesweit durch. Andere Gymnasien mussten die Rolle rückwärts von acht auf neun Jahre Gymnasialzeit vollziehen.

Dem humanistisch-sozialen Gedanken geschuldet war auch der Sonderweg, den das Schalker 2013 beschritt: Es war damals das erste Gymnasium der Stadt, das Inklusion anbot, also gemeinsames Lernen mit Kindern mit Einschränkungen oder besonderem Förderbedarf.