Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Heimatforscher Werner Müller hat sich mit der Geschichte des Hauptbahnhofes beschäftigt. Das Heft ist jetzt erhältlich.

Es gibt viele ehemalige Bauwerke in Gelsenkirchen, von denen man heute bedauert, dass es sie nicht mehr gibt: Das alte Rathaus am Machensplatz etwa – und natürlich der schöne, alte Bahnhof, der Anfang der 1980er-Jahre abgerissen und durch den schmucklosen Betonbau ersetzt wurde, den es bis heute gibt. Jetzt hat sich ein Gelsenkirchener Heimatforscher der Geschichte des Hauptbahnhofes angenommen und ein 112 Seiten starkes Heft zum Thema vorgelegt.

Werner Müller heißt der Mann: Er ist 66 Jahre als, kommt aus Gelsenkirchen und hat sich fast sein ganzes Leben mit dem Thema Eisenbahn beschäftigt, sowohl beruflich als auch privat. „Ich habe 1973, mit 15 Jahren, bei der Deutschen Bundesbahn angefangen“, erzählt er. Dem damaligen Staatsbetrieb blieb er treu, auch als daraus in den 90er-Jahren das Privatunternehmen Deutsche Bahn wurde. Heute ist er Rentner, doch das Thema Eisenbahn hat ihn nicht losgelassen.

Gelsenkirchen bekam den Vorzug vor Bochum und Essen

Das alte Gelsenkirchener Bahnhofsgebäude, gebaut 1859, auf einem Foto aus den 1890er-Jahren.
Das alte Gelsenkirchener Bahnhofsgebäude, gebaut 1859, auf einem Foto aus den 1890er-Jahren. © Heimatbund Gelsenkirchen

In seiner Freizeit engagiert sich Müller im Heimatbund Gelsenkirchen. Dort sei er im Jahre 2019 vom Vorsitzenden Volker Bruckmann angesprochen worden: „Wir haben so viele Themen, aber zur Eisenbahn haben wir noch nie etwas gemacht“, hieß es damals. Müller war wegen seiner beruflichen Vergangenheit der logische Kandidat für so eine Aufgabe, obwohl er leichte Bedenken hatte: „Ich bin kein Schreiberling“, sagt er und lacht, „das Schreiben hat mir etwas Mühe bereitet.“

An Akribie und Einsatzbereitschaft mangelte es Werner Müller dagegen nicht: In den vergangenen Jahren verbrachte er viel Zeit in Archiven, wühlte sich durch alte Akten und Zeitungsberichte – und förderte zahlreiche interessante Fakten zutage. „Die Geschichte der Eisenbahn in Gelsenkirchen beginnt schon im Jahr 1843“, berichtet er. Damals genehmigte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen den Bau der Köln-Mindener Eisenbahn, keine zehn Jahre, nachdem in Deutschland die erste Eisenbahnstrecke ihren Betrieb aufgenommen hatte. Die Strecke sollte, wie der Name verrät, von Köln(-Deutz) durchs Ruhrgebiet bis nach Minden führen. „Eigentlich hatten größere Städte wie Bochum und Essen darauf gehofft, dass die Linie über ihr Gebiet führt“, weiß Müller. Dass es die nördliche Streckenführung über Oberhausen, Altenessen und Gelsenkirchen wurde, hatte Kostengründe: „Hier gab es weniger Hindernisse wie etwa Flüsse oder Steigungen.“

Nur ein Jahr Bauzeit, dann war das Bahnhofsgebäude fertig

So sah die Bahnhofshalle des alten Gelsenkirchener Hauptbahnhofs aus.
So sah die Bahnhofshalle des alten Gelsenkirchener Hauptbahnhofs aus. © Sammlung Volker Bruckmann

1847 hält dann zum ersten Mal ein Zug in Gelsenkirchen, „versuchsweise“, wie es auf einem alten Fahrplan heißt, den Müller gefunden hat. „Wir können davon ausgehen, dass der Zug damals auf freier Strecke gehalten hat – so etwas wie einen Bahnhof gab es damals noch nicht.“ Das änderte sich bereits ein Jahr später, als südlich der Gleise ein Fachwerk-Stationsgebäude errichtet wird. „Anders, als später zu lesen war, war das nicht nur eine Bretterbude“, sagt Müller. Doch schon 1859 wird der erste Gelsenkirchener Bahnhof durch ein mehrgeschossiges Ziegelgebäude ersetzt.

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Denn der Bedarf ist da: Parallel zum Bau der Eisenbahn hat nämlich im Ruhrgebiet das Kohlezeitalter begonnen. Überall sprießen Zechen aus dem Boden, und die geförderte Kohle muss natürlich abtransportiert werden. Damit explodiert auch die Bevölkerungszahl von Gelsenkirchen: 1855 noch ein Dorf von gerade einmal gut 1000 Einwohnern, hat sich diese Zahl bis 1890 verdreißigfacht, ein Ende des Wachstums ist damals nicht abzusehen. Ein neuer Bahnhof muss her. 1893 beginnen die Planungen. 1903 startet der Bau des Hauptgebäudes, schon 1904 ist es fertig. „Wie schnell das damals ging“, staunt Hobby-Historiker Werner Müller.

Bahnhof wird im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt

Stellt seine Arbeit über den Gelsenkirchener Hauptbahnhof vor: der Gelsenkirchener Heimatforscher Werner Müller.
Stellt seine Arbeit über den Gelsenkirchener Hauptbahnhof vor: der Gelsenkirchener Heimatforscher Werner Müller. © WAZ | Matthias Heselmann

Bei der Beschreibung des Bahnhofsgebäudes gerät Müller ins Schwärmen. Wie ein „Schmuckkästchen“, habe sich die Wartehalle präsentiert: „Sie ist im modernen Stil, in Weiß und Gold gehalten und macht dabei einen ungemein freundlichen, dabei vornehmen Eindruck“, schreibt Müller.

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In den nächsten Jahren wächst die Stadt weiter, doch es sind turbulente Jahre: 1914 beginnt der Erste Weltkrieg, den das Deutsche Reich verliert, in den 1920er-Jahre kommt es zu Ruhrbesetzung und Hyperinflation. 1933 kommen die Nazis an die Macht, 1938 reist Adolf Hitler mit dem Zug nach Gelsenkirchen, um an der Trauerfeier des Industriellen Emil Kirdorf teilzunehmen. Im von Hitler angezettelten Zweiten Weltkrieg wird der Hauptbahnhof durch Bombenangriffe schwer beschädigt, vier Jahre nach dem Krieg beginnt der Wiederaufbau. 1950 wird das neue Bahnhofsfenster eingebaut, das wie ein Kirchenfenster aussieht und die fünf Säulen der Gelsenkirchener Wirtschaft darstellt.

Das alte Bahnhofsfenster ist übrig geblieben

Es wird als eines der wenigen Relikte vom alten Bahnhof übrig bleiben: 1974 erfolgt der Spatenstich für den Umbau des Gelsenkirchener Hauptbahnhofes, 1982 wird das Gebäude abgerissen – unter dem Protest vieler Gelsenkirchener. Der neue Bahnhof ist ein eher gesichtsloser Betontunnel, das alte Fenster hängt heute an der Fassade des ehemaligen Kaufhauses Boecker.

Seine Geschichte des Bahnhofs lässt Werner Müller im Jahr 1994 enden: Damals wird aus dem Staatsunternehmen Bundesbahn die „Deutsche Bahn AG“. Müllers 112 Seiten starkes Heft bietet aber noch mehr als „nur“ die Geschichte des Bahnhofes: Mit zahlreichen Bildern angereichert erzählt er von Stellwerken und Lokschuppen, streut aber immer auch wieder Anekdoten ein. Etwa die von dem Finnwal, der im Jahr 1952 in einem Spezialwagen durch Deutschland tourt und auch zwei Tage lang Station in Gelsenkirchen macht.

„Eisenbahn in Gelsenkirchen – Teil 1“ hat Müller sein Heft genannt. Teil 2 ist schon in Arbeit, darin soll es auch um die kleineren Bahnhöfe im Stadtgebiet gehen. Das erste Heft ist jetzt erhältlich: in den Filialen der Buchhandlung Kottmann, in der Stadt- und Touristinfo des Hans-Sachs-Hauses sowie beim Heimatbund Gelsenkirchen.