Gelsenkirchen. Hans-Joachim Koenen (76) hat einen Forschungsauftrag: Er soll Geschichte und Bedeutung Gelsenkirchener Ziegeleien für die Wirtschaft aufarbeiten.

  • Ruhrgebietsprojekt unterstützt 14 Stadtteilhistoriker in neun Städten
  • Gelsenkirchen-Experte Koenen will alle Ziegeleien seit der Renaissance dokumentieren
  • Fotos sind noch Mangelware, Unterstützung aus privaten Alben willkommen

Seine Leidenschaft für Geschichte im Allgemeinen und des Gelsenkirchener Stadtsüdens im Besonderen lebt Hans-Joachim Koenen schon viele Jahre. 14 der 34 Themenhefte des Heimatbundes zu „Gelsenkirchen in alter und neuer Zeit“, die er leitend verantwortet, hat er bereits recherchiert und geschrieben. So begab er sich auf die Spur des „Dicken Georg“, der ältesten Glocke Stadt, des Stadtgartens und der Firma Küppersbusch. Jetzt hat eine Jury den 76-jährigen Ingenieur für Industrie- und Anlagenbau berufen als Stipendiaten für ein Stadtteil-Historiker-Projekt, das die GLS Treuhand ausgelobt hat. In dem Rahmen will er die Geschichte der Ziegeleien und deren Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung in Gelsenkirchen aufarbeiten.

Ziegeleien brachten die ersten Saisonarbeiter nach Gelsenkirchen

Sie brachten einst die ersten Saisonarbeiter nach Gelsenkirchen, die Ziegeleien in Gelsenkirchen. Aus dem Lipperland und den Niederlanden zogen damals die Arbeiter hierher, um hier die Ziegel zu brennen, mit denen das dank Industrialisierung schnell wachsende Gelsenkirchen aufgebaut wurde. Koenens Ziel im Projekt ist ehrgeizig: Er will alle Ziegeleien auflisten, die jemals in der Stadt existiert haben – und zwar von den ersten privaten Öfen der Renaissance-Zeit bis heute.

Stadtteilhistoriker Hans-Joachim Koenen recherchiert jetzt als Stipendiat zum Thema Ziegeleien in Gelsenkirchen. Er freut sich über die Unterstützung – und hofft auf Fotomaterial aus der Bevölkerung.
Stadtteilhistoriker Hans-Joachim Koenen recherchiert jetzt als Stipendiat zum Thema Ziegeleien in Gelsenkirchen. Er freut sich über die Unterstützung – und hofft auf Fotomaterial aus der Bevölkerung. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Anfangs nur für Prunkbauten wie Schloss Horst genutzt

Für den privaten Hausbau spielten Ziegel lange keine Rolle; es dominierte die Fachwerktechnik. Lediglich für Prunkbauten wie Schloss Horst wurden in der Region Ziegel genutzt. Großproduktionsanlagen waren dafür jedoch nicht notwendig, die Ziegel wurden bei Bedarf in Feldbrandziegeleien gebrannt. Nach und nach ging man dazu über, auch die Fachwerkrahmen mit Ziegelsteinen auszufüllen, um sie wetterfester zu machen.

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Der Ringofen der Ziegelei Rheinelbe war winkelförmig um den Schornstein gruppiert – eine Seltenheit. Im Hintergrund ist die Zeche zu sehen. Am oberen Bildrand lässt sich der Dunst erahnen, der damals über der hochindustrialisierten Stadt lag.  
Der Ringofen der Ziegelei Rheinelbe war winkelförmig um den Schornstein gruppiert – eine Seltenheit. Im Hintergrund ist die Zeche zu sehen. Am oberen Bildrand lässt sich der Dunst erahnen, der damals über der hochindustrialisierten Stadt lag.   © Sammlung Koenen | Unbekannt

„Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden noch Feldbrandziegeleien genutzt, sie waren zumeist in privater Hand. Das war ein aufwendiges Verfahren“, erklärt Koenen. Dafür wurden eigens Felder angemietet, von denen der Mutterboden zur Seite geräumt wurde. Dann konnte der Lehm abgestochen und aufwendig zu einem Teig verarbeitet werden, durchaus mit der Zubereitung von Backteig vergleichbar, allerdings im XXL-Format. In „Backformen“ wurde Ziegelteig eingefüllt und dann auf dem gut geglätteten Boden ausgestochen abgelegt. Um das Festkleben des Teiges am Boden zu verhindern, wurde darunter Sand ausgestreut.

Es folgten aufwendige Trocknungs- und Schicht-Verfahren, bevor die künftigen Bausteine zu einem bis zu drei Meter hohen Meiler aufgeschichtet wurden. Zwischen den Steinen gab es mit Steinkohle gefüllte Rinnen, Lüftungskanäle und zwischen den Schichten gemahlene Kohlen. Der Ziegelstapel wurde im Herbst mit Lehm zugeschmiert und schließlich angezündet, um dann auf dem Feld zwei bis drei Wochen lang durchzuglühen und so die Ziegel zu brennen. Die Vorarbeiten begannen im Frühjahr, das Brennen folgte erst im Herbst, nach der Ernte.

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Der Ringofen der Ziegelei am Dördelmannshof in Ückendorf war länglich angelegt; dies war die häufigste Form.
Der Ringofen der Ziegelei am Dördelmannshof in Ückendorf war länglich angelegt; dies war die häufigste Form. © Sammlung Morsbach | Unbekannt

Mit der explodierenden Industrialisierung brauchte es schnell mehr Wohnhäuser. Und damit auch mehr Ziegel. „Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Ringofen erfunden, der eine größere Produktion ermöglichte. Die Zechen errichteten eigene Anlagen, in denen sie ihren Ton verarbeiteten. Diesen Anlagen blieben bis in die Mitte des 20. Jahrhundert in Betrieb“, erklärt Koenen.

Ex-Mantelofen als „Eiskeller“ im Sommer genutzt

Zwischenzeitlich nutzten einige private Ziegeleien sogenannte Mantelöfen mit vier Wänden und einem Holzdach; das Verfahren sei jedoch wenig effektiv gewesen, so Koenen. „Der spätere Gastronom Heinrich Schmidtmann etwa verkaufte seinen nur einmal genutzten Mantelofen in der Feldmark an die Herren Jacob und Rotthauwe. Die nutzten ihn dann als „Eiskeller“, der guten Isolierung wegen.

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Die späteren moderneren Ringöfen an den Zechen waren mit zahlreichen Kammern ausgestattet, in denen abwechselnd nach festem Rhythmus Ziegel gebrannt wurden. Sie konnten kreisrund, oval oder auch rechteckig angelegt sein. Eine besonders seltene Form hatte der Ringofen der Zeche Rheinelbe, der sich winkelförmig um den Schornstein gruppierte.

Fotos sind Mangelware – Unterstützung aus dem Familienalbum willkommen

In Gelsenkirchen gab es an den Zechen alle Ringofen-Varianten. Doch dazu – wie auch zu den Feldbrandziegeleien – ist das Fotomaterial dünn gesät. Über Unterstützung von Gelsenkirchener Bürgern, in deren Familienalben und Privatsammlungen noch Fotodokumente solcher Öfen schlummern, würde sich der Stadtteilhistoriker Koenen freuen. Wer helfen kann und mag, sollte sich an den Heimatbund wenden unter 0209 17 70 99 99 oder eine E-Mail schicken an .

14 Stipendiaten aus neun Städten benannt

Es ist bereits die zweite Staffel des Stipendienprogramms „Stadtteil-Historiker Ruhrgebiet“. Sie läuft bis zum Frühjahr 2024. Die gemeinnützige GLS Treuhand hat das Projekt, über das insgesamt 14 Stadtteilhistoriker in neun Städten unterstützt werden, ins Leben gerufen.

Kooperationspartner sind die Gerda Henkel Stiftung, die Bürgerstiftung Duisburg, der Regionalverband Ruhr, das Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher und das Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte.