Essen. Bei der Weihnachtsfeier für Wohnungslose in Essen kamen Menschen mit vielen unterschiedlichen Schicksale zusammen. Sie erzählen ihre Geschichten.
Dieser Termin an Heiligabend hat Tradition: Zum 43. Mal fand die Weihnachtsfeier für wohnungslose Menschen in Essen statt, wie in den vergangenen Jahren im Gemeindesaal von St. Gertrud in der nördlichen Innenstadt. Der Andrang ist größer geworden: 160 Gäste hatten sich angemeldet, rund 50 mehr als im Vorjahr. Wohnungslosigkeit wird präsenter in der Stadt.
Weihnachtsfeier für Obdachlose in Essen hat eine lange Tradition
Die Schicksale der Menschen sind vielfältig: So hat das Leben auf der Straße Michael-Manuel geprägt. Der 50-Jährige lässt sich mit Lebensgefährtin Jenny (40) Gulasch, Nudeln und Rotkohl schmecken. Hund Lucy bekommt nebenbei Streicheleinheiten. Eine eigene Wohnung hatte Michael-Manuel noch nie, seit seinem 16. Lebensjahr lebt er draußen. Aktuell kommt er bei seiner Partnerin Jenny unter, die Wohnungslosigkeit aus eigener Erfahrung kennt.
Michael-Manuel ist in Spanien geboren, „im Knast“, wie er berichtet. Seine Mutter habe dort eine Haftstrafe verbüßt. Auch der Vater, den er erst mit elf Jahren kennengelernt hat, war im Gefängnis. Einige Zeit lebte Michael-Manuel als Kind bei Mutter und Großmutter, dann in einer Pflegefamilie und im Heim. Nach der sechsten Klasse hat er die Schule beendet, später im Gefängnis seinen Realschulabschluss nachgemacht. Drogen spielten eine große Rolle in seinem Leben: Früh begann er mit dem Kiffen, nahm LSD, griff mit 15 erstmals zur Spritze.
50-Jähriger lebt sein ganzes Leben lang auf der Straße, seit Jahren in Essen
„Mit 16 bin ich Vater geworden, habe aber keinen Kontakt zu meinem Sohn. Ich habe auch eine Tochter, die ist 27, hat zwei Kinder und lebt in geordneten Verhältnissen. Sie ist so hübsch und ich bin sehr stolz auf sie“, sagt Michael-Manuel, der früher in Hamburg lebte. Seine Partnerin Jenny hat er im Stadtgarten kennengelernt, wo er seit 30 Jahren unterwegs ist und teils auch übernachtet.
Jenny, gelernte Malerin und Lackiererin, hat ebenfalls eine Drogenvergangenheit und drei Jahre auf der Straße gelebt. Das sei zum Glück vorbei.
Essener hat einen Schufa-Eintrag wegen Mietschulden
Das würde sich Achim ebenfalls wünschen. Der 65-Jährige hat vor vier Jahren seine Wohnung verloren („ich war schon ein bisschen selbst schuld“) und schätzt seine Aussichten, wieder eine zu bekommen, als sehr schlecht ein. „Bei der Schufa bin ich mit Mietschulden registriert, wer soll mir da eine Wohnung vermieten?“, fragt er resigniert. Tagsüber ist er draußen unterwegs, sammelt zum Beispiel Flaschen. „Warum soll ich die nicht mitnehmen, wenn ich sowieso unterwegs ist? Ist doch bares Geld.“ Nachts schläft er in der Notübernachtungsstelle Lichtstraße.
Auch die Bahnhofsmission lud ein
Traditionell kümmert sich auch die Bahnhofsmission an Heiligabend um Menschen, die nicht im Kreis ihrer Familie feiern können. So gab es in den weihnachtlich geschmückten Räumen am Hauptbahnhof Getränke, Kartoffelsalat, Süßigkeiten und die Möglichkeit, mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Achim hat drei Berufe, hat erst Autoschlosser und dann Einzelhandelskaufmann gelernt, sich zusätzlich für das Sicherheitsgewerbe qualifiziert. „Da werden immer Leute gesucht, da könnte ich auch in meinem Alter sofort wieder anfangen“, vermutet er. Wenn Institutionen wie die Stadtbibliothek für längere Zeit geschlossen haben, wie neulich wegen einer Computerumstellung, hat Achim ein Problem. Dort hält er sich oft auf, liest oder erledigt seinen Papierkram.
Einige schaffen es, dem Teufelskreis „Keine Arbeit, keine Wohnung – keine Wohnung, keine Arbeit“ zu entkommen. Wie Detlef, der schick gekleidet und fröhlich lachend am Tisch sitzt und auf das Weihnachtsessen wartet. Der 67-Jährige hat seit 20 Jahren eine Wohnung, die er von einer verstorbenen Bekannten übernehmen konnte. Er lebt in der City, hat zur Diakonie, die mit der Caritas gemeinsam die Weihnachtsfeier veranstaltet, guten Kontakt.
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Aus der Abwärtsspirale Scheidung, Alkohol, Verlust der Wohnung ist der gelernte Dreher wieder herausgekommen. Zwei, drei Jahre hat Detlef auf der Straße gelebt, im Sommer draußen und im Winter an der Lichtstraße übernachtet. Er hat im Schwimmbad geduscht oder auch mal bei Kollegen. „Heute geht es mir gut“, sagt der Rentner. Man glaubt es ihm.
33-Jährige ist nach der Trennung in ihre Heimatstadt Essen zurückgekehrt
Nathalie (33) ist erst seit zwei Wochen wohnungslos. Die Frau mit den roten langen Haaren wirkt sehr gepflegt. Aktuell läuft es nicht gut. Aber Nathalie hat klare Ziele: Sie will in die Altenpflege, möchte im neuen Jahr eine einjährige Ausbildung zur Pflegefachassistentin absolvieren. Auch den Führerschein will sie zeitnah machen.
Ein Wunsch steht aber ganz oben auf der Liste: eine kleine Wohnung, ganz gleich, ob in Essen, Bochum, Wuppertal oder anderswo. Den Tag verbringt Nathalie mit der Wohnungssuche, sie hat schon einige Besichtigungstermine hinter sich. Die letzten fünf Jahre hat sie in Gummersbach verbracht, hat mit ihrem Freund, dessen Oma und einem Hund zusammengewohnt. „Bis der Typ per Whatsapp Schluss gemacht hat und ich mit zwei Koffern auf der Straße stand.“
Erstes Ziel ist eine kleine Wohnung, in Essen oder anderswo
So ist sie nach Essen zurückgekehrt, wo sie herkommt und noch Freunde hat. Aktuell kommt sie bei ihrem Bruder unter, was aber nicht wirklich funktioniert, wie sie berichtet. „Zwischenzeitlich hatte ich eine kleine Wohnung gemietet. Mit 210 Euro pro Woche war die aber viel zu teuer.“
Sie alle feiern für ein paar Stunden gemeinsam Weihnachten an der Rottstraße, manchmal wird einer laut und beklagt sich, Helfer kümmern sich und klären das vor der Tür. An der Organisation des Festes sind viele Institutionen beteiligt: Der Tagesaufenthalt für Wohnungslose und die Suppenküche der Caritas veranstalten die Weihnachtsfeier gemeinsam mit der Beratungsstelle für Wohnungslose der Diakonie.
Bevor das Mittagessen aus dem Diakonie-Restaurant Church geliefert wird, begrüßt Petra Fuhrmann, Bereichsleiterin der ambulanten Gefährdeten- und Wohnungslosenhilfe des Diakoniewerks Essen und Hauptorganisatorin, die Gäste. Oberbürgermeister Thomas Kufen überbringt Weihnachtsgrüße der Stadt, nimmt sich anschließend, wie Sozialdezernent Peter Renzel, Zeit für Gespräche.
Es gibt eine kurze ökumenische Andacht, ein paar gemeinsam gesungene Weihnachtslieder, Livemusik, Waffeln und kleine Geschenke, mitfinanziert durch den Rotary-Club Essen-Hellweg und die Johanniter-Hilfsgemeinschaft Essen. Am Ende gehen alle wieder ihrer Wege, nach Hause, in die Notschlafstelle, auf die Parkbank. Aber vielleicht mit einem weihnachtlichen Gefühl.
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