Essen. Bewegung, Konzentration, Wahrnehmung: Zu viele Essener Kita-Kinder, die in die Schule kommen sollen, sind nicht angemessen entwickelt.
Bei jedem zweiten Kind, das im Sommer 2024 in die Schule gekommen ist, sind zuvor Auffälligkeiten bei der so genannten Schul-Eingangsuntersuchung festgestellt worden. Das teilen Kinderschutzbund und die Stadt Essen mit. Bevor ein Kind in die Schule kommt, wird es vom Gesundheitsamt untersucht. Dabei geht es unter anderem um motorische und Wahrnehmungs-Fähigkeiten sowie das Sprachvermögen.
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Jedes dritte Kind spricht nicht fehlerfrei Deutsch
Bei der Sprache hapert es bei etwa jedem dritten Kind, das untersucht wurde: Etwa 6.100 Kinder wurden weit vor der Einschulung getestet. Bei 2.600 von ihnen ist Deutsch nicht die so genannte Erstsprache, also Muttersprache. „Von diesen Kindern haben elf Prozent überhaupt keine Deutsch-Kenntnisse“, sagt Gabriele Schulz, die Leiterin des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes beim Gesundheitsamt der Stadt Essen. Das sind rund 300 Jungen und Mädchen, also stadtweit zehn Klassen.
20 weitere Prozent sprechen Deutsch nur sehr schlecht: „Sie beherrschen kaum grammatikalische Strukturen und haben einen eingeschränkten Wortschatz.“ Weitere 35 Prozent sprächen zwar fließend Deutsch, machten aber noch sehr viele und erhebliche Fehler in der Grammatik.
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Insgesamt etwa die Hälfte der einzuschulenden Kinder wiesen Auffälligkeiten bei den Fähigkeiten auf, die ein Kita-Kind bis zum Schul-Eintritt eigentlich beherrschen sollte: „Visuelles Wahrnehmen, motorische Fähigkeiten, Körperkoordination oder Auge-Hand-Koordination sind Kompetenzen, die für die gesamte Entwicklung wichtig sind“, sagt Gabriele Schulz.
Kinderschutzbund: Große Probleme bei Konzentration
Der Essener Kinderschutzbund hat ähnliche Beobachtungen gemacht und warnt seit Jahren: „Es geht nicht nur um körperliche Fähigkeiten wie das Rückwärtslaufen oder Hin- und Herspringen“, sagt Ulrich Spie, der Vorstandsvorsitzende des Kinderschutzbundes in Essen. „Die großen Themen heißen auch Aufmerksamkeit und Konzentration.“ Beim Kinderschutzbund hat man festgestellt, dass die Corona-Jahre diesen Trend bei einzuschulenden Kindern erheblich verschärft hätten. „Die Wartezeiten für einen Platz in einem unserer Förderzentren haben sich massiv verlängert, die Lage ist so schlimm wie noch nie.“ Einen direkten Zusammenhang zwischen Corona und den Entwicklungsverzögerungen von Kindern will man bei der Stadt derzeit noch nicht bestätigen: „Das können wir mit Sicherheit noch nicht sagen“, so die Medizinerin Gabriele Schulz vom Gesundheitsamt.
Neues Förderzentrum in Altenessen: Lange Warteliste
Erst in diesem Herbst hat der Kinderschutzbund in den Räumen einer ehemaligen Sparkassen-Filiale auf der Altenessener Straße eine so genanntes „Zentrum für Kindesentwicklung und Frühförderung“ eröffnet. Dort arbeiten Ergo- und Logotherapeuten sowie Heilpädagogen zusammen. Das Zentrum wird von etwa 120 Kindern pro Woche besucht, hinzu kämen 70 Kinder pro Woche nur für die Frühförderung. Die Kinder kämen mit einem ärztlichen Attest und häufig auf Anraten von Erzieherinnen aus den Kitas oder Grundschul-Lehrerinnen beziehungsweise -lehrern. „Unsere Wartezeit beträgt hier mittlerweile zwei Jahre, was selbstverständlich viel zu lang ist“, sagt Spie.
300 Kinder wurden in diesem Jahr zurückgestellt
Werden bei einem Kind Auffälligkeiten festgestellt, heißt das nicht, dass es nicht wie geplant eingeschult werden kann. „Wir beraten die Eltern, wie das Kind gefördert werden kann – sei es durchs heimische Üben oder durch gezielte Förder- und therapeutische Maßnahmen“, sagt Gabriele Schulz. „Manchmal ist auch weitere ärztliche Diagnostik erforderlich, was wir den Eltern dann erklären. Wir stehen im engen Austusch mit den Schulen, und in Einzelfällen wird empfohlen, Kinder vom Schulbesuch zurückzustellen, diese bleiben dann für ein weiteres Jahr in der Kita.“ Allein fürs jetzt laufende Schuljahr wurden gemäß einer Statistik des Fachbereichs Schule (Schulverwaltungsamt) etwa 300 Kinder für ein Jahr zurückgestellt, aus den unterschiedlichsten Gründen.
Kinderschutzbund ist dauerhaft auf Spenden angewiesen
Das neu eingerichtete „Zentrum für Kindesentwicklung und Frühförderung“ hat zuletzt eine Spende über 10.500 Euro von den Stadtwerken entgegengenommen. „Mit der Spende werden wir weitere Materialien anschaffen, mit denen die Ergo-, Sprach- und Physiotherpeuten den Kindern frühzeitig helfen und ihre Entwicklung fördern können.“ Spie kritisert, dass es bundesweit kein Kinderschutzgesetz gibt und die Arbeit des bundesweit größten Kinderschutzbund-Ortsvereins hier in Essen weiter vor allem auf Spenden angewiesen sei: „Deutschland vernachlässigt strukturelll den Kinderschutz. Die Kosten, die dadurch entstehen, kann man nie mehr ausgleichen.“ Allein in Essen verlassen jedes Jahr rund 600 Jugendliche die Schulen ohne Abschluss. Der Schaden, der der Gesellschaft durch Kriminalität und entstehende Sozialkosten entstehe, stehe in keinem Verhältnis zu den Ausgaben, die ein umfassender Kinderschutz benötige. „Das über Jahre stetig ausgebaute, vorbeugende Gesundheitsangebot des Kinderschutzbundes ist von unverminderter Bedeutung“, warnt Spie. Unternehmen wie die Stadtwerke hätten dies schon vor langer Zeit erkannt, sagt Frank Pieper, der Stadtwerke-Vorstandsvorsitzende: „Der Einsatz für die Gesundheit der Kinder ist für uns nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern Herzensangelegenheit. Wir unterstützen den Kinderschutzbund deshalb bereits seit sieben Jahren.“
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