Essen.. Menschen mit Behinderungen haben Internetseiten von 11.000 Kommunen getestet. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Essen ist eine positive Ausnahme.

Die Stadt Essen ist eine von nur wenigen Städten in Deutschland, die mit ihrer Homepage die volle Punktzahl in Sachen „digitale Barrierefreiheit“ erreichen. So das Ergebnis einer Auswertung, die der gemeinnützige Verein „Inclusion Technology Lab“ an diesem Donnerstag (27.6.) veröffentlicht hat. Dafür hatten Menschen mit Behinderungen in den vergangenen Monaten 11.000 kommunale Internetseiten in Deutschland getestet. Für sie spiele das vermeintliche sperrige Thema in ihrem Lebensalltag eine enorme Rolle.

Digitale Barrierefreiheit: Essen ist eine der wenigen Städte, die die volle Punktzahl erreichten

„Inclusion Technology Lab“ ist ein gemeinnütziger Verein, der sich dafür einsetzt, Technik für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Man legte daher Wert darauf, dass alle Angebote von Betroffenen getestet wurden, dass die Untersuchung also auf menschlichem Erleben beruht. Dies sei lediglich um die Messung durch ein Computerprogramm ergänzt worden. Bei dem Test wurden fünf Kriterien überprüft, für die jeweils ein Punkt vergeben werden konnte:

  • Kann man die Schriftgröße ändern
  • Gibt es eine Vorlesefunktion?
  • Gibt es ein Angebot in Leichter Sprache?
  • Wird das Thema Barrierefreiheit auf der Seite erwähnt?
  • Kann man drei Minuten erfahren, wo man einen Termin zur Verlängerung seines Personalausweises vereinbaren kann?

Lediglich drei Prozent der 11.000 getesteten Kommunen erreichten hierbei die maximale Punktzahl – eine der wenigen dieser Fünf-Punkte-Städte ist Essen. An sieben Prozent der Städte und Gemeinden konnten die Tester und Testerinnen keinen einzigen Punkt vergeben. „Das sind rund 770 Kommunen in Deutschland, die digital für Menschen mit Behinderungen gar nicht erreichbar sind. Da interessiert das offenbar niemanden“, kritisiert Raimund Schmolze-Krahn vom Inclusion Technology Lab.

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Dabei gebe es klare gesetzliche Vorgaben zur Barrierefreiheit: So verpflichteten das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) „alle öffentlichen Stellen, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten“. Wie gut das in der Praxis gelingt, schaute sich ein zehnköpfiges Team der „DasDies Service GmbH“ in Unna an, das von vornherein nur bescheidene Erwartungen hatte. „Die Ergebnisse waren leider noch ernüchternder, als wir gedacht hatten“, sagt Miriam Langhoff, von DasDies. Gleichzeitig habe der Test noch mal klargemacht, wie wichtig es sei, das Thema digitale Barrierefreiheit sichtbar zu machen.

Barrierefreiheit: Betroffene erleben fehlende digitale Angebote als Katastrophe

Für die Betroffenen sei es „eine Katastrophe“, wenn sie nicht oder nur umständlich an digitale Dienstleistungen gelangen, betont Schmolze-Krahn. Davon abgesehen sei es von den Kommunen auch unklug, das Thema so stiefmütterlich zu behandeln wie bisher. Zum einen müssten sie sich darauf einrichten, dass die gesetzlichen Verpflichtungen in Zukunft „scharf gestellt werden“. Zum anderen hätten sie ein Eigeninteresse, möglichst viele Dienstleistungen digital anzubieten. „Es ist für die Kommunen sogar viel günstiger, digitale Angebote aufzulegen, als eine Rampe zu bauen.“

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Das Team hat nun einen „Atlas der digitalen Barrierefreiheit der Kommunen in Deutschland“ veröffentlicht. Der zeigt, wo die jeweilige Stadt steht – und „wie sehr Kommunen im Hinblick auf die digitale Barrierefreiheit schlafen“: Im Bundesschnitt erreichten die Städte und Gemeinden lediglich 37 Prozent der möglichen Punkte, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern wie zwischen den einzelnen Städten gab.

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Besonders großen Nachholbedarf gibt es bei der Leichten Sprache, die nur auf elf Prozent der getesteten Internetseiten verwendet wurde. Noch seien Übersetzungen in Leichte Sprache vergleichsweise kostspielig, räumt Schmolze-Krahn ein. Doch die Künstliche Intelligenz mache in diesem Bereich große Fortschritte: „So könnte sich das Argument, dass solche Übersetzungen zu teuer sind, bald erledigt haben.“

Silke Lenz, Stadtsprecherin Essen

„Es ist für uns als Stadtverwaltung ein wichtiges Anliegen, dass von unserem Informationsangebot möglichst viele Menschen profitieren. Das bedeutet auch, es barrierefrei zu gestalten.““

Stadtsprecherin Silke Lenz

Die Stadt Essen kündigt dazu bereits an: „Nicht nur die digitale Barrierefreiheit ist für uns wichtig, auch das Angebot an Informationen in Leichter Sprache soll zukünftig deutlich weiter ausgebaut werden.“ Gleiches gelte für Informationen in Gebärdensprache. „Es ist für uns als Stadtverwaltung ein wichtiges Anliegen, dass von unserem Informationsangebot möglichst viele Menschen profitieren. Das bedeutet auch, es barrierefrei zu gestalten“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz zur Motivation der Stadtverwaltung. Einen Überblick über die wichtigsten Tools finden Interessierte hier: https://www.essen.de/e_magazin/emagazin_1487562.de.html 

Digitale Barrierefreiheit ist keine Frage des Geldes

Jenen Städten, die selbst noch Nachholbedarf sehen, bietet das Inclusion Technology Lab jetzt Unterstützung an. Mit dem großangelegten Test sei die Arbeit nicht beendet, so wolle man in einem weiteren Schritt noch genauer prüfen, welche Angebote für Menschen mit Sehbehinderungen am hilfreichsten sind.

Im Übrigen habe der Test gezeigt, dass digitale Barrierefreiheit „keine Frage des Geldes ist“. So lägen keineswegs alle reichen Kommunen vorn. Gut aufgestellt seien vielmehr auch Städte, die unter erheblichem finanziellen Druck stehen, wie etwa Essen. Es gehe hier um eine Frage der Einstellung, so Schmolze-Krahn: „Gut abgeschnitten haben diejenigen, die sich kümmern wollen.“

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