Essen. Ben Van Cauwenbergh hat das Ballett in Essen populär gemacht. Nach 16 Jahren verabschiedet er sich aus Altersgründen vom Aalto-Theater.

Intendanten wünschen sich nichts mehr als ein volles Haus. Ballett-Chef Ben Van Cauwenbergh hat es geschafft. 16 Jahre konnte er sein junges und älteres Publikum begeistern. Seine populären wie klassischen Choreografien wurden geliebt. Jetzt verlässt er seinen Posten am Aalto-Theater aus Altersgründen. Mit den ausverkauften Abenden „Bye-Bye Ben“, einer Collage aus „La vie en rose“ und „Tanzhommage an Queen“, verabschiedet sich der 66-Jährige. Redakteurin Dagmar Schwalm sprach mit ihm über seinen Job, seine Familie und das Segeln.

Essener Ballett-Intendant möchte noch Erfahrungen weitergeben

Herr Van Cauwenbergh, fällt es Ihnen schwer, Abschied zu nehmen?

Ich bin traurig. Ich werde das Publikum vermissen. Bei einer vollen Vorstellung von „Last“ habe ich mich gefragt: Wie haben wir das geschafft? Ich bin das ja nicht alleine. Ich steuere das Schiff, wohin es gehen muss. Wie zuvor in Wiesbaden, verstehe ich nicht, warum ich gehen muss. Ich habe gute Auslastungszahlen und einen Rucksack an Erfahrungen, mit dem ich einen Tänzer noch gut aussehen lassen kann. Ich hinterlasse viel. Mein ganzes Leben.

Auf der Spitze: Ben Van Cauwenbergh als Eisenstein im Ballett „Rosalinde“ nach der Operette „Die Fledermaus“ beim London Festival Ballet 1985. 
Auf der Spitze: Ben Van Cauwenbergh als Eisenstein im Ballett „Rosalinde“ nach der Operette „Die Fledermaus“ beim London Festival Ballet 1985.  © London Festival Ballet

Sie stammen aus einer bekannten belgischen Tänzerfamilie. Wird man da automatisch Tänzer?

Mein Bruder Tom wollte tanzen. Und meine Mutter (sie ist heute 95) fragte, ob ich etwas dagegen hätte, mit auf eine Ballettschule zu gehen. Ich war acht Jahre und mir war es egal, auf welche Schule ich gehe. Da ging es los. Ich begann, für Baryshnikov und Nurejew zu schwärmen, mit dem ich später in London auch arbeitete. So etwas vergisst man nicht.

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Sie haben eine steile Karriere gemacht. Als Solotänzer, Choreograf, Ballettchef in Wiesbaden. Es gab Zuschauer-Proteste, als nach 15 Jahren ihr Vertrag dort nicht verlängert wurde.

Anfangs sind die Leute mir nach Essen nachgereist. Und sie kommen auch jetzt zu meinen Abschiedsabenden.

Sind Sie so treu wie ihr Publikum?

Ja, klar. Ich bin ein Familienmensch. Meine Frau Nadia und ich sind seit 37 Jahren verheiratet. Sie hat mich sehr unterstützt. Es war nicht immer leicht. Wir haben sechs Jahre eine Fernbeziehung geführt, als sie künstlerische Leiterin der Royal Ballet School in Antwerpen war. Und ich habe die Probleme vom Theater lange mit nach Hause gebracht.

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Familienmensch Ben Van Cauwenbergh (Mitte), hier mit Ehefrau Nadia Deferm (links) und Tochter Marie.
Familienmensch Ben Van Cauwenbergh (Mitte), hier mit Ehefrau Nadia Deferm (links) und Tochter Marie. © BVC

Ben Van Cauwenbergh kennt die Probleme der Tanzenden genau

Was nehmen Sie mit nach Hause?

Es geht nicht nur darum, schöne Produktionen zu machen. Man muss mit Menschen umgehen. Ich kenne die Leute aus meiner Compagnie genau. Ich weiß, wenn sie finanzielle Probleme haben, wenn sie zu dick sind, wenn sie sich fragen, warum sie für eine Rolle nicht besetzt werden. Ich muss Tänzern am Ende sagen, dass sie nicht verlängert werden. Die Tanzkarriere ist kurz. Das Haus ist sehr hilfreich dabei, eine neue Aufgabe zu finden.

Es gibt Tänzerinnen und Tänzer wie Denis Untila und Adeline Pastor, die Sie lange begleitet haben.

Manche mehr als zehn Jahre. Das ist für mich eine Bestätigung, dass wir ein gutes Repertoire haben. Adeline hat eine Ausbildung (zur Bürokauffrau) gemacht. Denis war lange verletzt und arbeitet wie Tomáš Ottych als Orchesterwart bei der TuP (Theater und Philharmonie). Und Tänzer wie Ige Cornelis, den ich aufgebaut habe, muss ich gehen lassen. Er tanzt jetzt in Monaco.

Mutter zu werden und Tänzerin zu bleiben, ist in vielen Compagnien ein Problem. In ihrer nicht.

Ich habe immer versucht, alles zu ermöglichen. Wenn die Kita am Samstag geschlossen hat, bringen die Tänzerinnen ihre Kinder mit zum Training. Oder wenn Tänzer ein Gastspiel machen wollen und hier bei einer Vorstellung ausfallen, versuche ich, das zu ermöglichen. In London wurde mir das nicht erlaubt. Da habe ich mir geschworen: Ich mache es anders, wenn ich in der Position bin.

Ihre Tochter Marie ist Tänzerin am Aalto-Ballett. Ist es für sie schwierig als Tochter vom Chef?

Ich finde es toll, dass sie das auf eigenen Füßen geschafft hat. Ich habe ihr nur die Tür geöffnet - wie vielen anderen auch. Sie ist ehrgeizig, hat Persönlichkeit und Ausstrahlung, zeigt Initiative und denkt für die Compagnie mit. Sie kennt aber auch ihre Möglichkeiten. Ich bin sehr stolz auf sie.

Mit „La vie en rose“, einer vom Aalto-Ballett getanzten Liebeserklärung an französische Chansons, hat Ben Van Cauwenbergh 2008 das Publikum sofort im Sturm erobert.
Mit „La vie en rose“, einer vom Aalto-Ballett getanzten Liebeserklärung an französische Chansons, hat Ben Van Cauwenbergh 2008 das Publikum sofort im Sturm erobert. © Bettina Stoess

Intendant hat das Ballett in Essen populär gemacht

Sie haben das Ballett in Essen populär gemacht mit klassischer Tanzsprache zu zeitgenössischer Musik sowie Klassikern. Einzig mehrteilige Abende von Weltklasse-Choreografen kamen nicht gut an. Warum waren sie im Programm?

Ich mache Ballett für das Publikum. Mit Tanzabenden wie „La vie en rose“ oder „Tanzhommage an Queen“ habe ich unterhalten. Aber wir haben auch einen Bildungsauftrag. Die klassische Tanzsprache sollte nicht aus dem Repertoire verschwinden. Es ist auch wichtig, dass das Publikum und die Compagnie andere Tanzsprachen kennenlernen. Ohad Naharin war hier, Alexander Ekman oder Jirí Kylián. Das war mein Highlight, ihn im Ballettsaal arbeiten zu sehen.

Haben Sie alles richtig gemacht?

Je ne regrette rien. Ich bereue nichts. Vielleicht hätte ich etwas besser machen können.

Segeln ist ihr liebstes Hobby. Was ist Ihnen dabei wichtig? Zu gewinnen?

Es ist für mich ein Exit, um meinen Job gut machen zu können. Ich bin ein guter Segler. Ich will gewinnen. Auf dem Wasser gibt es keine Geschenke. Ich kann schlechte Kritiken haben, aber das Publikum habe ich gewonnen. Wenn an einem Tag nichts funktioniert, gehe ich zu meinem Club, bastele an meinem Boot, setze mich auf eine Bank und rauche eine Zigarre.

Auf dem Wasser gibt es keine Geschenke: Ben Van Cauwenbergh (links) will beim Segeln gewinnen und im Theater das Publikum.
Auf dem Wasser gibt es keine Geschenke: Ben Van Cauwenbergh (links) will beim Segeln gewinnen und im Theater das Publikum. © Ricardo Pinto

Ben Van Cauwenbergh richtet „La vie en rose“ in Toulouse ein

Was sorgt sonst noch für Ausgleich?

Ich fahre Motorrad (Harley Davidson), gehe mit unserer Dogge Grace (mal ist sie Grace Kelly, mal Grace Jones) spazieren oder ich koche, was meine Frau freut.

Haben Sie bei ihren Nachfolgern mitentschieden? Werden ihre beiden ehemaligen Tänzer es schaffen, ihren Posten und das Publikum einzunehmen?

Ich habe mich nicht beteiligt an der Suche nach der Nachfolge. Ich habe sie unterstützt. Marek (Tuma) ist ein Kind von mir. Er kam als Ballettpraktikant zu mir nach Wiesbaden. Heute weiß er als Ballettmanager, wie das Theater läuft. Armen (Hakobyan) kam aus Düsseldorf als Solotänzer nach Essen. Er war bei mir der beste Ballettmeister, hat choreografiert, aber noch kein abendfüllendes Stück gezeigt. Ich weiß nicht, ob sie es schaffen. Time will tell. Die Zeit wird es zeigen.

Was werden Sie künftig machen?

Wir mussten aus unserem Haus in Burgaltendorf wegen Eigenbedarf ausziehen und haben mit unserer Tochter und ihrem Freund ein Haus in Heisingen gekauft. Ich bin ein Heisinger. Es ist noch nicht fertig und wir müssen erstmal im Camper schlafen. Wir sind alle glücklich hier. Ich bin eingeladen, „La vie en rose“ mit der Ballettcompagnie in Toulouse einzustudieren. Und ich hinterlasse fünf Produktionen am Aalto-Theater. Da würde ich gern bei Proben und Besetzung ein Auge draufhalten.

Zur Person Ben Van Cauwenbergh

Ben Van Cauwenbergh ist Sohn der Tänzerin Annie Brabants und wurde in Antwerpen geboren. Seine Tanten Jos und Jeanne, Bruder Tom, Neffe Lars, seine Ehefrau Nadia Deferm sowie seine Tochter Marie gehören zu der großen Tanzfamilie.

Er hat am Königlichen Ballett von Flandern und am London Festival Ballet (ab 1980 als erster Solotänzer) getanzt, aber auch noch in Luzern und Wiesbaden, als er schon Choreograf und Ballettdirektor war.

In Essen wurde er Ballett-Intendant. Zu seinen Balletten zählen „Dornröschen“, „Romeo und Julia“, „Schwanensee“, „Der Nussknacker“ sowie „Tanzhommage an Queen“ und „La vie en rose“, die zum Teil in der kommenden Spielzeit vom Aalto-Ballett wiederaufgenommen werden.

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