Essen - Paris - Essen - Paris. Zwischen Ruhrmetropole und Seinemetropole pendelt Ohad Naharin hin und her, um zwei Versionen seines Stückes „Deca Dance“ am selben Tag zur Premiere zu bringen. Dort begleitet er die in Tel Aviv beheimatete Batsheva Dance Company, mit der er als künstlerischer Direktor seit Jahrzehnten vertraut ist. Hier, in der Partnerstadt Tel Avivs, begleitet er Proben und Training des Aalto-Balletts, das für seinen Tanzabend eigens eine von ihm entwickelte Bewegungssprache erlernt hat. Von Druck und Nervosität bei ihm keine Spur. Der gefragte israelische Choreograf bleibt gelassen. „Ich habe mal nachgezählt. Ich kann sieben Dinge gleichzeitig tun“, meint er lächelnd. Nur bei zwei Premieren kann er nicht zeitgleich anwesend sein.

Die Bewegungssprache „Gaga“

Das Aalto-Ballett betritt mit „Deca Dance“ Neuland. Warum noch keine andere deutsche Compagnie auf die Idee gekommen ist, eines seiner abendfüllenden Werke selbst auf die Bühne zu bringen? Ohad Naharin weiß es nicht. Er kann nur mutmaßen: „Es ist eine große Produktion, und es ist schwierig wegen der Proben.“ Die müssen in seinen Zeitplan passen und das Ballett sollte offen sein für ein Abenteuer namens „Gaga“. „Die Tänzer müssen viele Schritte in kurzer Zeit lernen. Das ist eine Herausforderung“, erklärt er. Seine Bewegungssprache zu verwenden, ist erst recht kein leichtes Unterfangen für Tänzer, bei denen die Höhe der Sprünge, die Anzahl der Drehungen und die perfekte Haltung oberstes Gebot sind. „Spiegel sind beim Training verboten. Ich möchte ihnen einen Wechsel im Denken vermitteln. Sie sollen auf ihren Körper hören. Es geht um die Verbindung von Gefühl, Phantasie und den eigenen Fähigkeiten. Es geht um die Effizienz der Bewegung und dass weniger mehr sein kann“, so Naharin, der mit diesem Werkzeug Tänzern ermöglichen will, über die üblichen Altersgrenzen hinaus „wundervolle Momente zu erschaffen“.

Von der Liebe zum Tanz

Momente wie bei „Deca Dance“. Es ist eine Choreografie, in der Struktur, Dynamik und ganz viele Geschichten ineinander greifen. Es sind frühe Stücke, die Ohad Naharin aufgebrochen und neu zusammengefügt hat. Sie erzählen von Leidenschaft und Verlust, von Sinnlichkeit und Liebe. Vor allem von der Liebe zum Tanz. Indes blitzen auch andere Talente des Ausnahmekünstlers hervor. So finden sich in der Musikauswahl Mambo-Rhythmen, Kompositionen von Vivaldi ebenso wie ein traditionelles Lied, das er mit einer Rockband eingespielt hat. Und es gibt einige Zeilen zu hören, die aus seiner Feder stammen. Er schreibe Texte, Kurzgeschichten, und er habe in Tel Aviv ein eigenes Tonstudio, nur viel zu wenig Zeit dafür, erzählt er.

Arbeit und Leben trennt Ohad Naharin nicht: „Wenn etwas in meinem Herzen ist, ist es in meiner Arbeit.“ Seine dreijährige Tochter Noga und seine Frau, die Tänzerin Eri Nakamura, gehören dazu und die Batsheva Dance Company. Das wird sich auch so schnell nicht ändern. „Ich fühle die Frische noch immer, ich kann ihr noch Inspiration geben“, sagt der 61-Jährige. „Und ich will noch sehen, wie das Theater, das die Stadt für uns bauen will, fertig wird.“