Essen. Babyboom beim Aalto-Ballett: Vier Tänzerinnen erzählen über das Glück, ein Kind zu bekommen, und die Probleme bei der Rückkehr auf die Bühne. Auf Nachwuchs reagiert die Ballettleitung familienfreundlich. Das ist nicht überall so.
Eine schmale Frau mit dunklen Haaren und tiefen Augenringen sitzt da und strahlt ihre kleine Tochter an. Emma Lilith ist neun Monate alt, ein überaus freundliches Kind, das gerade zahnt und seiner Mutter offenbar wenig Schlaf lässt. Die Ballerina des Essener Balletts verkraftet das, obwohl sie als Piaf wieder erstaunliche Pirouetten in „La vie en rose“ dreht und bei Galas im Ausland auftritt. „Ich war immer eine starke Tänzerin“, sagt Adeline Pastor, die sich in 15 Jahren international einen Namen gemacht hat. Dennoch war die Geburt ein Gewinn für sie: „Die Palette der Emotionen ist größer geworden.“
Körperlich hat sich viel verändert
Die 30-jährige Französin ist glücklich – wie die anderen Kolleginnen, die Mutter wurden oder werden. Mit viel Disziplin haben sie alle den Wiedereinstieg in diesem Jahr geschafft. „Es war sehr schwer. Aber es ist möglich“, erzählt sie. Mit einer Diät hat sie abgenommen, hat die gedehnte Bauchpartie trainiert, ist gelaufen und mittlerweile ganz zufrieden mit der Elastizität und der Muskulatur ihres Körpers.
Paula Archangelo Cakir, seit 2007 am Aalto-Theater, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Ihr kleiner Felipe ist acht Monate alt. „In der Schwangerschaft hat sich so viel verändert. Danach waren meine Füße schwach, mein Rücken steif, und ich dachte, ich könnte nie mehr einen Spagat machen“, berichtet die 28-Jährige, die inzwischen sicher ist: „Man braucht nur etwas Geduld.“ Im November kehrte sie mit „Ein Sommernachtstraum“ zurück. Die Brasilianerin ist froh, „diesen Platz in der Compagnie und ein Kind zu haben“. Nur „etwas schuldig“ fühle sie sich, wenn jetzt ihr Mann den Sohn ins Bett bringen muss.
So unterschiedlich lang und schwer die Rückkehr war, die Betreuung der Babys ist für alle Tänzerinnen ein großes Thema. Sie proben tagsüber, haben abends Vorstellung. Ihre Ehepartner helfen zwar oft mit, sind aber meist selbst Tänzer. Und die Großeltern leben in einer weit entfernten Heimat. Michelle Yamamoto kennt das nur zu gut. Die 35-Jährige hat eine dreijährige Tochter und ist gerade erneut schwanger. Eine Kindertagesstätte und vier Babysitter sind im Einsatz und trotzdem: „Manchmal hat keiner Zeit, besonders samstags“, stellt sie fest. „Im Notfall bringe ich Alina mit und ein Kollege, der gerade nicht auf der Bühne steht, kümmert sich um sie.“
Großeltern reisen im Notfall an
Selten können ihre Eltern aus Brasilien oder die Schwiegereltern aus Moldawien anreisen. Als sie im letzten Jahr mit ihrem Mann Denis Untila den abendfüllenden „Othello“ choreografierte, ging es nicht anders. Und schon heute, drei Monate vor dem Geburtstermin, fragt sie sich, ob sie im nächsten Jahr die Organisation mit einem zweiten Kind hinkriegt. „Ich wünsche es mir sehr“, sagt sie. Bei dem Abend für junge Choreografen im Juni will sie auf jeden Fall mit dabei sein. Die Ballettleitung ist da zuversichtlich.
Wie kinderfreundlich es am Aalto-Theater zugeht, hat auch Anna Khamzina erfahren. Die 27-Jährige kam zu Beginn dieser Spielzeit mit ihrem Mann aus Moskau in die Compagnie. Erst beim Vortanzen verriet sie, dass sie vor nicht allzu langer Zeit entbunden hat, also noch nicht in der alten Form ist. Intendant Ben Van Cauwenbergh verpflichtete sie dessen ungeachtet. Und Ballettmanager Marek Tuma half, für die einjährige Tochter Diana einen Kindergartenplatz zu finden.
In Russland, wo Anna Khamzina die letzten zehn Jahre am Stanislavsky Theater engagiert war, sind Mütter im Ensemble verbreiteter als in Deutschland. „Die Hälfte der 45 Frauen hat Kinder. Selbst die Primaballerina hat zwei“, sagt sie und kennt den Grund: „Bei uns sucht man sein Glück in der Familie. Hier hat man mehr Möglichkeiten.“ Auch die, ein zweites Kind zu bekommen. „Ich liebe es, Mutter zu sein“, schwärmt sie, was in „Cinderella“ nicht zu übersehen ist.
Aalto-Spaziergang