Essen. Tausende warten in Essen auf Einbürgerung, viele ziehen jetzt vor Gericht. Aber: Untätigkeitsklagen sind teuer und beschleunigen die Sache nicht.
Die Überlastung des Essener Ausländeramts bedeutet für viele Einbürgerungswillige einen Nervenkrieg: Sie warten auf den deutschen Pass und die damit verbundene Rechtssicherheit, auf Wahlrecht, Teilhabe – oder die Möglichkeit, die alten Eltern im Heimatland besuchen zu können. In ihrer Verzweiflung reichen viele Betroffene beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage gegen die Stadt wegen Untätigkeit ein. Doch Experten warnen: Das bringe den Betroffenen wenig und könne teuer werden, weil Anwalts- und Gerichtskosten anfallen.
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So erlebt es nun auch Servan Kobani (Name geändert): Der Kurde aus Syrien kam 2015 nach Deutschland, spricht Deutsch fließend, verdient seinen Lebensunterhalt selbst – und wünscht sich die Einbürgerung. Seit er sich vor zwei Jahren in einem ersten Schritt um eine Niederlassungserlaubnis bemühte, ist er in einem zähen Austausch mit dem Ausländeramt.
Einbürgerung: Ein Jahr Warten auf einen Termin im Ausländeramt Essen
Reiche er Anträge ein, vergingen oft Wochen, bis er eine Antwort erhalte oder erfahre, welche Dokumente fehlten. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass Unterlagen in der Schublade verschwinden und ein Jahr später erneut danach gefragt wird. Das habe ich so von der Stadt Essen nicht erwartet. Es ist traurig.“
Ende Juli 2023 hat Servan Kobani mithilfe einer Anwältin beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geklagt: Ein Einbürgerungsverfahren müsse in drei Monaten abgeschlossen sein, und er bekomme nicht mal einen Termin, um seinen Antrag abzugeben. Einen Monat später habe er ein Terminangebot vom Amt erhalten: für den 25. Oktober 2024.
Ein erster Erfolg der Klage, vermutet Kobani. Es sei jedoch unfassbar, dass er über ein Jahr auf den Termin warten müsse. Die Stadt entgegnet, dass die Beantwortung von Kobanis Terminanfrage „ohnehin fällig“ gewesen sei. Und: „Die Terminvorlaufzeit ab dem Moment der Terminvergabe beträgt derzeit zwölf Monate.“ Alles normal also. Die Bearbeitung des Antrags dauere dann im Schnitt noch mal ein Jahr. Dabei könne sich „das Vervollständigen der Akten durch Anfragen bei anderen Behörden verzögern“.
„Ich habe manchmal das Gefühl, dass Unterlagen in der Schublade verschwinden und ein Jahr später erneut danach gefragt wird. Das habe ich so von der Stadt Essen nicht erwartet. Es ist traurig.“ “
Wenn es dumm läuft, kann das Monate kosten: So bekam Kobani im August 2023 eine Nachricht von der Stadt, es gebe „technische Probleme“ bei der Sicherheitsabfrage. Seit zwei Jahren komme es vermehrt zu Ausfällen an der Schnittstelle der Anstalt für kommunale Datenverarbeitung, bestätigt die Stadt. Der Ausfall, der Kobani betraf, habe vom 18. Juli 2023 bis zum 3. Januar 2024 gedauert. In der Folge habe man „für fast sechs Monate kaum abschließend über gestellte Anträge entscheiden“ können. Bis die Panne behoben war, liefen „mehrere Tausend Fälle“ auf. Die Sicherheitsabfrage für Kobani konnte daher erst im Februar gestellt worden. Die gute Nachricht: Sie sei inzwischen positiv beschieden.
Nun muss Kobani erneut Miet-, Verdienst- und Arbeitgeberbescheinigungen vorlegen. Auch das ist also gemeint, wenn die Stadt sagt, die Bearbeitungsdauer sei grundsätzlich stark „von der Vollständigkeit des Antrags abhängig“.
Schon 1000 Einbürgerungen in diesem Jahr
Ende Mai lud die Stadt Essen zur 34. Einbürgerungsfeier seit deren Premiere 2011. In Essen seien im laufenden Jahr bereits 1000 Personen eingebürgert worden. 2023 waren es 1799 im ganzen Jahr, 2022 zählte man „nur“ 1476 Einbürgerungen.
Die Stadt sagt, man habe auf die Steigerung früh reagiert: „Mit der angegangenen Verdreifachung des Personalkörpers sowie einer bereits in den Jahren 2022/23 erfolgten Personalaufstockung hat die Stadt deutlich auf die belastende Situation in Form der in den letzten Jahren stark gestiegenen und weiter steigenden Antragszahlen reagiert. Da Mitarbeitende erst eingearbeitet werden müssen, ist aktuell noch nicht die volle Leistungsfähigkeit des Einbürgerungssachgebiets erreicht.“ Es gebe aber spürbare Erfolge, von Untätigkeit könne keine Rede sein.
In Bochum sollen Unbekannte Termine beim Einbürgerungsbüro für 250 Euro verkauft haben. In Essen seien keine solchen Fälle bekannt, sagt die Stadt. „Die Termine werden namensscharf vergeben und den Personen direkt (per E-Mail, schriftlich oder persönlich) mitgeteilt. Bei einem Weiterverkauf würde auffallen, dass die erscheinende Person nicht die ist, für die der Termin gebucht wurde.“
Bei Kobani habe man schon zuvor öfter Unterlagen nachfordern müssen, etwa weil der nachgewiesene Verdienst nicht hoch genug war. Teils lag das an den schwankenden Einkünften des 31-Jährigen, teils an der Weltpolitik: Als wegen des Ukraine-Krieges die Energiekosten in die Höhe schnellten, habe man eine neue Mietbescheinigung angefordert, „da auch die stark gestiegenen Nebenkosten in der Berechnung der Lebenshaltungssicherung berücksichtigt werden müssen“.
Gut 800 Euro Gebühr ans Gericht gezahlt
Aus Sicht der Stadt sind Kommunikation und Einreichen von Unterlagen im Fall Kobani „weitestgehend problemlos“ gelaufen. Für die Betroffenen sei das oft schwer nachvollziehbar, denn die Vorschriften seien „extrem komplex und verändern sich laufend“. Richtig sei, dass man Herrn Kobani mal „eine kurze Zwischeninfo“ hätte geben sollen.
Womöglich hätte der den Klageweg dann nicht beschritten. So habe er wegen des Streitwerts von 10.000 Euro im Januar 2024 schon eine Gebühr von 798 Euro ans Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zahlen müssen. Die Stadt Essen hat zudem beantragt, „die Klage zurückzuweisen und die Kosten dem Kläger aufzuerlegen“. Sie argumentiert, dass angesichts des starken Interesses an der Einbürgerung „Termine zur Beratung und Antragsabgabe nicht zeitnah vergeben werden können“. Gut 8000 Bewerber auf eine Einbürgerung gebe es, heißt es in dem Schreiben von September 2023.
5000 Anträge auf Einbürgerung sind noch unbearbeitet
Auf Anfrage teilt die Stadt mit, dass es mittlerweile noch knapp 5000 Anträge seien, die bearbeitet werden müssen. Durch Umstrukturierungen habe man die Rückstände zuletzt abbauen können. So kann nun eine Einbürgerung „auch ohne vorheriges Beratungsgespräch online beantragt werden“.
Wegen Untätigkeit bei den Einbürgerungen sanktioniert zu werden, fürchtet man nicht: „Aus den letzten Jahren ist kein Fall bekannt, in dem im Rahmen einer Hauptverhandlung ein Urteil zur Verpflichtung ausgesprochen wäre.“
Richter hält es für nicht zielführend, der Stadt eine Frist zu setzen
Auch Wolfgang Thewes, Vorsitzender Richter und Pressesprecher des Verwaltungsgerichts, bestätigt, dass man aktuell keine Sanktionsmaßnahmen gegen die Kommunen sehe, da man deren Überforderung anerkenne. Grundsätzlich könne man bei Untätigkeitsklagen „der Stadt unter bestimmten Umständen eine Frist setzen“, nur würde das hier ja nicht zu einer „schnelleren Erledigung führen“.
Keine Überholspur für Kläger
Wenn die Stadt jene vorzöge, die klagen, gäbe es quasi eine Überholspur zur Einbürgerung – und immer mehr Betroffene würden vor das gleichfalls überlastete Gericht ziehen. Thewes sagt daher: „Leider muss man wohl die Wartezeiten akzeptieren, bis die Stadt den Berg an Anträgen abgearbeitet hat.“
Der Klageweg lohne sich wegen des hohen Streitwerts eigentlich nur für die Anwälte, meint ein Experte: „Für die ist das eine Gelddruckmaschine.“
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