Duisburg. Mahmut Özdemir (SPD) ist nach acht Jahren im Bundestag der Favorit im Nord-Wahlkreis. Der 34-Jährige ist aus mehreren Gründen selbstbewusst.

Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir sagt, er verstehe sich als „Staatsdiener“; er spricht häufiger von „Demut“. Dennoch sagt der Sozialdemokrat auch diese Sätze, die sich nicht jeder Politiker in der Öffentlichkeit traut: „Ich verdiene es, wiedergewählt zu werden.“ Er sagt sie mit Ruhe und Überzeugung in der Stimme. „Ich habe eine hervorragende Bilanz.“ Das unerwartete SPD- und Olaf-Scholz-Umfragehoch hätte es für dieses große Selbstbewusstsein gar nicht mehr gebraucht.

Denn Özdemir blickt als 34-Jähriger bereits auf seine zweite Legislaturperiode zurück. Er hat in diesen acht Jahren, wie er wirbt, „einen dreistelligen Millionenbetrag an Fördergeldern von Berlin nach Duisburg gelenkt“. Er tourt – nicht nur im Wahlkampf – unermüdlich durch seinen Wahlkreis im Nordwesten und Norden der Stadt, in dem seit 1961 nur SPD-Kandidaten gewonnen haben. Und Özdemir hat seine Durchsetzungsfähigkeit jüngst erst im parteiinternen Machtkampf demonstriert.

Mahmut Özdemir betrachtet die geringe Wahlbeteiligung als größten Gegner

So wird eine Mehrheit der Duisburger Genossinnen und Genossen ihn aller Voraussicht nach am 30. Oktober zum neuen Vorsitzenden des Unterbezirks wählen. Die Landtagsabgeordnete Sarah Philipp und Oberbürgermeister Sören Link hatten ihre Kandidatur als Doppelspitze wie berichtet zurückgezogen, nachdem 104 der 183 Delegierten gegen die für die Duisburger Doppelspitze notwendige Satzungsänderung gestimmt hatten. Der ehrgeizige Özdemir, der als einer der fleißigsten Arbeiter der Partei gilt, habe vor dieser Abstimmung mit jeder einzelnen Delegierten und jedem einzelnen Delegierten gesprochen, erzählt man sich nun.

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„Ich möchte Menschen überzeugen, gehe an Fragestellungen und Konflikte pragmatisch ran, nicht ideologisch“, sagt der studierte Jurist dazu über sich selbst. „Alte Seilschaften mache ich nicht mit.“ Für manche, auch in der SPD, sei er darum „schwer einzuschätzen“.

Dass man ihn keinesfalls unterschätzen sollte, bewies Özdemir bereits 2012, als er noch Rechtsreferendar im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf war. Damals wollten mehrere Genossen als Nachfolger von Hans Pflug im Duisburger Nord-Wahlkreis kandidieren. Der Homberger Junge mit türkischen Wurzeln gewann die Kampfkandidatur überraschend gegen Heiko Blumenthal, der sieben Jahre Referent des Landtagsabgeordneten Sören Link gewesen war. Nach der Bundestagswahl 2013 machte Özdemir mit 26 Jahren als jüngster Bundestagsabgeordneter bundesweit Schlagzeilen.

Ungleichheit der Lebensverhältnisse „frustriert die Menschen“

Beim bevorstehenden Urnengang, sagt er, sei sein größter Gegner „kein Kandidat aus Fleisch und Blut, sondern die geringe Wahlbeteiligung“. In keinem der 299 Bundestagswahlkreise gaben 2017 (64,8 Prozent) und 2013 (63,6 Prozent) weniger Berechtigte ihre Stimme ab als im Wahlkreis 116. „Ich bitte die, die aus Frust und Ärger zuhause geblieben sind, ihr Kreuz bei mir und der SPD zu machen.“

Ist diese nicht auch mitverantwortlich für die Politikverdrossenheit im abgehängten, migrantisch geprägten Norden? „Es war ein Fehler, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Duisburg nicht erkämpft zu haben“, kritisiert Özdemir auch sozialdemokratische Politik der Vergangenheit. Dass die Lebensqualität nördlich der Ruhr so viel geringer „als 13 Kilometer weiter südlich ist, das frustriert die Menschen“.

Was er selbst acht Jahre dagegen unternommen hat? Özdemir verweist in seiner Bilanz, die er auf seiner Wahlkampf-Webseite präsentiert und als Handzettel an Infoständen, Straßenecken und Haustüren verteilt, vor allem auf die Fördergelder, die in die Bezirke Hamborn, Meiderich/Beeck, Homberg/Ruhrort/Baerl und Walsum geflossen sind. Der größte Posten: 25 der 50 Millionen Euro für das Modellprojekt „Stark im Norden“.

Özdemir: Olaf Scholz für Duisburg wählen

Das Geld sei „Mittel zum Zweck“, sagt Özdemir. Er habe versprochen, „dass es in Marxloh und Hamborn besser wird als es früher war“. Die Stadtteil-Sanierung in Hochheide mit dem neuen Ärztehaus auf dem Gelände der alten Marktschule, dem Abriss der Weißen Riesen und einem neuen Stadtpark betrachtet er als eine Art Blaupause für Marxloh und Hamborn. Fördergelder für diese Impulse könne er „nur im Zusammenspiel mit unserem OB“ und mit „den besseren Ideen“ gewinnen. Diese speise er als Abgeordneter in der Hauptstadt in den Haushaltsausschuss und in Fachausschüsse ein, in Duisburg in die Stadtverwaltung.

Ganz neue finanzielle Spielräume könne ein Bundeskanzler Olaf Scholz fürs hochverschuldete Duisburg erkämpfen. Als Finanzminister war Scholz mit seinen Plänen für einen Altschuldenschnitt auch am Widerstand der Union gescheitert. „Laschet verhindert die Entschuldung der Kommunen“, meint Özdemir. „Wer möchte, dass mehr Geld in Duisburg bleibt, muss Scholz wählen.“

Stahl-Standort: „Staatseinstieg darf kein Tabu mehr sein“

Nachdem die Pandemie in den sozialen und Corona-Hotspots seines Wahlkreises die gravierenden Informations- und Sprachbarrieren vieler Bewohner schmerzhaft verdeutlicht hat, empfiehlt Özdemir gegen Integrationsprobleme eine „Deutschlernpflicht. Wer dauerhaft hier leben will, muss auch Behörden alltagsadäquat verstehen können.“ Um Zuwanderer aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien“, so Özdemir, müsse der Staat dazu langfristig mehr Sprachkurse anbieten können. Das sei zuletzt auch an Innenminister Horst Seehofer (CSU) gescheitert.

Viel mehr Staat und Subventionen fordert der Abgeordnete – obgleich dem konservativen Seeheimer Kreis zugehörig – für den Hauptarbeitgeber in seinem Wahlkreis, Thyssenkrupp: „Selbst ein Staatseinstieg darf kein Tabu mehr sein, wollen wir uns nicht von ineffizienten Stahlwerken in China und Indien Politik aufdrücken und Arbeitsplätze zerstören lassen.“ Milliardensubventionen in grünen Stahl hält er für „gerechtfertigt, weil an jedem Stahl-Arbeitsplatz viele weitere Arbeitsplätze hängen. Wir verdienen hier in Duisburg den Wohlstand des Landes – auch für den Mittelstand in Südwestfalen.“ Auch für seinen Stahl-Standort formuliert Mahmut Özdemir: selbstbewusst.

>> MAHMUT ÖZDEMIR IN BERLIN UND DUISBURG

• Im Bundestag war Mahmut Özdemir zuletzt sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und stellvertretender Ausschussvorsitzender des ersten Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Özdemir ist Linksaußen und Vizekapitän der Fußballmannschaft des FC Bundestag.

• Der Homberger wohnte mit seiner Familie einst im Weißen Riesen an der Ottostraße, der nun gesprengt wird. Seine Schwester Merve Deniz Özdemir wurde 2020 für die SPD in den Rat gewählt.

• Bei der Bundestagswahl 2013 holte Mahmut Özdemir im Wahlkreis 43,2 Prozent der Erststimmen (Zweitstimmenanteil der SPD: 43 %), 2017 deutlich weniger: 34,7 Prozent (Zweistimmen: 34,1 %).