Bottrop. Drogensucht, Gewalt, Gefängnis: Ein eigenes, sicheres Zuhause hat es für den Bottroper lange nicht gegeben. Bis er Hilfe suchte und annahm.
Nejib ist unübersehbar nervös. Abenteuerlust, Drogensucht, Alkoholismus. Knast. Obdachlosigkeit. Über Jahre und Jahrzehnte hat der Bottroper ein unstetes Leben geführt. Als „verlorene Jahre“ bereut er diese Zeit heute. Offen berichtet der 48-Jährige davon – und wie er es in eine eigene Wohnung geschafft hat.
Bottroper: „Ich war in der Schule der Zappelphilipp, habe immer Ärger gekriegt“
Einfach nur glatt läuft es für Nejib schon seit seiner Kindheit nicht. In der Grundschule hat er eine Klasse wiederholen müssen, kam dann auch auf der Gesamtschule nicht wirklich zurecht. „Ich war in der Schule der Zappelphilipp, habe immer Ärger gekriegt.“
Gewalt, wie er sie selbst erfahren habe, habe er weitergegeben. „Ein großer Fehler, der mich viele, viele Jahre meines Lebens gekostet hat“, sagt Nejib. Jahre, die er nicht zurückholen kann.
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Vor allem wegen Gewaltstraftaten, aber etwa auch aufgrund von Diebstahl, berichtet der 48-Jährige, hat er insgesamt rund 18 Jahre im Gefängnis verbracht. Mit 14 Jahren hat er zum ersten Mal in Bottrop im Jugendarrest gesessen. „Ich bin gerade 18 geworden, da war ich schon im Jugendknast, zwei Jahre und zehn Monate.“ Während einer späteren Haftstrafe absolviert er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer.
„Die längste Strafe war sieben Jahre, das hat mich kaputt gemacht“, sagt Nejib. Drogenabhängig, wie er zu dem Zeitpunkt war, habe er jemanden beraubt. Kurz darauf sei dieser verstorben, „es hieß später, an einem natürlichen Tod“. Nejib schaut auf, dann schüttelt er den Kopf. „Wegen fünf Gramm Heroin war ich sieben Jahre im Gefängnis“, sagt er, als könne er es selbst nicht fassen.
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Und auch, wenn er in diesen langen sieben Jahren den Gedanken fasste, dass es künftig in seinem Leben anders laufen soll, anders laufen muss, schlossen sich nach der Entlassung weitere Delikte an. Aktuell steht Nejib unter Bewährung.
„Heute verabscheue ich Heroin, bin im Methadonprogramm“, sagt Nejib fest. In der „Blüte meiner Zeit“, wie der Bottroper es formuliert, hat er schwer gearbeitet, als Gerüstbauer. „Dann ist die Zeit gekommen, in der ich auf dem Scheiß Heroin hängen geblieben bin.“ Zuvor hatte er bereits mit Haschisch und Alkohol zu tun.
Suche nach Schlafplätzen: „Ich bin ein Wanderer gewesen“
Seine Sucht, seine Knast-Aufenthalte führten auch zu Auseinandersetzungen mit dem Vater daheim. Er suchte sich immer neue Unterkünfte. „Ich bin ein Wanderer gewesen“, sagt Nejib. „Ich habe bei Freunden geschlafen.“ Als „Sofa-Hopper“, wie die Helfer und Helferinnen der Evangelischen Sozialberatung die Wohnungslosen nennen, die ohne festes Mietverhältnis mal hier, mal dort unterkommen.
Wie ist es, wenn man nicht weiß, wo man nachts unterkommt, wie es morgen sein wird, wie es übermorgen weiter geht? „Schlimm, dieser Gedanke. Aber man hat auch einen Überlebensinstinkt. Du musst ein Überlebenskünstler sein“, meint Nejib.
Vor allem, wenn man tatsächlich auf der Straße lebt, unter freiem Himmel übernachtet. „Ich war auch in anderen Städten unterwegs, eher aus Lust nach Abenteuern, und musste draußen pennen.“ In jüngeren Jahren, wie Nejib bemerkt. „Da hätte ich heute keinen Energie mehr für. Heute würde ich auf der Straße auf der Strecke bleiben.“
Das Leben auf der Straße ist Stress
Denn die „Straße ist stressig“. Und zwar vor allem wegen der Menschen, denen man begegnet. Einerseits, erzählt Nejib, gibt es die „Engel“, die aus Mitleid etwas Geld geben oder Essen kaufen. Andererseits sei er aber eben auch „beschimpft, verhauen, beleidigt“ worden. „Es gibt Menschen da draußen, die zünden Obdachlose sogar an ...“
Das rastlose Umherziehen hat Nejib inzwischen hinter sich gelassen, seit einem Jahr hat er zum ersten Mal eine eigene Wohnung, inzwischen sogar im gleichen Haus wie seine Mutter. „Wach geworden bin ich durch meine Krankheit.“ Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung COPD macht Nejib schwer zu schaffen. Um sein Leben in geordnetere Bahnen zu überführen als bislang „nutze ich Institutionen wie die ESB“, berichtet Nejib.
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Er habe Ansprechpartner gefunden, „die tun mir gut“. ESB-Berater, Streetworker, Bewährungshelfer – der einstige Obdachlose nimmt Hilfe an, wo sie ihm angeboten wird. Scham, Stolz oder der schier unerfüllbaren Anspruch, es aus eigener Kraft schaffen zu wollen, sollten niemanden daran hindern, Unterstützung zuzulassen, meint der 48-Jährige.
Er weiß, wovon er spricht, denn: „Früher habe ich mich geschämt, hatte ein Grauen vor jeder Hilfe.“
Viele Stunden seines Tages verbringt der Bottroper bei der „Szene“
Jetzt einen eigenen Rückzugsort zu haben, das „ist schon schön“. Aber wohl auch ungewohnt, denn Nejib gibt zu: „Ich bin Hobby-Obdachloser. Ich muss morgens um 5, 6 Uhr raus, muss an die Luft.“ Bis mittags gesellt er sich zu den anderen, die man die „Szene“ auf dem Berliner Platz nennt. Seiner Alkoholsucht konnte er noch nicht Herr werden.
Nejib glaubt, mit seiner Krankheit nicht mehr alt zu werden. Aber aktuell hat er ein kleines Ziel ins Auge gefasst, das in motiviert, den Kampf nicht aufzugeben. „Mein Kumpel ist in der Reha. So etwas möchte ich mir auch gönnen.“
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Ansprechpartner zum Thema (drohende) Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Bottrop:
- Evangelische Sozialberatung (ESB), Kirchhellener Straße 62a, 02041, 3170-55 www.esb-bottrop.de
- Projekt „Dach und Fach“ zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit, Kirchhellener Straße 62a, 02041 3170-76/-77, dachundfach-bottrop.de
- Sozialamt Bottrop, Streetworker, 02041 70 4559