Bottrop. Gewerkschaft und Bottroper Wirte wünschen sich eine Perspektive für ukrainische Flüchtlinge in der Gastronomie. Der Anlass: zu wenig Personal.
Geflüchtete aus der Ukraine sollen Job-Perspektiven im Gastgewerbe erhalten. Diese Meinung vertritt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). „Vorausgesetzt, die Bezahlung stimmt. Denn wer vor dem Krieg flieht und bei uns Schutz sucht, darf nicht ausgenutzt werden“, sagt Martin Mura. Er ist Geschäftsführer der NGG-Region Ruhrgebiet, zu der auch Bottrop gehört.
Der Grund für den Vorschlag ist ein offenes Geheimnis. Noch immer sind Hotels und Gaststätten händeringend auf der Suche nach neuem Personal. Die Pandemie mit mehrmonatigen Lockdowns hat die Krise mancherorts verschlimmert. Einstige Servicekräfte haben aufgehört und sich beruflich umorientiert.
Politik muss die Voraussetzungen für Integration schaffen
Der Vorschlag der NGG findet auch beim örtlichen Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ein offenes Ohr. „Wir sind ein tolles, bunt gemischtes Völkchen in der Gastronomie und Hotellerie. Bei uns ist jeder herzlich willkommen“, sagt Tina Große-Wilde, Dehoga-Kreisvorsitzende und Inhaberin des traditionsreichen Hotel-Restaurant „Große-Wilde“ an der Gladbecker Straße. Alleine in ihrem Betrieb seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus sieben verschiedenen Nationen beschäftigt.
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Allerdings müssten ihrer Meinung nach vonseiten der Politik einige Voraussetzungen geschaffen werden – zum Beispiel ein fester Wohnsitz der Geflüchteten. Dazu müssen Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis vorliegen. Und es sind vor allem Frauen und Kinder, die vor dem Krieg flüchten. „Man braucht zuerst Betreuungsangebote für die Kinder. Sonst können die Mütter nicht arbeiten“, so Tina Große-Wilde. Hinzu kommt das Angebot von Sprachkursen. „Am besten zeitlich so flexibel, dass das Angebot und die Arbeitszeiten nicht miteinander kollidieren.“
Personal in der Gastronomie ist seit Jahrzehnten multikulti
Je nach Sprachkenntnis sind die Einsatzorte vielfältig. Wer wenig bis gar nicht der deutschen Sprache mächtig ist, kann in der Küche oder im Housekeeping eingesetzt werden. „Die Branche ist ideal für den Quereinstieg. Hier haben auch Beschäftigte ohne Berufsausbildung gute Chancen. Fachkräfte werden ohnehin dringend gebraucht – vom Barkeeper bis zur Hotelfachfrau“, betont Martin Mura. Die Dehoga-Kreisvorsitzende dazu: „Junge Leute, die vielleicht langfristig in Deutschland bleiben möchten, könnte man, wenn sie wollen, sogar eine Ausbildungsstelle anbieten. Wir sind eine sehr offene Branche. Und das nicht erst seit gestern, sondern seit Jahrzehnten.“
Dies kann Christian Erhard nur unterschreiben. Der Gastroleiter der Factory Bottrop spricht sich generell dafür aus, geflüchtete Menschen in der Gastronomie verstärkt zu integrieren. „Uns interessiert keine Nationalität oder Geschlecht.“ Die Gastronomie sei „seit Jahrzehnten multikulti“. Aber er sieht die Politik in der Pflicht. In dem Zusammenhang spricht er von „behördlichen Problemen“. Zum Beispiel: Die Bearbeitung von Anträgen muss schneller ablaufen. „Ich bin kein Politiker und arbeite auch bei keiner Behörde“, sagt Erhard, „aber es muss doch irgendwie eine Möglichkeit geben, dass Geflüchtete sofort ins Arbeitsleben einsteigen können.“
Dehoga: „Geflüchtete sind kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel“
Für ihn ist die Situation aller Beteiligten klar: „Ich habe jemanden, der arbeiten möchte und ich habe jemanden, der Arbeit anbietet.“ Beide kommen aus seiner Sicht letztlich oft nicht zusammen, weil die Bürokratie hinterherhinkt. Wie Tina Große-Wilde so sieht auch er Geflüchtete aus der Ukraine nicht als Allheilmittel gegen den andauernden Fachkräftemangel, aber: „Es wäre ja mal ein Anfang.“
NGG-Geschäftsführer Martin Mura betont, dass das Potenzial der Geflüchteten enorm sei. „Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren 92 Prozent der Ukrainerinnen in ihrer Heimat erwerbstätig oder befanden sich in der Ausbildung.“ Der Gewerkschafter verweist darauf, dass sich die Bezahlung im heimischen Gastgewerbe zuletzt deutlich verbessert habe. Nach dem aktuellen Tarifvertrag, den die NGG mit Dehoga ausgehandelt hat, liegt der Einstiegsverdienst in der Branche in NRW seit Mai bei 12,50 Euro pro Stunde. Fachkräfte kommen auf einen Stundenlohn von mindestens 13,95 Euro.