Bottrop.. Martin Porwoll brachte den Krebsskandal ins Rollen. Nun kämpft er für Medikamentensicherheit. Ihm erging es besser als anderen Whistleblowern.
Zum Interview-Termin empfängt Whistleblower Martin Porwoll die WAZ-Redakteure in seinen eigenen vier Wänden. Er kommt gerade erst von der Arbeit, trotzdem ist er entspannt und steht Lokalredakteur Matthias Düngelhoff Rede und Antwort. Wie hat der 47-Jährige die vergangenen zwei Jahre erlebt? Was hat sein Einsatz im Skandal um gepanschte Krebsmedikamente in der Alten Apotheke bewirkt? Zeit für einen Blick zurück und einen Blick nach vorn.
Vor gut zwei Jahren wurde Peter Stadtmann verhaftet, wie sieht Ihr Fazit aus, haben Sie ihre Ziele erreicht?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Wenn man so einen Fall aufdeckt, verfolgt man selbstverständlich Ziele. Gleichzeitig ändern sich diese Ziele aber auch immer wieder, weil man in einer solchen Situation ja auch von den Ereignissen getrieben wird. Aber zunächst sieht man ja, was vor seinen Augen passiert und das erste Ziel ist es, die Schädigung der Patienten zu verhindern. Daraus aber ergibt sich das zweite Ziel, nämlich die Rahmenbedingungen, die eine solche Tat möglich gemacht haben, zu verändern. Sieht man das ganze als Weg an, kann man vielleicht sagen, dass die erste Etappe auch mit der Verurteilung geschafft ist. Das zweite Ziel ist noch nicht erreicht, es erweist sich als hartnäckig.
Aber auch im Bereich der Sicherheit tut sich doch etwas. Das Land hat beispielsweise die Kontrollen der Apotheken verschärft.
Das ist richtig, auf Landesebene sind die Betroffenen mit ihren Forderungen inzwischen durchgedrungen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern geht die Initiative von Minister Laumann in die richtige Richtung. Und nach dem, was ich an Rückmeldungen bekomme, wird auch sehr gewissenhaft geprüft. Aber das Ganze basiert bisher auf einem Erlass des Ministers und nicht auf einem Gesetz. Und ein solcher Erlass kann jederzeit zurückgezogen werden.
Im Bund hat Gesundheitsminister Jens Spahn nun einen Entwurf vorgelegt für ein „Gesetz zur mehr Sicherheit in der Arzneimittelherstellung“.
Und das meine ich beispielsweise, wenn ich davon spreche, dass der Weg noch weit ist und es manchmal einen Schritt vor und dann wieder zwei zurück geht. Der jetzt vorgelegte Entwurf greift gerade bei den Krebsmedikamenten nicht weit genug. Er präzisiert lediglich noch einmal die bisher schon vorhandenen Möglichkeiten. Auch da sind die Prüfer nicht verpflichtet, in den Schwerpunkt-Apotheken Proben zu nehmen. Lediglich in Verdachtsfällen. Das ist keine Veränderung im Vergleich zur aktuellen Gesetzgebung. Wir sind gespannt, was sich da jetzt noch in der parlamentarischen Beratung tut. Jetzt hatten ja erst einmal die Verbände die Möglichkeit ihre Stimme abzugeben. Und auch die Krankenkassen haben ja ein Interesse bei dem Thema. Zwar geht es ihnen ums Wirtschaftliche, doch das kommt in diesem Fall den Patienten entgegen, denen es um die Sicherheit geht. Und nicht zuletzt darf sich in dem Prozess auch der Dachverband des Paritätischen äußern, der ja die Petition verfasst hat. Diese Möglichkeit haben die Betroffenen ja nicht. Mir fehlt bei dem Entwurf aber auch die Evaluation vor Ort.
Ist nicht gerade bei Krebs-Apotheken einfach viel zu viel Geld im Spiel?
Selbstverständlich gilt auch da: Je geringer der ökonomische Anreiz ist, desto seltener können sich kriminelle Strukturen etablieren. Aber ob es so funktioniert, wie jetzt im Gesetzesentwurf gedacht, weiß ich nicht. Man hatte ja in den letzten Jahren durch Gesetze im Zytobereich einiges neu geregelt, um Geld aus dem System zu nehmen. Aber man will nicht abwarten, ob es wirkt, sondern macht sich sofort an eine neue Regelung. Ich halte das für kontraproduktiv. Man sollte sich da jetzt auch nicht in einen Aktionismus treiben lassen.
Sie sind Bottroper, sind hier geboren und leben hier in der Stadt. Wie hat der Apothekerskandal die Stadt verändert?
Ich glaube schon, dass sich die Stadt verändert hat, die Wahrnehmung und die politische Diskussion. Man hat glaube ich schon genau registriert wie es aufgenommen und verarbeitet wurde, auch von offizieller Seite. Aber es fällt mir schwer, darüber ein Urteil zu fällen. Es ist leicht, sich im Nachhinein hinzustellen und zu erzählen, was die Stadt hätte besser machen können. Aber mit so einem Fall rechnet niemand, da kann sich auch niemand drauf vorbereiten. Und anfangs war es ja auch alles noch diffus, da steht man da und fragt sich, wie packt man so etwas an. Hinzu kommt, dass der Bund und die damalige Landesregierung sich versteckt haben. Gerade die damalige Landesregierung hat den Fall komplett dem künftigen Minister und der Stadt überlassen.
Was haben die zwei Jahre denn mit Ihnen gemacht? Sie haben damals als Hinweisgeber ihre Stelle verloren, wie geht es Ihnen eigentlich heute?
Gut. Ich habe tatsächlich eine ganze Zeit lang keine neue Stelle gefunden, doch im Sommer kamen drei Angebote, von denen eines besonders gut war und so arbeite ich nun als Projektleiter einer Krankenkasse. Aber ich bin inzwischen auch in der Whistleblower-Szene gut vernetzt und weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Es gibt viele, die sich durch ihren Einsatz persönlich ruiniert haben und nicht mehr auf die Beine kommen. Deshalb will die EU den Schutz der Whistleblower vereinheitlichen. Doch Deutschland blockiert das noch. Hier hat man Angst, es den Menschen zu einfach zu machen, solche Dinge zu verraten. Doch ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man sich eine solche Sache nicht einfach macht.
Warum glauben Sie, ist es Ihnen besser ergangen?
Vielleicht hatte ich einfach Glück, was den Zeitpunkt angeht. Ich glaube in den letzten Jahren hat sich generell die Sicht auf diese Hinweisgeber verändert und davon habe ich profitiert. Vielleicht lag es aber auch dem konkreten Fall in Bottrop. Hier waren die Rollen ja von Anfang an ziemlich klar verteilt. Es gibt die Opfer und es gibt den Täter, das hat ja auch der Prozess vor dem Landgericht deutlich gemacht. Von daher ist der eigentliche Fall an sich auch schnell zu durchschauen. Das hilft mir vielleicht auch.
Als sie den Betrug aufdeckten und die Geschichte ins Rollen kam, hätten Sie sich da vorstellen können, dass sie zwei Jahre später eng mit einigen Betroffenen verbunden für mehr Medikamentensicherheit kämpfen?
Nichts von alldem, was in der Folge auf mich eingeprasselt ist, hätte ich mir vorstellen können. Aber ich freue mich, dass wir es uns als Gruppe in den zwei Jahren erarbeitet haben, gehört zu werden und tatsächlich auf Prozesse wie die Gesetzgebung mit einzuwirken – wenn auch nur zu einem kleinen Teil. Gleichzeitig bin ich aber in meinem familiären Umfeld froh, endlich wieder einen Punkt erreicht zu haben, wo plötzlich wieder mehr und andere Themen einen Rolle spielen. Das wir jetzt Weihnachten feiern konnten ohne das eine Thema, das alles überstrahlt hat.