Essen / Bottrop. . Im Gericht würdigen sich die ehemaligen Freunde keines Blickes. Längst untermauern Beweise der Staatsanwaltschaft die Aussage des Whistleblowers.

Sie waren Freunde seit der Kinderzeit. Am Donnerstag treffen sie nach 14 Monaten Pause im Landgericht Essen aufeinander. Denn solange sitzt Peter S. (47), der Bottroper Apotheker, in U-Haft, weil sein Jugendfreund Martin P. (46) ihn wegen gepanschter Krebsmedikamente bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat.

Martin P. sagt souverän aus, lässt sich nicht aus der Reserve locken. Stadtmann schweigt – wie immer im Prozess – und würdigt den 46-Jährigen kaum eines Blickes.

Porwoll brachte das Verfahren gegen den Apotheker ins Rollen

Dass Martin P. das Verfahren gegen den Apotheker ins Rollen brachte, hat ihn den Job gekostet, aber auch viel Anerkennung eingebracht. Ende vergangenen Jahres wurde ihm sogar der Deutsche Whistleblowerpreis für seine Enthüllungen verliehen.

Persönliche Kontakte

Er kenne Familienunternehmen, erklärt Martin Porwoll auf Fragen der Nebenklageanwälte. Der 46-Jährige erzählt, dass er zuvor jahrelang im Theater Stratmann in Essen angestellt war. Auch dort sei er für vieles zuständig gewesen, eine Art Mädchen für alles.

Die Bottroper Welt ist klein: Nicht nur den Apotheker und Porwoll verbinden persönliche Kontakte. Auch im Stratmann-Theater war Porwoll kein Fremder. Denn der Arzt und Kabarettist Ludger Stratmann war sein Schwiegervater, die Anstellung im Essener Theater endete mit der Trennung von dessen Tochter.

Es ist voll im Saal, als Martin P. um 9.30 Uhr Saal 101 betritt. Die Plätze für die Medien sind gut gefüllt, aber auch die Zuhörerreihen. Für ein späteres Urteil bringt die Aussage nach Einschätzung von Juristen nicht mehr so viel, weil die Staatsanwaltschaft auf den Hinweis Martin P.s hin bei einer Hausdurchsuchung objektive Beweismittel sicherte: In der Apotheke hergestellte Chemotherapien, die zum Teil ohne Wirkstoffe waren, sowie Ein- und Verkaufslisten der Alten Apotheke in Bottrop.

Immer wieder geht es auch um nicht eingehaltene Hygienevorschriften

Vorgeworfen wird Stadtmann im Prozess, die Medikamente gestreckt und dennoch bei den Krankenkassen die Verwendung der teuren Wirkstoffe abgerechnet zu haben. Dabei soll er einen Schaden von 56 Millionen Euro angerichtet haben. Außerdem habe er gegen die Hygienevorschriften bei der Herstellung verstoßen.

Porwoll holt weit aus, als er seine Geschichte erzählt. 2012 habe der Freund – gegenseitig haben sie sich zu ihren Hochzeiten eingeladen – ihn für Personalangelegenheiten angestellt. Immerhin beschäftigt die Alte Apotheke rund 90 Mitarbeiter, macht nach Angaben von P. einen Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Als Gehalt bekam er rund 100 000 Euro brutto.

„Meine Hoffnung war es, dass es keine Diskrepanz gab“

Dann habe er mehr und mehr Gerüchte gehört, dass bei der Herstellung der Chemotherapien im Reinlabor etwas nicht stimme. Ende 2015 war das. Er habe es zunächst verdrängt, dann aber die Warenlisten verglichen. „Meine Hoffnung war, dass es keine Diskrepanz gab. Es gab aber eine Diskrepanz, die nicht mehr erklärbar war.“ Er stellte nach eigenen Worten fest, dass Stadtmann gar nicht genug Wirkstoffe für die von ihm gefertigten Rezepturen eingekauft hatte. Schließlich meldete er sich über einen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft.

Viele Patienten und Angehörige sind seitdem verunsichert. Sind sie deshalb nicht genesen, weil Stadtmann mutmaßlich aus Geldgier die Medikamente gepanscht haben soll? In der Apotheke war das jedenfalls schon lange und bei vielen Mitarbeitern ein Thema, sagt Martin P. Als eine Verwandte von ihm erkrankte, soll er Wert darauf gelegt haben, dass nicht Peter S. die Rezeptur herstellte.

Martin P. kämpft noch vor dem Arbeitsgericht um seinen Job

Mit P., der noch vor dem Arbeitsgericht um seinen Job kämpft, verloren seine Schwester nach über 40 Jahren Mitarbeit und sein Sohn ihre Stellen in der Alten Apotheke. Die Nebenklageanwälte geben P. ein ums andere Mal Gelegenheit, schlecht über Stadtmann oder dessen Eltern als neue/alte Eigentümer der Apotheker herzuziehen. Doch da macht er nicht mit. Viel war von Peter S.s Verteidigern erwartet worden. Doch ihre wenigen Fragen bringen P. auch nicht aus der Ruhe.